MELDUNG: Blutiges Massaker bei der Premiere des neuen „Batman“-Films in Aurora (Colorado).

Aufforderung zum Tanz

Was ist in diesem Kino bei Denver passiert?

In den letzten Monaten wurden Trailer von „The Dark Knight Rises“ angekündigt und empfohlen, kommentiert, analysiert und parodiert, so exzessiv, als gelte es, die große Erzählung unserer Kultur, unverständliche Nachrichten von umfassender Bedeutung und das Horoskop von morgen auf einmal aus einer Kinovorschau herauszupressen. Die meisten zeigen einen maskierten Mann mit vielen Waffen, der ein vollbesetztes Sportstadion unter Kugelhagel und Explosionen terrorisiert.

Interessierte wissen, dass dieser „Bane“ von dem mal komischen, mal bedrohlichen Charakterdarsteller Tom Hardy gespielt wird. Batmanleser wissen, dass diese Figur für die totale Selbstermächtigung des skrupellosen Außenseiters steht. „Bane“, die erfundene Figur, in ein malerisches Alptraumgefängnis hineingeboren, hat keine andere Geschichte als sein Selbstverständnis als willenstarker Abschaum, der sich an der ihn ausgrenzenden Welt rächen will. Dieser Welt ist er durch seine Unbeirrbarkeit und seinen Intellekt insgeheim überlegen. Wenn er im Trailer ein Footballfeld in einen Kriegsschauplatz verwandelt, macht er innerfilmisch aus einem brutalen symbolischen, sublimierten Kampf eine reale Schlacht. American Football gilt als der härteste Sport, der härteste spielerische Kampf der Welt, so wie Christopher Nolans Batman- Filme die härteste künstlerische Verhandlung über Macht und Gewalt in der Gesellschaft darstellen könnten. Die Vorberichterstattung zu „The dark knight rises“ ruft seit Wochen beim Betrachter eine latente Hysterie hervor, ein aufgescheuchtes Unbehagen, das mit der Erinnerung an das Gefühl spielt, schockierende Nachrichtensondersendungen mit viel Geflimmer und wenig Information zu verfolgen, Sondersendungen über einen Amoklauf zum Beispiel.

Letzte Nacht in den USA, vor wenigen Stunden, schoss in einem Kino in Denver mindestens ein Täter, ein maskierter 24jähriger, anlässlich der Premiere von „The Dark Knight Rises“ in die Menge. Zu diesem Zeitpunkt (Freitag, 14.00) wird von 14 Toten und über 50 Verletzten gesprochen. Die hektisch und kontrolliert plappernden Stimmen von CNN verweisen alle fünf Minuten auf einen ominösen Gasgeruch im Kino,- giftige Gase, eine Vorstellung aus Debatten über Krieg und Terror und Geiselbefreiung – und gleichzeitig lässt sich die Nerdstimme im Hinterkopf nicht abstellen, die sich versucht, daran zu erinnern, wann Gase in Batmancomics eine Rolle spielten, und wie Bane, der fiktive Charakter, die ihn unbesiegbare Droge zu sich nimmt, die am Tatort einen eigentümlichen Geruch hinterlässt.

In „The Dark Knight“, dem Vorgängerfilm, wurde schwer fassbare Unruhe im Zuschauerraum dadurch ausgelöst, dass den Sätzen des Jokers über Chaos und die kaputte menschliche Natur das anschwellende Geräusch startender Düsenflugzeuge beigemischt wurde. Spätestens mit diesem Gimmick haben die Filmemacher um Christopher Nolan ernst gemacht, die Grenzen zwischen den popkulturellen, tiefenpsychologischen und gesellschaftlichen Diskursen auf unentrinnbare Weise verwischt. „The dark knight“ wurde nicht zu einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, weil sich so viele Millionen Menschen einen schönen Film anschauen wollten. „The Dark Knight“ ist kein schöner Film. Er wurde zumindest in den USA als ein relevanter Film rezipiert, eine Prüfung, die man zu überstehen hatte, die Verkündung einer nebulösen geheimen Wahrheit, eine akkurate Zustandsbeschreibung der Nachtseite; und häufig genug unter anderem als Plädoyer für lückenlose Telefonüberwachung zu Gunsten der inneren Sicherheit. Wenn die aufgescheuchten Fans die letzten Monate im Internet mit überschnappenden Stimmen darüber spekulierten, ob Batman im kommenden Blockbuster verkrüppelt, sterben, ersetzt werden oder scheitern würde, erwuchs die schmerzhafte Dringlichkeit nicht aus lustiger Verrücktheit, sondern aus der bangen Frage, in was für einer Welt wir leben. Der geheimnisumwobene Eventfilm hatte es in unserer durchinszenierten Kultur geschafft, von der Verhandlungsfläche für Fragen nach Himmel oder Hölle, Gut oder Böse zu der Verhandlung selber zu werden.

Wo sollte Bane die Mauern zwischen dem ambivalenten Spiel mit der Gewalt und der Gewalt niederreißen, wenn nicht in einem Sportstadion? Und wo sollte ein westlicher Amokläufer in der Realität das Gleiche tun, wenn nicht bei dieser Filmpremiere?

