Warum im post-post-pornographischen Blick die Maschine das Zentrum des Bildes besetzt

Erst einmal eine einfache Beobachtung: Die Maschinen werden immer menschlicher und die Menschen immer maschineller. Weiß ja jeder. Doch ist die Menschlichkeit der Maschinen von grundsätzlich anderer Art als die Maschinisierung des Menschen. Einmal handelt es sich um die Erscheinung, das andere mal um die Funktion. Je beweglicher und kommunikativer die Roboter werden, desto androider sollen sie erscheinen, vorwiegend, was den Look und was die Stimme anbelangt. Die Konstrukteure erklären das sehr einleuchtend: Je „menschlicher“ das Äußere einer Maschine, desto leichter fällt es den Menschen, mehr oder weniger angstfrei mit ihr umzugehen. Die Menschlichkeit der Maschine macht sie vertrauenerweckend, erst einmal. Die vertrauenerweckendste Maschine gleicht dem Menschen, vor dem eine Gesellschaft am wenigsten Angst hat, bzw. jenem, den man am ehesten „unter Kontrolle“ zu haben scheint. Weshalb man versteht, warum in der einen Gesellschaft der ideale Roboter die Form eines Schulmädchens und in der anderen die eines urbanen Hochneurotikers hat und die „guten“ Roboter in „Star Wars“ an komisches Duo der Art von Laurel & Hardy erinnern.

Interessanterweise aber heißt „menschlich“ immer auch sex und gender. Unser Gott hat nun mal den Menschen als Mann und Frau geschaffen, keine Ahnung, was er (oder sie) sich dabei gedacht hat, und genau das hat er in seinem Heiligen Text ziemlich an den Anfang stellen lassen. Will der Mensch also eine „emotionale“ Beziehung zur Maschine herstellen, indem er sie menschlich erscheinen lässt, kann er die Phantasie eines wechselseitigen Begehrens nicht unterbinden. Es gibt nicht nur feuchte Maschinenträume (die erotische Bewegungspuppe, mit der Casanova den letzten Tanz hat, in Federico Fellinis Film; der Roboter Victor bei „Barbarella“, der sich nach dem Ficken mit der Heldin entschuldigt, dass seinen Impulsen immer noch etwas mechanisches anhaftet); jeder Maschinentraum tendiert zur Feuchtheit. Die Maschine, die das Begehren in Macht zu verwandeln versprach, ist daher sogar mehrfach sexuell besetzt. Und noch schnurrende und zurrende Industrieroboter, von allen erdenklichen Transformers ganz zu schweigen, bringen den Diskurs von Sexualität und Kontrolle in Gang.

Die Maschine, mit der wir leben werden, wird daher (abgesehen von Kriegs- und Bürgerkriegsmaschinen) in einer Schnittstelle des Am-wenigsten-gefürchteten und des Am-meisten-begehrten entstehen.

Sexualität ist ursprünglich ein einigermaßen dramatisches Geschehen zwischen Körpern. Die gute Lust der Paarung verlangt nach reiner und direkter Körperlichkeit. (Sie ist, wir erinnern uns der Zeit, als wir alles in der Evolution noch für vernünftig hielten, eine Gratifikation für die Notwendigkeit der Fortpflanzung: Das Schöne am Menschen, so dachten wir, ist es, dass er nicht ficken muss sondern wollen darf.) Aber andrerseits will Lust eben immer auch gesteigert und transformiert werden. Was den Anteil der mechanischen Arbeit am Körper des anderen anbelangt, schien man schon höllisch früh auf die Idee gekommen zu sein, Hilfsmittel, technische Verstärker, Übertragungsapparate zu verwenden (die Grenzen zwischen medizinischen Apparaturen, Folterwerkzeugen und sexuellem Spielzeug waren da immer sehr ungenau). Und was den Anteil der Phantasiearbeit anbelangt, wurde die Inszenierung – die Semantik der Liebe – zu einem festen Bestandteil der erotischen Kultur. Die authentische Sexualität ist ein Phantasma, möglicherweise ist Sexualität nichts anderes als dasjenige körperliche Geschehen, das durch „technische“ Eingriffe und Transformationen, durch semiotische und fiktionale Anreicherungen und schließlich, logisch, durch gesellschaftliche Codes und Kontrollen erfunden wird.

