Ginge das mit der Kunst nicht auch unternehmerfreundlich? Ein Antrag auf Abschaffung der Künstlersozialversicherung. Und was er uns zu sagen hat

Welche Geschichte machen wir aus diesem Satz? „Der Bundesrat  fordert, dass die Künstlersozialversicherung abgeschafft oder  zumindest unternehmerfreundlich reformiert wird“.

Geschichte eins: Es handelt sich um einen Coup, der uns kalt erwischt  hätte, wenn nicht mal wieder aus den gewöhnlich gut unterrichteten  Kreisn die entsprechenden Informationen gekommen wären, die dem  kulturellen Widerstand und seinen Nutznießern in der Politik  Gelegenheit gegeben hätte, Argumente und Personen dagegen in  Stellung zu bringen. Uff, nochmal Glück gehabt. Alles halb so schlimm.  Eine nicht besonders dramatische, aber eine schöne Geschichte, die  davon handelt, dass wenigstens auf solchen Umwegen checks and  balances noch funktionieren. Leider die falsche.

Also Geschichte Nummer zwei: Die Drohung der Abschaffung der  Künstlersozialversicherung ist nur die Nebelgranate; wenn sich der  Nebel verzieht, ist genau der zweite Teil des schönen  Bundesratssatzes vollzogen, nämlich der „unternehmerfreundliche“  Umbau. Nicht einmal diese Geschichte ist zynisch genug, um der  Wirklichkeit gerecht zu werden, denn in Wahrheit findet dieser Umbau  längst statt. Ursprünglich war die Künstlersozialversicherung eine  durchaus menschenfreundliche Einrichtung. Heute erhalten auch hier  Leute, die solche Menschenfreundlichkeit suchen, Auskünfte der Art,  sie seien zu alt oder sollten, andersherum, in jugendlicher Kraft doch  lieber andere Erwerbsquellen suchen als ausgerechnet Kunst oder  freien Journalismus. An die Stelle der Selbsteinschätzung der  Versicherten ist längst die Vernetzung mit der Steuer getreten. Haben  die Künstler etwa betrogen? Aber klar. Blöderweise offensichtlich in  aller Regel zu ihren eigenen Ungunsten. Seit man nicht mehr den  Angaben der versicherten Künstler, sondern lieber den Finanzämtern  glaubt, ist das Durchschnittseinkommen der Versicherten gesunken.

Es gibt noch eine dritte Geschichte: Die fleißigen Ausschussmitglieder  des Bundesrats, die – doch, doch – irgendwer mal gewählt haben muss,  haben ein höheres Ziel: Sie wollen den vollkommen  unternehmerfreundlichen Staat, und dafür ist es nützlich, die Kultur  abzuschaffen. Jedenfalls jene, die von „freien“ Leuten gemacht werden  könnte.

Aber der Reihe nach. Wer ist das Subjekt dieser Versicherung?  Musiker, Bildende Künstler, Schriftsteller, freie Journalisten, Kritiker,  Übersetzer, wissenschaftliche Autoren, immer vorausgesetzt, sie  erzielen aus dieser „erwerbsmäßigen und nicht nur vorübergehend  ausgeübten Tätigkeit ein Mindesteinkommen, beschäftigen nicht mehr  als einen Arbeitnehmer und sind nicht anderweitig von der  Versicherungspflicht befreit“. Theoretisch ist dieses Subjekt klar: Die  Protagonisten einer Kultur, die nicht fest angestellt, im Staatsdienst  oder sonstwie ökonomisch und moralisch kontrolliert sind, eine etwas  unberechenbare Klientel, wo Staatsferne, Kapitalismuskritik oder  schlicht unternehmerfeindliche Schönheit von Gedichten, Bildern und  Musikstücken nur so blühen.

