Und schadet´s der Gesundheit, es war auch eine Kultur: Fragmente einer Sprache des Rauchens, die kommenden Generationen fremd sein wird

Eine Kultur gewöhnt sich das Rauchen ab. Möglicherweise ist das gut so; vom medizinischen Standpunkt aus gesehen ist dagegen wahrscheinlich nichts zu sagen, die soziale Praxis, die man dazu braucht, ist vielleicht nicht mehr ganz so sympathisch: Auch bei diesem gut gemeinten Umbau produziert eine Gesellschaft wie die unsere Gewinner und Verlierer, und niemanden überrascht es, dass es nicht die Konzerne sind, die zu letzteren zählen.

Jede Veränderung eines sozialen Systems bringt mit dem beabsichtigten Ziel ein paar Risiken und Nebenwirkungen mit sich. Dazu gehört etwa, dass sich sowohl der Markt als auch das dazu disponierte Individuum neue Medien von Regression und guilty pleasure suchen. Dazu gehört die Unruhe einer ausgegrenzten Minderheit von Rauchern, an der sich die Mehrheit einmal wieder erschaffen darf. Und dazu gehört schließlich, wie bei jedem System, die Veränderung des Ausdrucks. Mit dem Rauchen verschwindet nicht nur ein gesundheitsschädigender Genuss beziehungsweise eine nicht minder gesundheitsschädigende Belästigung von Mitmenschen, sondern auch eine Sprache. Beim Rauchen hat der Mensch der Moderne (die ja vielleicht auch mit dem Rauchen verschwindet oder umgekehrt) nicht nur etwas in sich hinein geholt, sondern auch etwas aus sich heraus. Er und sie haben sich mit dem Rauchen dargestellt.

Das freilich ist mittlerweile schon wieder so lange her (denn noch in der Phase der rein propagandistischen Ächtung des Rauchens verwandelte sich die Gestensprache des Rauchens vom offensiven Posen zum defensiven Trotz), dass wir es beinahe vergessen haben, wie viel man mit einer Zigarette in der Hand hat sagen können, ohne zu sprechen. Das begann mit der Wahl des Rauchbaren und seiner äußeren Form: Pfeife, Zigarre, Zigarette, Selbstgedrehte. Das setzte sich fort in der Wahl der Zigarettenmarke; nirgendwo in der Warenwelt durfte man sich ja so als persönlicher Image-Bastler ernstgenommen fühlen wie in den Werbebotschaften der Zigarettenfirmen. Es setzte sich in der Selbstdefinition des Rauchers fort: Genussraucher, Kontaktraucher, Verlegenheitsraucher, Stressraucher, Suchtraucher, und in der Wahl der Gelegenheit; die Zigarre zum Cognac, die Zigarette danach, der überquellende Aschenbecher einer mehr oder weniger bedeutsamen Konferenz. Apropos Aschenbecher: Rund ums Rauchen hatte sich eine reichhaltige Kultur der Accessoires entwickelt. Fast so wichtig wie die Zigarre ist der meistens „wertvolle“ Zigarrenabschneider, es gibt Aschenbecher, die wie geschaffen scheinen, einen Mord damit zu begehen, und ein Feuerzeug und die Art es zu handhaben ist ein dramaturgisches Instrument höchsten Ranges: Ebenso viele Liebesgeschichten wie ewige Konkurrenz hätten gar nicht stattgefunden, wenn nicht zum richtigen Moment das richtige Feuerzeug eine richtige Rolle gespielt hätte. „Got a Match“ klingt um so viel poetischer als „Schönes Wetter heute“.

Und dann eben geht es erst richtig los. Die Art, sich eine Zigarette anzuzünden (und, zum Beispiel, das Streichholz loszuwerden), die Art, den Rauch auszustoßen, die Art, das Ding in der Hand zu halten, die Art, sich gegenseitig Rauchzeug anzubieten (gar das Angebotene zurückzuweisen: „Danke, ich habe meine eigene Marke“, das war in aller Regel der Beginn einer wunderbaren Feindschaft). Ganz zu Schweigen vom Zigarettenschnorren, dem Zigarrenstummel-Sammeln, dem heimlichen Rauchen der Kinder am Bahndamm, der ersten Zigarre beim Firmungsfest, der „Zigarettenwährung“ oder dem Schauspiel, so zwischen Zickigkeit und Gotterbarmen, das jemand in seinem Milieu gibt, der sich gerade das Rauchen abgewöhnt. Marginalien wie das Licht in einem „Raucherkino“, Folter und Selbstverstümmelung durch brennende Zigaretten, Zigarettenspitzen zur Abendgarderobe, immer praktischere und aufwändigere Apparaturen zur Herstellung selbstgedrehter Zigaretten, Aschenbecher am Armaturenbrett einer Limousine, Rauchringe auf der Bühne eines Magiers, die Zigarette als persönlicher Protest gegen „Die deutsche Frau raucht nicht“ oder „Man raucht nicht auf der Straße“, Rauchgestank auf der Toilette eines Gymnasiums, Lippenstift auf Zigarettenfiltern, das Klopfen mit einer Zigarette auf die Packung. Alles vorbei, mehr oder weniger. Die Sprache des Rauchens ist noch gar nicht beschrieben, da wird sie abgeschafft.