Die klassische Pornographie demnach ist die Herstellung einer Illusion von authentischer Sexualität (Wirklichkeitsrest im Mythos, wir kennen das). Pornodarsteller ficken wie die Tiere und das in kindlicher Unschuld. Keine komplizierten Liebesgeschichten, keine Codes, keine umständlichen Annäherungen, natürlich auch keine Enttäuschung und keine „Bindung“. Die Sache selbst in radikaler Körperlichkeit. Die Herstellung von vollständiger Gegenwärtigkeit. Das kann man am besten mit „Profis“, mit Leuten, die das Artistische und Performative beherrschen. Und ja, klar, auf der kulturellen Ebene ist diese authentische Form der Sexualität wiederum das überhaupt Falscheste, nämlich etwas „mechanisches“.

Der post-pornographische Blick hysterisiert und persifliert diese authentische Sexualität zugleich. Bei ihm kommt es weniger auf das Schauspiel als auf den Zugriff an. Die in der klassischen Pornographie mehr oder weniger ausgeblendete Gesellschaft ist im post-pornographischen Blick ein wesentlicher Bestandteil. Nicht mehr die Reinheit, sondern die Veröffentlichung des Körpers ist Skandal und Gewöhnung darin (und selbst eine Koch-Sendung des Fernsehens betritt der Mensch des Jahres 2010 mit dem Bemühen, ein rechtes Maß an Selbstpornographisierung und sozialverträglicher Obszönität im mehr oder weniger öffentlichen Raum abzuliefern, von den „Big Brother“-Inszenierungen zu schweigen). Das Authentische in der Sexualität im post-pornographischen Blick umfasst die Sozialisierung wie die Legitimierung; daher geht es um die Entblößung, Hysterisierung und Entwertung der Körper von Nachbarinnen, Ex-Geliebten, Familienmitgliedern oder voyeuristisch belagerten Mitmenschen, ebenso aber auch um die Sexualisierung der Prominenz, der Macht, der Technologie, der Medien.

Der post-post-pornographische Blick sieht von dieser allgemeinen und gewöhnlichen Pornographisierung der Welt wieder ab und entdeckt zunächst den Fetisch-Diskurs neu. Er möchte manisch Ordnungen schaffen im Reich des Begehrens, differenziert die Genres, man verknappt im Kampf gegen die Beliebigkeit und Zugänglichkeit des Pornographischen das Ziel; man kühlt das Begehren gleichsam ab, während man das Interesse auf die Erzeugung und Kontrolle der Lust konzentriert. Und man fühlt sich immerhin als Komplize, wenn nicht als Subjekt der Konstruktion einer sexuellen Identität (auf Zeit).  So entstehen einerseits sexuelle Traum- und Parallelwelten (ein erotisches world building wie meinethalben bei Abby Winters oder den diversen 3D-Kreationen von „Incest Families“ oder Tentakel-Animes und Bukkake-Ritualen) und andrerseits ein neues Interesse an der Technologisierung und Medialisierung. Da wird ein „Vorwand“ aus der alten Pornographie nach und nach zum Zentrum. Die Instrumente und Methoden der Kontrolle der Lust auf der einen, die der Simulation und Fiktion/Realität-Durchmischung werden nicht nur immer perfekter, sondern auch immer diskursiver. Die beiden Pole „Maschinensex“ und Cybersex sind dabei zugleich Fortsetzung und Negation des „Reality Porn“. Wenn der post-pornographische Diskurs auf ein Immer und Überall hinaus lief, so läuft der post-post-pornografische Diskurs auf eine offenbar vollständige Regelbarkeit und Kontrolliertheit hinaus. Der feuchteste Traum ist es, den jeweils anderen (oder gleich mehrere davon) über Joysticks und Stufenregler zum Orgasmus zu bringen, ohne ihn oder sie zu berühren. Wie maschinell oder virtuell „der andere“ ist, gerät dabei gelegentlich in einen neuen Unschärfe-Bereich; der Turing-Test spielt hier keine zentrale Rolle, oder, anders gesagt: im Gegenteil! Die fickende Traum-Maschine macht ihn überflüssig.

