Einfach nur die Welt beherrschen

Seit neulich ist „Apple“, die beliebte Firma für überteuertes elektronisches Spielzeug, nicht mehr nur das „wertvollste“ Unternehmen der Welt, sondern der bisherigen Geschichte. Nichtsdestotrotz ärgert kaum etwas IT-Fanatiker mehr, als wenn Apple irgendwie als Problem oder auch nur als Player gesehen wird. Der allmächtige Apfel ist irgendwie kleiner, subversiver, nahrhafter als die Regierungen, Konkurrenten und dreiköpfigen Indie-Plattenfirmen, die seine Anhänger so gerne als das herrschende Böse sehen. Wenn Apple tut, was große Konzerne heutzutage eben gerne tun – zum Beispiel die Welt mit aggressiv weihevoller Werbung zupflastern oder Kinder für sich arbeiten lassen – dann tut es dieses Unternehmen mit großem Unwohlsein, irgendwie mit Charme und mit objektiv hochwertigen Produkten im Ärmel. Wenn es seinen (zwischenzeitlich auch mal gefeuerten) Firmengründer in gut raubtierkapitalistischer Tradition zur Erlöserfigur hochjazzt, und der in Reden an Studenten exakt das Gleiche sagt, was noch jeder amerikanische Industriegigant Studenten phrasenvoll gepredigt hat, wenn er spendet und investiert, wie es sich seit dem 19. Jahrhundert für entsprechende Figuren gehört, dann ist das nicht business as usual, denn Steve Jobs hatte Krebs und hier und da einen lustigen Bart. Und wenn es manchmal von übellaunigen Ungläubigen heißt, mit dem Tanz um den silbernen Apfel habe der Warenfetischismus nun wirklich seine hirntote Schwundstufe erreicht, dann kommt die  Replik, Apple-Produkte würden die meiste Zeit tatsächlich so funktionieren, wie auf der Verpackung versprochen wird, und wenn das nicht verzückte Verehrung verdienen würde, was denn dann, bitteschön? Mit iPod und iPad, die Apple zusammen mit dem iPhone aus der Krise der gesättigten Computermärkte erlöst haben, lassen sich applefern produzierte Kulturgüter beinahe so gut genießen wie mit den Medien, für die sie gemacht sind, ein weiterer gewichtiger Grund dafür, hier zu preisen und dort zu verachten. Die Frage, warum Steve Jobs von den gebildeten jungen Männern der westlichen Welt verehrt wird und nicht, bspw. Ted Turner, lässt sich nur damit beantworten, dass Ted Turner relativ wenig Zeit am Rechner verbracht hat. Was über die Festplatte eines Computers läuft, ist gebenedeit, erst recht, wenn ein Apfel draufklebt.

„Viele Menschen bezahlen viel Geld, um am Mythos von Apple teilhaben zu dürfen.“, erklärt ein Telefonverkäufer leutselig. „Ob es von der technischen Leistung einen Unterschied zwischen iPhones und Android-Geräten gibt, – das lässt sich so nicht sagen, das ist die falsche Frage.“

Ebenso ist in diesem Zusammenhang die falsche Frage, aus welchen Motiven und mit welchen Mitteln Julian Assange einen informellen Geheimdienst aus Whistleblowern aufbauen wollte. Er tat es am Computer, und deswegen ist er für manche Bewunderer aus der Netzwelt nicht Teil der Politik, sondern der Technikgeschichte, und wird wie selbstverständlich nicht mit kritischen Journalisten oder Revolutionären verglichen, sondern mit den abgemahnten Betreibern von Filesharing-Seiten (wer es nicht glaubt, bitte in ein beliebiges Diskussionsforum zum Thema schauen, nein, kein Link, und ja, es gibt natürlich auch völlig gegensätzliche Haltungen zu Assange). Assange handelte, dieser speziellen Auslegung nach, nicht, hatte keine Agenda und keine Strategie, sondern der heilige Geist der Information handelte durch ihn hindurch, und Assanges Leistung bestand darin, diese Bürde stolz anzunehmen und entsprechend seiner Mission Zeugnis abzulegen, wie es von Propheten seit alters her erwartet wird. Im Zweifel linke Kolumnisten mögen die Tradition der Gegenöffentlichkeit bemühen, konservative Leitartikler mögen ihre Vorstellungen vom Staatsbürger mit der Selbstdarstellung von WikiLeaks abgleichen (und bei allen bleibt ein Unwohlsein ob der Frage nach den Anschuldigungen gegen Assange). Aber für viele Menschen unter 25 und die Mitarbeiter von IT-Firmen besteht Assanges Heldentum augenscheinlich darin, dass er tat, was auf der Hand lag (genau wie die Betreiber von File sharing-Seiten).