Noch komplizierter freilich wird der Eingriff in die Archive. Wir sind uns gesamtkulturell noch nicht einig. Sollen wir unsere Vergangenheit als die von Rauchern akzeptieren, durchaus als warnendes Beispiel? Warum nicht: Wir haben ja auch die Bilder aufgehoben, auf denen Menschen zu sehen sind, die mit nicht mehr als einer Sonnenbrille geschützt der Explosion einer Test-Atombombe zusehen. Ähnlich könnten wir doch etwa die Bilder aus Gangsterfilmen der vierziger Jahre bewahren, wo die rüden Herren mit Hüten und Pistolen in düsteren Hinterzimmern hocken und die Luft so verräuchern, dass diese Welt nur als expressives Nebelwerk zu begreifen ist. Oder sollten wir andrerseits, schon um der Kinder wegen, nicht wahr, zumindest den Idolteil und die pädagogisch relevanten Segmente des Archivs der Popkultur den Rauch betreffend säubern? Keine Zeichentrickfilme mehr, in denen geraucht wird, weder von Menschen noch von Tieren oder Quatschwesen jeder Art. Schon vor Jahr und Tag musste sich unser Lieblingscowboy Lucky Luke das Rauchen nicht nur abgewöhnen, es wurde auch seine Vergangenheit umgezeichnet: Statt einer selbstgedrehten Zigarette durfte er fortan einen Grashalm im Mund haben. In seiner Zeit war das vermutlich gesundheitlich weniger bedenklich als im Zeitalter von Fungi- und Pestiziden.

Die Sprache des Rauchens in der Moderne war zwar einerseits literarisch vorgezeichnet. (Muss man nicht eine Unzahl moderner Klassiker, von Camus bis Borchert, unter dem Denikotisierungsaspekt noch einmal neu betrachten: Bibliotheken aufgepasst! Markieren wir die Rauchstellen bei Dostojewski, Thomas Mann oder John Steinbeck! Warnaufkleber auf die Schutzumschläge: Dieses Buch enthält Rauchszenen!). Aber sie konnte zur Blüte nur kommen durch das Kino. Das Kino war seit den zwanziger Jahren die perfekte Werbung für das Rauchen, und später waren Kinostars die perfekten Werbeträger für Zigarettenmarken. Und das Kino war eine Schule der Semiotik des Rauchens.

Natürlich können wir uns weder Marlene Dietrich noch Humphrey Bogart ohne Zigarette vorstellen. Mae West in Goin´ to Town von 1935, die eine Zigarette an die Lippen setzt und ein halbes Dutzend Smoking-Männer drängen sich um sie, um ihr Feuer zu geben; Greta Garbo, wie sie mit ihrer Zigarette immer auf die Stelle zeigt, die sie an einem Mann am meisten interessiert; Hildegard Knef, die ihre herben Züge im Zigarettennebel weichzeichnet; Lana Turner, die die Zigarette in der Hand hält wie einen Stift, mit dem man ein sündiges Leben niederschreiben muss. John Wayne, der seinem Kumpel Robert Mitchum eine Zigarette drehen muss, weil dessen Hände nach viel zu vielen Whiskys zu zittrig geworden sind; Edgar J. Robinson, der seine Zigarre auf seine Widersacher richtet wie die gefährlichste aller Waffen; Clint Eastwood, den Zigarillo im Mundwinkel, schussbereit und abgerissen.

Rauchen im Film ist nicht nur eine Form der Darstellung des Subjekts und eine Sprache zwischen den Subjekten, es schafft auch Raum und Atmosphäre. Rauchen entspricht einer bestimmten Beziehung von Distanz und Nähe, von Gemeinsamkeit und Isolation. Im Rauchen sind die Menschen einander halbnah. So wie sie eine Halbruhe erzeugen. Dass man die Friedenspfeife raucht in einem Indianerwestern ist so klar wie der Umstand, dass sich der junge Offizier dabei mit einem Hustenanfall verschluckt. Allerdings rauchten die Matinee-Cowboys nicht (sie tranken ja auch keinen Schnaps); im Western war Rauchen ein Zeichen für das Erwachsen- und Authentischwerden, aber bis in die sechziger Jahre hinein waren hier zumindest exzessive Raucher entweder komisch oder böse. Ein guter Cowboy raucht nur, wenn seine Arbeit getan und die Welt um ihn herum friedlich ist.

