Andrea Roedig sprach mit der Soziologin Elfie Miklautz über Weihnachtsrituale und die verborgenen Motive des Schenkens.
Frau Miklautz, seit wann interessiert sich die Soziologie für das Schenken?

Die Soziologie hat sich lange Zeit kaum mit diesem Thema auseinander gesetzt, was eigentlich erstaunlich ist. Man sah das Schenken als eine historisch überholte Form des Austauschs primitiver Gesellschaften, was nur Soziologiehistoriker oder Wirtschaftssoziologen interessierte. Erst mit dem so genannten cultural turn, also seit rund zehn, zwanzig Jahren, rücken auch alltagskulturelle Phänomene in den Fokus, wie eben der Ritus des Schenkens.

Warum geben wir überhaupt etwas her, worin liegt die soziale Bedeutung der Gabe?

Wir schenken um Wertschätzung zu zeigen, um eine Bindung zu unterstreichen oder Nähe auch materiell zu dokumentieren. (Und natürlich hängt das nicht immer nur von Gegenständen ab, auch Nichtmaterielles wie Zuwendung und Aufmerksamkeit können wir schenken.) Manche Soziologen – dazu gehört Georg Simmel – behaupten, dass eine Gesellschaft ohne dieses Nehmen und Geben gar nicht existieren kann. Durch Geschenke weben wir soziale Netze. Zumal sie ja eine besondere Form von Verbindlichkeit stiften, die durch den bloßen Austausch am Markt gar nicht hergestellt werden könnte. Das Schenken funktioniert in der Regel nicht als direkter Austausch wie das Kaufen, sondern ist ein Prozess, der sich über längere Zeiträume hin erstreckt. Gerade die Frist, die zwischen Gabe und Gegengabe verstreicht, erzeugt eine Spannung und auch eine bestimmte Unvorhersehbarkeit.

Normalerweise unterscheidet man zwischen „Gabe“ als Geschenk und „Tausch“ als Warenbeziehung. Allerdings lautet eine alte Kritik, dass Geschenke, auch wenn sie harmlos daher kommen, immer ein versteckter Tausch sind.

Der Ethnologe Marcel Mauss sagte einmal, dass die Gesellschaft sich selbst mit dem „Falschgeld ihres Traums“ bezahlt. Er sieht die Gabe als eine soziale Lüge, mit der wir uns selber täuschen. Pierre Bourdieu hat den Gedanken noch ausgeweitet, er sprach von der „doppelten Wahrheit der Gabe“, weil wir subjektiv glauben und auch wünschen, wir würden aus uneigennützigen Motiven handeln, während es objektiv immer auch um Vorteile geht. Interessant ist, dass wir alle in Wirklichkeit wissen, wie es läuft, aber so tun, als wäre es nicht so. Es ist ein notwendiger Schleier, den wir über das Geschehen legen.

Offen oder auch verdeckt geht es beim Schenken also um Macht und die eigenen Vorteile?

In der Praxis sieht man, dass im Geschenk immer eine Verpflichtung zur Wechselseitigkeit steckt, zumindest zu Dankbarkeit. Und es kommt unweigerlich zu einem Machtungleichgewicht, wenn der Reziprozität nicht Folge geleistet wird oder werden kann. Schenken ist ja hoch ritualisiert und hat ganz klare Regeln über die angemessene Art der Rückgabe und auch angemessene Zeitpunkte, wann das zu erfolgen habe. Im Geschenk steckt also durchaus eine Gewalttätigkeit, denn es fordert immer eine Antwort. Man kann auf ein Geschenk „nicht nicht“ reagieren, selbst eine Ablehnung wäre eine – sehr harsche – Erwiderung. Oft führt das Schenken auch zu wechselseitigem Wettbewerb, wer denn mehr gebe.

Dieser Zwang zur Gegenseitigkeit besteht aber doch nicht überall, zum Beispiel nicht bei Geschenken an Kinder.

Das kommt darauf an, auch beim Verhältnis von Eltern und Kindern muss man skeptisch sein, weil die Erwartung auf Gegenleistung in diesem Fall nur eine besonders lange Frist hat. Auch wenn es nicht explizit ausgesprochen ist, existiert ja so etwas wie eine Verbindlichkeit, dass später eine Unterstützung der alt gewordenen Eltern zu erfolgen habe. Man muss den Tausch hier generationsübergreifend betrachten, er kann sogar über den Tod der einzelnen Menschen hinausgehen. Eltern schenken ihren Kindern, weil sie selbst einmal Kinder waren, die Geschenke bekamen.

Und wie ist es mit Geschenken in der Liebesbeziehung, hat Marcel Mauss da immer noch recht mit seiner Skepsis gegenüber dem Geschenk?