Eine schrumpfende Minderheit – vielleicht wäre die Lösung, sie unter  Artenschutz zu stellen und öffentlich auszustellen: Hier sehen Sie einen  Kritiker, der gerade einen von Arbeitgebern, Sponsoren,  Marktbeobachtern und Politikern vollkommen unabhängigen Gedanken  zu formulieren versucht. Das Problem ist nur: Auf diese Weise kommt  sehr selten ein unternehmerfreundlicher Gedanke zustande. Im Ernst:  Praktisch handelt es sich bei der KSV um einen sehr kleinen Beitrag  dazu, freien Künstlern und Autoren ein Minimum an sozialer Sicherheit  zu geben, Leben und Arbeit von und für Kultur ein wenig zu  vermenschlichen, und zwar auf einem Sektor, bei dem die Schere groß  ist zwischen einer kleinen Schicht der Gutverdienenden und einer  Masse von Menschen, die in armseligen und prekären Umständen  leben und arbeiten. Man kam im Jahr 1981 darauf, um freischaffende  Künstler und Publizisten auf diese Weise in das System der  gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu integrieren.  Der Beitrag wird zur Hälfte von den Versicherten, zur Hälfte von den  „Verwertern“ kultureller Leistungen, in Form einer pauschalen  „Künstslersozialabgabe“ erbracht, die sich prozentual aus den  Honorarzahlungen für Künstler und Autoren errechnet. Diese Zahl ist  tendenziell fallend: Im Jahr 2006 betrug sie noch 5,5 Prozent, 2008  waren es 4,9 Prozent. Dazu kommt ein Zuschuss des Bundes.  Versichert in der KSV sind im gegenwärtigen Stand etwa 160.000  Menschen. Das gemeldete jährliche Durchschnittseinkommen der  Versicherten beträgt im Jahr 2006 10.814 Euro; es war damals im  Verhältnis zum Vorjahr um drei Prozent gesunken, und wer käme auf  die Idee, dass sich dieser Abwärtstrend nicht fortsetzte. Man stelle sich  also vor, dass ein „durchschnittlich“ verdienender Künstler mit um die  900 Euro monatlich nicht nur auskommen, sondern auch einen Teil  seiner Arbeitsmittel begleichen muss.

Was diese Zahlen aber nun gerade nicht erklären ist der doch  offensichtlich so vollkommen unangemessene politische und  ökonomische Eifer, mit dem man von mehreren Seiten dieses extrem  bescheidene Mittel einer Förderung von Kultur außerhalb der  Korruptions- und Markthysterien bekämpft.Auftritt der, ich nehme mir  die Freiheit, sie so zu nennen: Schurken in unserer Geschichte. Eine  der treibenden Kräfte hinter dem zähen Versuch, die KSV zu kippen, ist  seit Jahr und Tag der „Bundesverband der Selbständigen“. Entgegen  dem Namen geht es dabei um die Interessen von etwa 60.000 kleinen  und mittleren Unternehmen, daneben gehören lokale und regionale  Handels- und Gewerbevereine zu den Mitgliedern.

Präsident ist der Rechtsanwalt Günther Hieber, Präsidentin war bis zu  diesem Jahr die Fachanwältin und ehemalige Bundestagsabgeordnete  der CDU, Dorothea Störr-Ritter. Sie spricht im Verbandsblatt Der  Selbständige: „Die soziale Marktwirtschaft darf sich nicht weiter zur  Staatswirtschaft entwickeln. Zudem darf unmoralisches Fehlverhalten  bei Großkonzernen nicht zu übertriebener Regulierung führen.“ Mit der  Logik dieses Gedankens wollen wir uns weiter nicht aufhalten, denn da  erfahren wir noch nebenbei: „Auf der Mittelstandskundgebung am 21. Oktober sprach als Hauptredner Reinhard Bütikofer,  Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen“, und „der Parteichef  sprach bei vielen wirtschaftspolitischen Punkten den Mittelständlern aus  dem Herzen. In seiner durchaus launig vorgetragenen Rede gab es viel  Marktwirtschaft und wirtschaftsliberale Ansichten“. So verstehen wir  einmal mehr, mit wessen Unterstützung die armen Säue von Künstlern  und Kritikern ganz bestimmt nicht rechnen können. Weder die  Wirtschaftsliberalen von den Grünen noch die Agenda-SPD hat eine  Interesse am kritischen, reflexiven und ästhetischen Potential der  Kultur. Zwar stellen sich einzelne Politiker gegen die Abschaffung der  KSV, aber keine Partei setzt sich einem programmatischen Diskurs  aus.