Die Zukunft war im Kino schon immer ziemlich rauchfrei: In Raumschiffen und Superfabriken wird nicht geraucht. Es sei denn, dass Wissenschaftler ihre Pfeife brauchen, die sie nur aus dem Mund nehmen, wenn sie etwa erklären, warum innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden die Welt untergeht. Man muss das verstehen: Rauchen bedeutet einen Überfluss, einen Rest, einen Ausdruck von Bannung, Genuss und Ausdruck, der nicht in der bloßen Effizienz aufgeht. Die latente Obszönität kommt daher nicht allein von der erotischen Zeichensprache (das mit dem „phallischen Symbol“ taucht in aller Regel schon wieder als karikierende Übertreibung auf), sondern von eben diesem Überfluss. Also darf man beim Nachdenken, in der Pause oder nach dem Essen am Lagerfeuer rauchen, im klassischen Hollywoodkino indes nicht unbedingt „während der Arbeit“, wie es der europäische Film-Proletarier gern macht. Und je mehr Männer beieinander sind, desto notwendiger müssen sie rauchen. Eben wegen dieser Distanz- und Nähe-Geschichte. Frauen rauchen mehr aus sich heraus, Männer rauchen mehr in sich hinein. Bei Frauen ist das Rauchwerk eher eine Verlängerung, bei Männern eine Rekursion bis hin zu einer klassisch-rebellischen Haltung, in der die Zigarette mit der brennende Seite zurück in den Handballen gehalten wird. Deswegen sieht man Frauen auf der Leinwand beim den Rauch ausstoßen, Männern dagegen hauptsächlich beim Inhalieren zu. Andrerseits sind es wiederum Männer, die sehr gern in der Badewanne rauchen. Für einen Cowboy gibt es offensichtlich nichts, was sich nach einem langen Trail so lohnt wie ein heißes Bad mit einer Zigarre im Mund.

Zigarren kann man natürlich auch verschenken. Aber anders als das Angebot einer Zigarette, das immer provokativ oder erotisch gemeint ist, steckt im Zigarrenverschenken häufig eine versteckte Kränkung. Gute Zigarren sind der Ausweis dafür, dass man es geschafft hat. (Wer es übertreibt, wird früher oder später erschossen.) Sie sind Zeichen einer besonderen Form von etablierter Männlichkeit. Nicht der dynamische, der herrschende Mann, Sie verstehen. Im Zentrum der bürgerlich-patriarchalischen Herrschaft steht eine Zigarre, aber der Gangster hat sie gestohlen. Danach kommt das Geld, und dann kommen die Frauen. Rauchen hat eine Ordnung und eine Sprache, aber es ist eine instabile Ordnung und schwierige Sprache, voller Zweideutigkeiten und Missverständnisse. Melodramatisch.

Was tun mit einem Kino der leeren Hände und der rauchlosen Atmosphären? Nicht jede Zigarette ist durch eine Handfeuerwaffe zu ersetzen, und nicht alles an Atmosphäre lässt sich durch Ausstattungsobjekte ersetzen. Ein Kino, in dem nicht mehr geraucht werden darf, muss unbedingt schneller werden. Die Dynamik im Bild muss sich wohl in eine weitere Dynamik zwischen den Bildern verwandeln. Eine Sprache in der Sprache muss ersetzt werden.

Und dann immer noch diese leidige Frage: Dürfen Filme, in denen geraucht wird, denn überhaupt noch allgemein zugänglich sein? Muss nicht eine Gesellschaft, die sich das Rauchen abgewöhnt, auch ihre Erinnerung verändern? Oder wird, anders herum, die visuelle Sprache des Rauchens in den Filmen kommenden Generationen als Fremdsprache erscheinen, der man sich erst über gewisse Abstraktionen nähern kann. Wir werden diese Bilder nicht mehr verstehen als Zeichen einer normalen Kommunikation. Denn für uns und unsere Nachkommen werden rauchende Menschen auf der Leinwand immer etwas Anrüchiges, Gefährliches oder Verbotenes tun.

Text: Georg Seesslen

 

Ernesto „Che“ Guevara (Benicio Del Toro) und Fidel Castro (Demian Bichir)

 

 

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