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Die sexuelle Maschine wird zum radikalsten Subjektverstärker,

der den Körper in Regionen anspricht, von denen der Kopf

noch keine Ahnung hat und Phantasien stimulieren,

die dieGesellschaft zu verbieten noch keine Gelegenheit hatte.

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Im post-post-pornographischen Blick kehrt einerseits das Performative der Klassik zurück, die Maschine (die Kamera) drängt sich nicht einfach mehr ins Intimste, das bereitwillig oder nicht, überlassen wird, die Maschine wird vielmehr selber Teil der pornographischen Inszenierung. Interessanterweise begegnen sich dabei zwei sehr unterschiedliche Sprechweisen, die pornographische und die technologisch-konsumistische. Eine Variation des Mythos ordnete dem Mann die sichtbare und der Frau die unsichtbare Maschine zu. Sogar eine Fickmaschine möchte (in dieser Variante des Mythos, wohlgemerkt) nicht immer allzu deutlich als Maschine erkennbar sein (wohl aber als „Künstliches“). So heißt es in einem Testbericht in einem Internet-Forum über die Hornyhorse – Fickmaschine: „Schon auf dem ersten Blick sieht man, dass Hornyhorse für das weibliche Auge geschaffen wurde. Man sieht nichts Technisches. Motor, Getriebe, Gestänge, Akku – einfach alles wurde in einem farbenfrohen und weich gepolsterten Gehäuse verpackt. Wir konnten nicht widerstehen und wagten den Kauf.“

Die Maschinisierung der Sexualität ist ja beileibe keine neue Erfindung; wenn man den Archäologen glaubt, gibt es den künstlichen Penis seit Beginn der Menschheitsgeschichte, und keine Phase der Entwicklung von Maschinen und Traummaschinen, in der es nicht auch eine sexuelle Ableitung dazu gegeben hätte.

Was sich indessen entscheidend ändert geschieht im Dreieck von Gebrauchsmacht, Legitimierung und Ästhetik. Vor gut anderthalb Jahrhunderten war ein Vibrator ein ärztliches (in der Tat dampfgetriebenes) Instrument, das der Lösung von Verspannungen und der Bekämpfung der Migräne diente (es handelte sich also um eine Art Masturbation unter ärztlicher Aufsicht und wurde im ja so „prüden“ Viktorianismus auch öffentlich gutgeheißen und beworben). Auch die nächste Welle der maschinisierten Lust, das Gerät, was man bei Dr. Müller oder Beate Uhse besorgte, stand im Zeichen der „Gesundheit“ der Lust (Hippies und Pastoren schüttelten indes gleich widerwillig den Kopf); der Vibrator war verwandt mit der elektrischen Aufrüstung des Haushaltes, bei dem umgekehrt auch wieder beinahe jedes Gerät, vom Rührfix zum Staubsauger, zur Sexmaschine umfunktioniert werden konnte. Und nicht einmal nach der nachhaltigen Privatisierung der elektrischen und elektronischen Sexualmaschinen und ihrer medialen Hype („Sex & the Cities“ definiert, welche Art von Dildo State of the Art für besser verdienende Mittelständlerin ist) ist dieser „gesundheitliche“ Aspekt verschwunden. Der „Sybian“ ein Vibrator auf einer (ledernen, ebenfalls in wählbaren Rhythmen vibrierenden) Unterlage, wird in der Werbung zu „Entspannung und Selbstvertrauen insbesondere der berufstätigen Frau bei Stressbewältigung und Karriereplanung“ angepriesen, und wiederum als hervorragendes Mittel gegen Migräne, das die Einnahme von schädlichen Medikamenten überflüssig macht. Aber die Sexmaschinen haben keine Lust mehr, traurig zu sein.

