DEMOKRATIE FÜR JEDEN? ABER JA!

oder Wenn es für den großen Stinkefinger nicht reicht kann auch Stimmungsmache schaden

Nun gut – die Ostthüringer Zeitung (kurz OTZ) ist kein Blatt von Welt; mit Verlaub, eine Lokal-Zeitung – „Das lokale und regionale Leitmedium Ostthüringens“, wie sie sich selbst zitiert. Das geht schon in Ordnung.

Und ein „lokales Leitmedium“ will, ganz wie die „Großen“ (bei denen zum Beispiel ein Herr Wagner die Sau raus lässt und „Scheiß SPIEGEL“ schreiben darf) auch mal etwas forscher sein, denn „Aufgabe der Lokalzeitung ist auch, den Menschen durch den Alltag zu helfen“, wie der Chefredakteur des Blattes meint. Und so kam es wohl, dass die OTZ (23.03.15) über die feierliche Eröffnung eines neuen Festsaales (ein „Gemeinschaftswerk vieler Mütter und Väter“ – so die Überschrift) in der kleinen Stadt Neustadt an der Orla im Detail so informierte: „… in der ersten Reihe auf dem besten Platz der dauerkranke Bürgermeister Arthur Hofmann (parteilos) …“

Ist das investigativer Journalismus? Ist das unüberlegte Schreibe? (Übrigens, der Mann um den es geht, der in der ersten Reihe, der dauerkranke Bürgermeister also, trägt den Namen Hoffmann). Macht hier ein Lokalreporter einer Lokal-Zeitung „Stimmung“? Warum? Und für wen – und gegen wen? Man wird doch noch mal fragen dürfen.

Ist das die große Freiheit: die des Grundgesetzes, die der Presse, die der Berichterstattung?

Und wie ist das mit dem Recht der persönlichen Ehre? – Egal. Das ist Sache des „dauerkranken“ Bürgermeisters – nicht meine. Ist ja die Wahrheit: „dauerkrank ist dauerkrank und erste Reihe ist bester Platz.“ Und für die Wahrheit (auch so eine Art Freiheit) sind wir ja alle – besonders in unserer Demokratie. Und Hofmann oder Hoffmann – drauf gepfiffen (aber mit drei f bitte).

Ja, es gibt das Recht auf Meinungsäußerung. Das ist gut so! Aber bedeutet das: jeder kann schreiben was er denkt, auch wenn er nicht denkt, und alles wird gedruckt. Und das auch noch fehlerhaft.

Was nun, wenn einer oder eine, der oder die „was mit Medien macht“, unfähig ist oder zu blöd oder gar die Freiheiten der Demokratie bewusst missbraucht?

Liebe Leute von der OTZ,

schon mal was von Berufsethos gehört?
Und wo, meinen Sie, fängt Diskriminierung an?
Ja! Diskriminierung! – ruhig noch mal googeln.

Sind Sie so frei, antworten Sie!

 

Runhard Sage

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aktueller Lese-Tipp:

Einige unsortierte Gedanken zur Diskriminierung (von Georg Seeßlen)

Wir hatten einen Traum. Manchmal. Den Traum von einer Gesellschaft der Freiheit und der Gerechtigkeit. Etwas sollte es in ihr ganz bestimmt nicht mehr geben: Diskriminierung. Menschen sollten als Menschen beurteilt werden, nicht ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrer Kultur, ihrer Hautfarbe etc. wegen. Wir nannten diesen Traum: Demokratie. Aber dann mussten wir uns dem Alltag widmen, dem Überleben oder auch dem Besserleben. Und das hieß: dem Kapitalismus. Etwas, das immer viel mehr war, als nur eine besonders offene, besonders aggressive und manchmal auch besonders wahnsinnige Form des Wirtschaftens. Etwas, das einerseits nach der Macht über die Welt gierte und sich andererseits bis tief in jede einzelne Seele fraß.Form des Wirtschaftens. Etwas, das einerseits nach der Macht über die Welt gierte und sich andererseits bis tief in jede einzelne Seele fraß.

