Vorzimmer zur Hölle
Das deutsche Fernsehen zeigt, wie Frauen von heute Sexualität und Ökonomie patent miteinander verbinden. Viel Drehbuchfantasie benötigt man dazu nicht, im Gegenteil: Narrative Vergewisserung mag man so etwas nennen.

Deutsche Frauen im Idealtraum des deutschen Fernsehens erben sehr regelmäßig irgendwo in wuuuunderschöner Landschaft ein feines, kleines Unternehmen, verlieben sich dort in pflegeleichten, arbeitstüchtigen Naturburschen oder finden zurück zur wahren, zur Jugendliebe. Bei der sexualökonomischen Lebensplanung zeigen sie, dass sie aus den Fehlern mit den Loser-Schnarchsäcken daheim gelernt haben, und verbinden perfekt und patent guten Sex mit sozialem Aufstieg. Zwischendurch darf geheult und gelacht werden. Aber nicht zu viel.

Die Ausbeute aus zwei Wochen von Erstsendung und Wiederholungskarrussel: Hamburger Landschaftsarchitektin erbt Weingut bei Barcelona, zieht mit Tochter dorthin und verliebt sich in attraktiven Spanier (dessen Vater, böser Spekulant, erst mal was gegen das neue Glück hat): „Geerbtes Glück“ (2004, R: Heidi Kranz). Besitzerin von Luxushotels unternimmt mit Manager-Neffe Reise nach Mexiko, dort trifft sie adelige Jugendliebe wieder (Neffe hat erst mal was dagegen): „Traumhotel-Überraschung in Mexiko“ (2005, R: Marco Serafini). Hamburger Unternehmensberaterin erbt Eisdiele in Ligurien: Geschäftsfrau plus genialer Eiskünstler plus Liebe ist gleich Erfolg (alle Welt hat erst mal was dagegen): „Erdbeereis mit Liebe“ (2007, R: Oliver Dommenget).

Tochter erbt Bauernhof und findet in bosnischem Knecht Hilfe und Liebe; die Mutter hat was dagegen: „Bauernprinzessin“ (2003, R: Susanne Zanke). Deutsche Frau in Afrika wird von Ehemann vernachlässigt und verliebt sich in Buschpiloten; die Familie hat was dagegen: „Kein Himmel über Afrika“ (2005, R: Roland Suso Richter). Alleinerziehende unter der Fuchtel ihrer Eltern findet Platz auf Hausboot und Stelle bei Modefotografen, der sich natürlich in sie, blablabla, und wer hat was dagegen? Jaja, schon gut: „Harriets Traum“ (2010, R: John Delbridge).

Wenn es nicht um Tourismus, Erbschaft und neues Glück geht, dann um die alte Geschichte vom sozialen Aufstieg durch Heirat (mit ein bisschen „Powerfrau“ im Lebensplan): Glasdesignerin heiratet adeligen Glasschleiferei-Besitzer und muss erkennen, dass er ihr Halbbruder ist. Nach dem raschen Tod des Mannes rettet sie das Unternehmen: „Die Kristallprinzessin“ (2001, R: Rolf von Sydow). Empfangsdame eines Konzerns wird aus Herzattackengründen Chefsekretärin, entdeckt, dass ihr Manager-Boss gar keine so kalte Drecksau ist, wie es erst scheint, verliebt sich und verlässt Proll-Freund: „Vorzimmer zur Hölle“ (2008, R: John Delbridge).

Ähnlich die Konstellation in „Ein Date fürs Leben“ (2008, R: Andi Niessner): Alleinerziehende Mitarbeiterin eines Münchner Aktionshauses sucht auf den Rat von schwulem Kollegen neue Beziehung und findet heraus, dass der neue Finanzberater der Firma gar nicht so schnöselig-eiskalt ist: „Frischer Wind“ (2009, R: Imogen Kimmel). Vorstandsmitglied verliebt sich in Angestellte der Firma, die gerade unfreundlich übernommen werden soll; „Das Glück kommt unverhofft“ (2010, R: Sybille Tafel). Therapeutin und Topmanager wollen jeder für sich Selbstmord begehen und tun sich gewinnbringend zusammen, „Aber jetzt erst recht“ (2010, R: Nikolai Müllerschön). Nach dem Tod ihres Verlobten geht Restauratorin in ein Kloster in der Toskana und verliebt sich bei der Wiederherstellung eines Freskos in schmucken Theologiestudenten; die Kirche hat was dagegen („Gelübde des Herzens“, 2003, R: Karola Hattop).

Kein Himmel über Afrika

Kein Himmel über Afrika

Erben ist gut, Heimat ist gut, „Die Hüttenwirtin“ (2010, R: Thomas Jacob) ist noch besser: „Karrierefrau“ Sandra erbt Berggaststätte, hat zuerst was dagegen, lernt aber dann feschen Mann kennen. Maja möchte auswandern, trifft aber auf dem Geburtstagsfest der Mutter ihre große Liebe wieder, „Hannas Fest“ (2008, R: Peter Weissflog). Natürlich gibt es auch die Seniorenvariante: Nach dem Unfalltod der Tochter und des ungeliebten Schwiegersohns reist Agnes zu den Enkeln nach Mallorca. Dort lernt sie netten Rechtsanwalt kennen, die Enkel haben gegen alles was, nützt aber nichts: „Im Fluss des Lebens (2011, R: Wolf Gremm).

Es handelt sich bei alledem, wohlgemerkt, um aufwändige, spielfilmlange Prestigeproduktionen. Dazu kommen noch Soap, verschiedene Serienformate, die Rosamunde-Pilcher- und die Utta-Danella-Schiene, wo sich, nur zum Beispiel, in „Das Geheimnis unserer Liebe“ (2007, R: Gloria Behrens) Uhrmacherbetrieb-Erbin am Starnberger See praktischerweise in den Rechtsanwalt verliebt, der ihr hilft, das Familienerbe nach den Raubtierregeln zu übernehmen. Und das alles gibt’s auch durch diverse Traumschiff-, Heimat- oder Komödienwölfe gedreht. Und dann gibt’s auch noch Christine Neubauer, nebst sehr, sehr sonderbarer Nachrichten aus einem sehr, sehr sonderbaren, nun ja, Privatleben.

Das Ganze ist nicht nur Kitsch. Es ist der Kitsch des Neoliberalismus, die weibliche Variante. Er dreht das alte Melodrama auf den Kopf und propagiert eine Art ökonomistischer Heiratsfantasie: Wenn Besitz, Karriere und Vermögen stimmen, dann kommt die Liebe von ganz allein. „Irgendwas mit Natur“ ist für deutsche Frauen geeigneter als das internationale Finanzkapital. Cinderella 2011 bekommt Tränen in die Augen bei einem Gedanken: Mittelständisches Familienunternehmen, hinreichend kapitalgedeckelt, gerne mit heimatverbundener Tradition, und bitte nichts mit Dreck und so. Und ohne Mann ist auch die „Karrierefrau“ nix Halbes und nix Ganzes.

Verglichen mit den Frauenträumen unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens von heute war das Biedermeier eine verdammt aufregende, emanzipatorische, feministische und ehrliche Zeit. Und erst die fünfziger Jahre: Wie progressistisch konnten damals „Schnulzen“ sein!

Jaja, es sollte besser sein, sagt die Kritik. Es könnte noch schlimmer kommen, sagt das Gefühl. Es ist, wie es ist, sagt die Struktur.

Im Fluss des Lebens

Im Fluss des Lebens

Text: Georg Seeßlen

Text erschienen in taz, 16.02.2011