_____________________________________

Wieso muss ich an Internet glauben,

wenn ich es nur nutzen will?

_____________________________________

Das Problem dabei liegt nicht darin, dass die Ideen von bspw. totaler Transparenz, von der Infragestellung geistigen Eigentums oder von politischen Prozessen in Echtzeit nicht diskussionswürdig wären. Das Problem liegt darin, dass sich der Nutzen davon, erst einmal alles, was sich auf Festplatten schaufeln und ins Internet stellen lässt, auch auf Festplatten zu schaufeln und ins Internet zu stellen, in heftig netzaffinen Kreisen nicht mehr diskutieren lässt. Die faszinierende Fragwürdigkeit einer Person wie Assange (auch unabhängig von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen) wird von einer „Er hat doch nur“ – Rhetorik weichgespült. Immer haben sie doch nur, wenn es ums Netz geht, WikiLeaks und Google, kino.to und anonymous-Gruppen. Darf man denn nicht einmal mehr Geheimdienstakten öffentlich machen? Oder 10.000 Songs frei verfügbar? Kreditinstitute lahm legen? Anonym Todesdrohungen aussprechen? Das kann doch nicht etwas Verbotenes sein, wie bei Rot über die Ampel gehen oder seine Regelstudienzeit überziehen. Darf man denn gar nichts mehr?

Nein, sie dürfen wenig, die klugen jungen Menschen in unserem Land, und deswegen wollen sie wenigstens im Netz alles dürfen und sich ein klein wenig als Elite fühlen, als lachende Dritte in Wartestellung, und wenn die Wartestellung sich wie eine Ewigkeit anfühlt, dann gibt es als Ventil halt einen Shitstorm.

In den Medien wird die Basis der Computergläubigen mit politischen Kämpfen in Zusammenhang gebracht, mit der sie zu weiten Teilen ausdrücklich nichts zu tun haben will.

Es gibt diese Kämpfe, genau, wie es politisch entschiedene Aktivisten gibt, die sich des Internets bedienen. Aber die Mehrheit der Menschen, die online – Petitionen gegen die Auslieferung Assanges und gegen acta unterschreiben, scheinen eben nicht für Pussy Riot oder gegen Medienkartelle auf die Straße gehen zu wollen, und campen auch nicht vor den Banken. Assange, Acta und Anonymous sind die Notstandsgesetze, Gorleben oder der Irak – Krieg ihrer Generation und ihres Milieus. Und sie führen bei vielen unter ihnen bislang nicht zu neuen Fragen und Auseinandersetzungen, sondern zu einer Abwendung von dem, was sie als „Politik“ schmähen (kein Wort, das bei ihnen hoch im Kurs stünde) und zu einer umso hingebungsvolleren Hinwendung zu ihren Computern. „Wenn die Information erst einmal wirklich frei ist, dann werden sich viele Probleme von selber lösen.“, dieser Glaubenssatz fällt in diesem Moment in vermutlich Hunderten von studentischen Kneipen zwischen Rostock und Saarlouis (zur eigenen Überprüfung anempfohlen). Dieser genügsame Positivismus markiert eine Abgrenzung zur vorangegangenen attac-Generation, die bereits als altmodisch betrachtet wird. Eigentlich müsste diese Haltung zur Forderung nach kostenlosen Computern, kostenloser Software und kostenlosen Informatikern für alle führen (laut dem Time Magazine haben derzeit nur etwa 7% der Weltbevölkerung Zugang zum Netz). Doch derartige Vorstellungen tauchen in den entsprechenden Diskussionen offline und online seltener auf als Mutmaßungen über Aliens. Dietmar Dath wies im Zusammenhang mit der Urheberrechtsdebatte in der FAZ darauf hin, dass die eigene prekäre Existenz in piratennahen Kreisen so selten thematisiert würde, wie die klassischen Fragen nach dem Interesse hinter Weltanschauungen und Haltungen. Entsprechend fehlt den gläubigen Studenten das Interesse an einer Informationsgesellschaft, die die Gewinne der IT-Branche schmälern könnte. Noch gibt es gutbezahlte Jobs in der Computerindustrie und ihren Ablegern, während ansonsten als Lohn für das verschulte und gehetzte Studium vor allem Existenzängste winken. Noch macht jeder Rekordgewinn von Apple Mut, wie in den 1960ern die Chartsplatzierung einer Apple-Single, die als Sieg des eigenen subkulturellen Lebensgefühls gelesen wurde. Noch erscheint der dubiose Börsengang von Facebook als cleveres Jonglieren gegen die erdrückende Schwerkraft des falschen Lebens. Und noch steht die Affaire Assange nicht für die Verstrickungen beim Kampf um Hierarchien, sondern dafür, dass man mit einem Rechner die Welt aus den Angeln heben kann, auch wenn man es peinlich findet, mit einer Strumpfmaske auf dem Kopf in einer Kirche 90 Sekunden lang gegen Putin zu rocken. Im Kern der Apfelreligion steht die Selbstermächtigung von jungen (vor allem) Männern an Tastaturen zur herrschenden Priesterkaste im öffentlichen Diskurs. Mit dem besonders angenehmen Dreh, dass diese neuen Priester für ihre Überzeugungen nicht offensiv eintreten müssen, denn die verstehen sich für sie ohnehin von selber. Wenn WikiLeaks nicht (vorläufig) gescheitert wäre, welche Möglichkeiten hätten wir gehabt, Assange abzuwählen? Wie können wir in Dialog mit Anonymous treten, wenn schon der Dialog zwischen verschiedenen Anonymous-Fraktionen angesichts der Grundgedanken der Bewegung – ein genereller Freibrief und Anonymität – so schlecht funktioniert? Wieso muss ich an Internet glauben, wenn ich es nur nutzen will?