Bei der Bekämpfung der KSV geht es um das, was launige  Marktwirtschaftler „Peanuts“ nennen. Der Staat müsste die minimale  Unterstützung der freien Künstler, würde er sie sich sparen, an anderer  Stelle wieder ausgeben, dann aber eben für Sozialfälle. Ich vermute  einmal, dass allein die Anti-KSV-Lobbyarbeit erheblich mehr Geld und  „Arbeit“ macht, als die Bundesrepublik je in die  Künstlersozialversicherung gepumpt hat.

Was also sind die Erklärungen für dieses offensichtlich so widersinnige  Tun? Die einfache Erklärung: Unsere famosen Mittelständler folgen  „politisch“ dem Instinkt ihrer Klasse. Sie neiden dem niederen  fahrenden Volk noch die Krümel unter ihrem Tisch. Man kann das  trefflich aus der Selbstbeschreibung von Frau Störr-Ritter im  Verbandsblatt ableiten. Mittelständische Unternehmer, behauptet sie  da, seien eben nicht mit den „Heuschrecken“ zu vergleichen, die den  Kapitalismus so ins Gerede gebracht hätten, als vielmehr mit „fleißigen  Ameisen“. Einmal abgesehen davon, dass der Konflikt zwischen  fleißigen Ameisen und brutalen Ausbeuter-Heuschrecken aus einem  amerikanischen Animationsfilm für Kinder stammt, eröffnet er den  Ausblick auf die Produktion des Feindbildes: Die Ameise, die sich vor  der Heuschrecke fürchtet, darf die Grille hassen. Die tanzt und fidelt  den ganzen Tag herum, verfasst Spottverse auf den fleißigen  Ameisenstaat und führt überhaupt ein liederliches Leben. Die Ameise,  die keine Heuschrecke werden darf, will wenigstens die Grillen  vernichten.

Eine zweite Erklärung ist: Es handelt sich um einen Akt symbolischer  Politik, mit dem diese leidige „Regulierung“ angegriffen wird, die auf  keinen Fall durch die Unmoral in den Großkonzernen gerechtfertigt  werden darf. Man haut also (neben dem lustigen Grillenkillen) auf die  KSV ein, um in Wahrheit jede Art von Regulierung zu treffen. Und dann  gibt es noch eine Erklärung: Auch der Bund der Selbständigen will sich  beteiligen am Projekt der Abschaffung dieser Kultur. Kultur, das soll  nun sein: Der Kunstmarkt, der sich am besten in Euro-Millionen bei  Auktionen oder Messen und in Zahl geleerter Champagnergläser  ausdrückt, und für das Volk abwechselnd Reality TV und Rosamunde  Pilcher.

Nehmen wir die politische Geschichte von einer gezielten und  konzentrierten Attacke auf die „freie“ Kunst und Kritik ernst, so ist zu  fragen, wo die offensiven Verteidiger bleiben. Die Vertreter der  medialen Spaßgesellschaft haben Wichtigeres zu tun, als ihre Zeit mit  kulturellen Kirchenmäusen zu verplempern; von den zuständigen  Gewerkschaften haben Freischaffende nicht viel zu erwarten; kollegiale  Solidarität hat es nicht gegeben. So wird also diese Geschichte genau  so ausgehen, wie sie ausgehen sollte: Eine ernsthafte Debatte um die  Kultur in dieser Gesellschaft wird nicht geführt. So richtig abgeschafft  wird die Künstlersozialversicherung nicht. Halt nur ein bisschen  unternehmerfreundlicher umgestaltet. Für den Verband der  Selbständigen gibt es noch viel zu tun. Und Volksvertreter, die ihren  Auftrag darin sehen, in seinem Sinne Anträge zu verfassen, werden  nächstes Jahr wiedergewählt.

Autor: Georg Seesslen