Ja und nein. Die Liebe ist wohl der einzige Bereich, in dem man das „tit for tat“ des geheimen Tausches zumindest zeitweise überschreiten kann, weil das Liebesverhältnis ja so etwas wie ganze Hingabe ermöglicht. Bei einer „reinen Gabe“ müssten eigentlich beide Partner das Geschenk sofort wieder vergessen, sie dürften es gar nicht als solches wahrnehmen, damit es nicht in den Tauschzyklus gerät. Das Paradoxe ist, dass sich das ereignet. Es steckt etwas von einem Wunder darin. Doch ich würde behaupten, dass diese „reine Gabe“ nur in bestimmten Phasen möglich ist. Wenn Liebesbeziehungen in eine Krise geraten oder beendet werden, kommt es ja oft hinterher zu einem Aufrechnen, was man denn nicht alles für den anderen getan habe. Und dann stellt sich auch der Verdacht ein, dass das liebende Schenken und Teilen überhaupt niemals so ernst und uneigennützig gemeint gewesen war, wie es schien.

Weihnachten ist ein Fest der Kinder. Warum eigentlich?

Kinder stehen in gewisser Weise außerhalb der normalen Ordnung, mit ihnen kann man sich eine magische Ökonomie imaginieren, in der die Gaben vom Himmel regnen. Darum kommen die Geschenke ja auch nicht einfach von den Eltern, sondern von erfundenen mythischen Gestalten. Es ist gratis, also „gratia“, die verströmende himmlische Gnade, die sich da in den Kinderzimmern wiederfindet. Weihnachten ist ein sehr eklektizistisches Fest, historisch stecken in ihm noch vorchristliche Reste der wilden Saturnalien, die zwischen 17. und 25. Dezember gefeiert wurden und der so genannten Rauh- und „Weihnächte“. Diese Nächte gingen mit allem möglichem Geister- und Gespensterglauben einher. Es gibt die These, dass man in Kindern damals die Widergänger von Ahnengeistern erkannte und sie stellvertretend beschenkte, um die Geister gütig zu stimmen. Daran erinnert heute noch der „Tag der unschuldigen Kinder“ am 28. Dezember.

Das klingt nicht nach einer friedlichen Familienfeier …

Ein richtiges Familienfest wurde Weihnachten erst nach der Reformation, und dass sich die Familie zu diesem Anlass gegen die Außenwelt abschließt und auf sich selbst besinnt, ist eine Entwicklung des 18. und 19. Jahrhunderts. Die eigentliche Geschenke bringende Figur war ehemals Nikolaus. Um das Schenken auf Weihnachten zu transferieren, bedurfte es zweier neuer Gestalten, des protestantisch inspirierten Christkinds mit Kleidchen und Locken und des später aus Amerika importierten Weihnachtsmanns, der – im Gegensatz zum strengen Nikolaus – gutmütig und nicht besonders helle wirkt. Die ursprünglichen Formen des Schenkens in den Wintertagen waren allerdings überhaupt nicht privat. Es waren eher öffentliche Veranstaltungen der Überschreitung.

Verändert sich der Mechanismus des Schenkens in der Konsumgesellschaft? Viele Menschen beschließen an Weihnachten auch ganz bewusst, sich nichts zu schenken.

Traditionell sollte Weihnachten ja eine Umkehrung des alltäglichen Lebens sein. Daher regiert an den Feiertagen nicht Knappheit und Leistungsbezogenheit, sondern eine verschwenderische Verausgabung, der man sich ausnahmsweise anheim gibt. In einer Konsumgesellschaft, die auch alltäglich auf Verschwendung setzt, ist Weihnachten eigentlich kein stimmiges Ritual mehr. Niklas Luhmann nannte das Fest einmal eine „wechselseitige Besteuerung zugunsten des Handels“. Wenn man nun vereinbart, sich nichts zu schenken, ist das so etwas wie ein Nichtangriffspakt, man lässt sich gegenseitig in Ruhe mit dieser sinnentleerten Verpflichtung. Gleichzeitig erzeugt das aber auch wieder eine neue Spannung, weil man nicht weiß, ob sich der andere sich wirklich dran halten wird oder nicht doch überraschend ein Geschenk aus der Tasche zieht.

Das Gespräch führte Andrea Roedig

zuerst erschienen in: Der Tagesspiegel


Elfie Miklautz ist Professorin am Institut für Soziologie und empirische Sozialforschung der Wirtschaftsuniversität Wien.


Im November 2010 erschien ihr Buch: „Geschenkt. Tausch gegen Gabe – eine Kritik der symbolischen Ökonomie.“ (Fink-Verlag)


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