Dass dieser Planet seit dem Erfolg des Internets selbst für den wohlwollendsten Beobachter bisher kaum gerechter, friedlicher, sicherer und glücklicher geworden ist, dass kein Werkzeug, und sei es eine Datenwolke, das übliche Hauen und Stechen bei Auseinandersetzungen zwischen Menschen um Lebensgrundlagen und Macht transzendiert und überflüssig macht, lässt sich nicht übersehen. Die von älteren Beobachtern so gerne gezogene Verbindung von Netzgewusel zur occupy-Bewegung und Demonstrationswellen wird auch die trägeren Anhänger der reinen Lehre von der Macht des Computers zu irgendeiner Beschäftigung mit diesen Phänomenen zwingen, die über „Ohne Internet wäre das gar nicht möglich!“ hinausgeht.

Gerne wird in diesen Kreisen die Musikindustrie, die Hoffnung und der Religionsersatz einer lange vergangenen Gegenkultur, kritisiert. Der Musikindustrie gelang es in den 1970ern ihre Exzesse, ihre Anmaßung und ihre Ausbeutung der Fans noch lange Zeit als kleine Schönheitsfehler im gemeinsamen Dienst an der guten Sache darzustellen. Irgendwann erschloss sich die gute Sache nicht mehr, und es blieben überteuerte Konzertkarten für aufgeblasene Tourneen von Crosby, Stills, Nash und Young und den Eagles. Und obwohl Warner records oder Elektra nie als wertvollste Unternehmen der Menschheitsgeschichte galten, kamen die Punks. Apple stellt gute Geräte her, das Internet ist ein zukunftsträchtiges Phänomen, Transparenz ist eine inspirierende Vorstellung. Doch irgendwann werden die Punks und Bilderstürmer kommen, und dann, wenn Witze über Steve Jobs genauso möglich geworden sind wie Diskussionen, die sich nicht um „technische Möglichkeiten“ drehen, dann wird das Internet vielleicht eines Tages seiner Utopie ähneln. Und die Stimmen der skeptischer gewordenen Gläubigen werden zu kritischen Stimmen werden.

(Der Autor hat sich ausführlich mit zahlreichen netzaffinen Menschen im persönlichen Gespräch auseinandergesetzt und behauptet nicht, dass das dargestellte Phänomen die Netzkultur in ihrer Gesamtheit zusammenfasst.)

Florian Schwebel

Bild: Teile einer „Karte“ des Internets, basierend auf Daten von opte.org am 15.01.2005. Jede Linie beschreibt zwei Knotenpunkte, welche zwei IP-Adressenrepräsentieren. Die Länge der Linien beschreibt die Verzögerung zwischen den Knotenpunkten. Diese Karte beschreibt weniger als 30% der Klasse C Netzwerke, welche Anfang 2005 von dem Datensammelprogramm erreicht werden konnte. Die Linien sind farblich entsprechend der RFC 1918 Addressbereiche gekennzeichnet:

  • Dunkelblau: net, ca, us
  • Grün: com, org
  • Rot: mil, gov, edu
  • Gelb: jp, cn, tw, au, de
  • Magenta: uk, it, pl, fr
  • Gold: br, kr, nl
  • Weiß: unbekannt