Die Maschinisierung der Sexualität, die die Natur des Begehrens mit Kontrolle und Vernunft aufzuladen versprach, wird mehr und mehr dem sexuellen Subjekt (und seinem Bild) übereignet: Die guten großen Sexmaschinen, die täuschend echten Sexroboter und -puppen, das kleine Undercover-Equipment, mit dem man mehr oder weniger gefahrenlos sogar durch den Zoll kommt, weil da alles als Lippenstift, Taschenlampe oder Shampoofläschchen getarnt ist, die Programme, mit denen man ein sexuelles Drama mit der Fernsteuerung beherrschen kann, all das hat nur einen Nachteil: Man muss es sich leisten können. (Immerhin, das App, „McVibe“ genannt,  mit denen man sein Mobiltelefon in einen regelbaren Vibrator verwandelt, ist noch umsonst zu haben.)

Die Maschinisierung der Lust, die sich nach und nach von ihrem „medizinischen“ Diskurs befreit und auch das Odium von Hilfsmittel und „Ersatz“ verliert, gehört offensichtlich zum großen Projekt der Spaltung des „ursprünglichen“ sexuellen Diskurses: Reproduktion, das sexuell attraktive Äußere und die direkte Erzeugung von Lust haben so gut wie nichts mehr miteinander zu tun. Kinder werden im Labor gemacht, das sexuell attraktive Äußere erschöpft sich im sozialen Gebrauch (Karriere und Unterhaltung), und die Maschine ist der beste Sexualpartner, den man sich denken kann, zumal wenn sie doppelt erscheint, als mechanische und als Traummaschine.

A woman poses on a horse riding simulator at the Zander Institute in New York, 1908

A woman poses on a horse riding simulator at the Zander Institute in New York, 1908

Aber das ist nur die eine Seite des Vorgriffs auf eine sexuelle bzw. nicht-sexuelle Zukunft. Denn der sexuelle Terminator (den es natürlich schon längst als Porno-Phantasie gibt) ist möglicherweise viel mehr als das Gespenst eines neuen sexuellen Subjekts. Und vielleicht auch das genaue genotypische Gegenteil seiner phänotypischen „Mechanik“ und „Dinghaftigkeit“: nämlich die Maschine, die das Innenleben eines Menschenkörpers so kennen kann wie es kein anderer Mensch, und nicht mal der Mensch selber kann. Die sexuelle Maschine wird zum radikalsten Subjektverstärker, der den Körper in Regionen anspricht, von denen der Kopf noch keine Ahnung hat und Phantasien stimulieren, die die Gesellschaft zu verbieten noch keine Gelegenheit hatte. Das ist der Thrill der post-post-pornographischen Inszenierung: Vielleicht könnte ja das Bild vollkommener Kontrolle, mechanische Justierung und neurologische Stimulierung (das sexuelle Bild der Zukunft mag dann direkt ins Gehirn übertragen werden, weshalb man vielleicht gar nicht mehr vom Bild sprechen kann), ins eigene Gegenteil, ins Reich der Unkontrolle, kippen. Life Science, Science Fiction und Pornographie bilden eine neue Einheit. Es ist die Maschine, die dein Geschlecht konstruiert, so wie du zuerst das Geschlecht der Maschine konstruiert hast. Hippies und Pastoren sind schon mal vorauseilend entsetzt.

Text: Georg Seeßlen

Text erschienen in spex, Januar/Februar 2011, #330