Ob wir dem Traum einer Gesellschaft ohne Diskriminierungen näher gekommen sind oder nicht, kommt vielleicht auf den Standpunkt an. In manchen Feldern haben wir uns viel zu langsam nach vorwärts bewegt, zum Beispiel in der Gleichberechtigung der Geschlechter. In manchen ist aus der institutionellen nur die effektivere strukturelle Diskriminierung geworden: Was brauchen wir noch schurkische Chefs für die Diskriminierung wenn es doch die schurkischen lieben Kollegen via Mobbing genau so machen (und die Verbindung von beidem ist dann ohnehin unschlagbar). Und in manchen ist die Entwicklung offensichtlich nach rückwärts gegangen: Die gesellschaftliche Praxis im Deutschland des Jahres 2015 ist unübersehbar von mehr Rassismus und kultureller Diskriminierung durchzogen als die des Jahres 1975. Was rassistische Diskriminierung bedeutet, kann man bei jeder längeren Fahrt mit der Deutschen Bahn beobachten: Menschen mit dunkler Hautfarbe werden dort nicht nur besonders scharf kontrolliert – und wehe, wenn sie einen Fehler gemacht haben! („Die wissen genau, dass das hier bei uns nicht geht! Das wird teuer für die.“ – Originalton einer deutschen Zugbegleiterin gegenüber einem dunkelhäutigen Paar mit einem behinderten Kind, das in der falschen Zug-Art zur Klinik fahren wollte.)

Diskriminierung als Volkssport

Und dann haben sich auch noch neue Felder der Diskriminierung herausgebildet: Die Loser, Assis und Hartz-IVler, die faulen und gierigen Griechen, die Putinversteher und Wirtschaftsflüchtlinge. Es kann alles diskriminiert werden, was stört. Diskriminierung ist im Deutschland des Jahres 2015 zum Volkssport geworden. Man gönnt uns ja sonst nichts.

Diskriminierung heißt zunächst nichts anderes als ein bewertendes Trennen, die Erzeugung von Unterschieden in Wert, in Recht, in Bedeutung, in Qualität und Ästhetik.  In den alten Zeiten bedeutete es nichts anderes als Trennen an sich; erst im 20. Jahrhundert wurde es mit der negativen Handlung einer Herabwürdigung oder Zurücksetzung verbunden, bis „Diskriminieren“ schließlich (jedenfalls außerhalb naturwissenschaftlichen Fachjargons) zur Bezeichnung für einen verbalen und physischen Akt von hohem inneren Aggressionsgehalt wurde. Diskriminieren ist, mit anderen Worten, eine ziemlich moderne Kulturtechnik, na, was heißt schon: Kultur.

Vielleicht ist diese Wortgeschichte wichtig, um die Funktion des Diskriminierens in einer kapitalistischen Gesellschaft zu verstehen. Die Grundlage aller profitorientierter Ökonomie ist das Vorhandensein von Unterschieden. Die Habenichtse und die Superreichen, kik und Armani, billige Arbeit, teure Bank. Im alltäglichen Leben begegnen wir der Diskriminierung zwar vor allem in ihrer Funktion als Aggressionsabfuhr gegenüber Ersatzopfern. Man sucht sich vermeintlich Schwächere, an denen man strukturelle, verbal oder institutionell eigene Überlegenheit konstruiert. Diskriminiert werden Menschen ob ihrer Verhaltensweisen, Fähigkeiten (diskriminiert werden „Behinderte“, „Schwächlinge“, „Loser“) oder wegen ihrer biologischen Eigenheiten (diskriminiert werden Menschen wegen ihres Geschlechts, wegen ihrer Hautfarbe, wegen ihres Alters).  Diskriminiert werden Menschen wegen ihres Denkens und Sprechens (diskriminiert werden „Außenseiter“, „Nestbeschmutzer“, „Intellektuelle“) und schließlich wegen ihres sozialen Status (diskriminiert werden „Versager“, „Prolls“, „Schmarotzer“). Man kann, wie die tägliche Lektüre der Bild-Zeitung belegt, einzelne Personen ebenso diskriminieren wie man Gruppen diskriminiert (man kann natürlich auch eine Gruppe erst durch Diskriminierung bilden), schließlich auch ganze Völker (wie die faulen und gierigen Griechen). Solange diskriminiert wird – und, um beim Beispiel der Bild-Zeitung zu bleiben, Diskriminierung ist offenbar eine gut verkäufliche Ware – kann Regieren nicht wirklich demokratisch sein. Je mehr Diskriminierung in einer Gesellschaft, desto undemokratischer die Regierung.

Diskriminierung, und sei sie noch so paranoid, hat immer einen psychischen (die Konstruktion von „Identität“ zum Beispiel), einen politischen (die gewaltsame Verteilung von Macht bzw. die Legitimierung gewaltsamer Machtverteilung) und einen ökonomischen Aspekt (irgendwo wird ein Vorteil oder die Eliminierung eines Nachteils erhofft). Es ist also in den Akten der Diskriminierung kein Widerspruch zwischen Paranoia und Zweckrationalität. Daher tut sich „lineare“ Aufklärung sehr, sehr schwer im Kampf gegen die Diskriminierung. Weiterlesen »