Nein, die Filmemacher sind nicht verantwortlich für die Toten und Verletzten, und die nun beginnenden bigotten Debatten über Gewaltdarstellung und Hollywood werden schwer zu ertragen sein. Aber die Kunst, die nie unschuldig war, hat ihre letzte Unschuld verloren, und in Amerika trauern Eltern um Teenager, die sich einen Film anschauen wollten. Ist es geschmacklos, nun über erfundene Superverbrecher nachzudenken? Bleibt uns etwas anderes übrig?

Bane, der Comic-Charakter, ist der Inbegriff des „white trash“. In eine korrupte Welt geworfen, die nichts als Verachtung für ihn übrig hat, entschließt er sich, zum Alptraum zu werden, zum wahren Sprachrohr und zum wahren Herrscher von Gotham City. Bane, im Film, scheint der Inbegriff des rechtsradikalen Revoluzzers zu sein, der alles Dekadente, Gekünstelte und auch Weiche eliminieren will. Die Figur ist eine reichlich dümmliche Angstphantasie gebildeter Comicautoren vor der mit viel Schuldbewusstsein imaginierten vernachlässigten dumpfen Masse. Aber gerade darum lädt sie auch zur Schattenidentifikation ein, wie C. G. Jung das nannte. Wer nicht Batman ist (und niemand von uns ist Batman – milliardenschwer, aristokratisch, weltgestaltend, kontrolliert und von mythischer Melancholie), sich aber dennoch in den Bildern von Krieg, Terror und Gewalt süchtig und ängstlich verirrt, der mag sich vielleicht als Bane sehen – das durch die Hintertür hereinmordende Stück Dreck, das als Einziger die ungeschminkte Visage der Welt begreift. Bane ist immerhin überlebensgroß schäbig, brutal und von Überlebenswillen getrieben, und sein dumpfes Brüten und Strippenziehen bewährt sich im Kontext des Plots als geniale Intelligenz. Wenn es bei rechter Selbstinszenierung darum geht, das Gefühl von eigener Hässlichkeit ins Mythische zu überhöhen, so taugt der brillante und zeitweise triumphierende Krüppel Bane vermutlich als Ikone starker Hässlichkeit. In den Comics, und sicher auch im Film, beschreibt er sich als Geschöpf Batmans, (wie so viele von dessen Gegnern), als provozierte und inspirierte Antwort auf dessen Existenz, als Beimwortnehmer und als Erfüller.

So mag sich auch der Täter im Kino gefühlt haben.

„Ich bin unschuldig!“, brüllt Bane, im Comic, immer wieder, weil er einst in ein Gefängnis hineingeboren wurde, bevor er Gelegenheit hatte, ein Verbrechen zu begehen.

Nein, wer einen Film über einen rechten Terroristen dreht, kann nicht für einen Amoklauf verantwortlich gemacht werden. Nein, wer einen Film massiv bewirbt, wie das produzierende Studio, hat deswegen kein Blut an den Händen kleben. Nein, Kinofilme über die Teletubbies (dieser Autor würde sofort dafür Schlange stehen!) wären kein adäquater künstlerischer Umgang mit dieser Welt, zumindest nicht ausschließlich. Nein, natürlich nicht.

Alpträume wie „Batman“ werden geträumt, damit keine Menschen sterben. Nnicht, damit Menschen sterben.

Wir werden in den kommenden Tagen Gedenkadressen und Spenden verfolgen können, Debatten über Schnittfassungen, Aufführungstermine und bewachte Kinos.

Dazu werden die Filmemacher herausstreichen, dass Bane der Schurke des Stücks ist, das absolute Böse, Fans werden sich in Millionenscharen darum bemühen, ihre Anteilnahme auszudrücken und dabei nebenbei doch ihrer Hoffnung Ausdruck geben, den Film bald sehen zu können.

Der Täter, die Täter, werden sich als auffällige, labile Menschen mit vielen Problemen zu erkennen geben, und einem vermutlich Irren ist ja jeder Anlass zum Durchdrehen gut genug.

Hoffentlich gelingt es der Berichterstattung, das Faszinosum aufzulösen, das bizarr erhabende und surreale Gefühl von Bedeutsamkeit und jüngstem Gericht, das Nachahmer zum Sprung durch die Leinwand animieren könnte.

Das alles wird trotzdem kein Problem lösen. Natürlich vor allem nicht für die Toten.

Vielleicht wäre wieder eine Kunst möglich, die kein Ereignis sein will, nicht „real“, die den gesellschaftlichen Alpdruck bei Fragen nach Recht und Unrecht, Gewalt und Macht verhandelt, ohne ihn zu perpetuieren. Eine Kunst, die lieber die eigenen Ambivalenzen und Abgründe eingesteht, das Alberne, das Schrille und das Skandalöse zugibt und behandelt, anstatt dräuend mit ihrer eigenen Bedeutung zu kokettieren. Eine offen fragwürdige Kunst, die dadurch weniger fragwürdig wäre. Eine ernstgemeinte Spielwiese mit echt aussehendem Blut, kein grimmig-spaßiger Kriegsschauplatz, jetzt mit irreal erscheinenden wirklichen Toten und Verletzten.

Florian Schwebel 

Bild: The Dark Knight Rises von Christopher Nolan    © Warner Bros. Germany

Zeichnung: Graham Nolan (getuscht von Scott Hanna) © DC Comics; Time/Warner,