Bedeutis und Wixis

Popliteratur kam nach einer langen Geschichte der Beziehung zwischen Pop und Literatur wie etwas endlich Erlösendes auch über die deutsche Kultur, weil zwar einerseits schon das Wort Pop enorm peinlich ist, andererseits aber eine allseitige Hoffnung zu erfüllen versprach. Die literarische Kultur (genauer: der literarische Markt) konnte sich ausrechnen, endlich wieder die schon verloren geglaubten jungen Leser zu gewinnen und etwas vom Glamour, von der Frechheit des Pop aufzusaugen. Die Literaten konnten sich erlauben, in Kategorien wie „Hit“, „Performance“ und „Tour“ von sich zu träumen. Und beim Lesen konnte man von einer Literatur träumen, deren Verfasser und Verfasserinnen endlich wieder von etwas schrieben, das sie kannten.

Popliteraten schreiben nämlich erstens von sich selbst, nicht von großen Lebensentwürfen oder von Reibungen zwischen Biographie und Gesellschaft, keine Familienromane und Anklagen, sondern übers alltägliche Detail, von den Hier-und-Jetzt-Empfindungen, von Zahnpasta und Kater-Kopfschmerzen. Sie schreiben zweitens von der Warenwelt, in der wir leben; ganz unverschämt wird da nicht nur der Gebrauchs-, sondern auch der Symbolwert gefeiert, mal im Glanz der großen Geste, mal mit der Ironie der kleinen Grotesken der Fetisch- und Dienstleistungswelt. Und drittens schreiben sie über Popmusik, das ist ja klar.

Die Fiktion, so scheint es, das, was über das Vorgefundene hinausgeht, Struktur und Phantasie, muß in der Popliteratur nicht mehr vorkommen. All das wird durch die Bewegung ersetzt: die Bewegung von einer Kneipe oder einem Laden zum anderen, die Bewegung von einem Job zum anderen, die Bewegung von einem Partner zum anderen, die Bewegung durch Städte und andere Orte, die ihrerseits einen Bezug zum Fetisch der Warenwelt haben.

Daß man Popliteratur Popliteratur nennt und nicht etwa Ich-Literatur, Neo-Nouveau-Roman oder Manierismus im Zeitalter des Neoliberalismus, hat neben dem beständigen Aufeinanderbezogensein von Popkultur (also dem kultfähigen Teil der populären Kultur) und Literatur einen tieferen Sinn. Denn diese Literatur will zwar einerseits „richtige“ Literatur bleiben – also zum Beispiel zwischen Buchdeckeln verkäuflich sein und in Feuilletons rezensiert werden; sie imitiert aber andrerseits nicht nur Verkaufsstrategien der Popmusik.

Der Autor produziert zwar noch den Text, aber noch mehr produziert der Text den Autor. Das Kunstwerk entsteht erst als Performance. Der Text ist weder fertig noch offen noch vollständig durchkomponiert; doch er ist dem Autor auf eine so exklusive Art zugehörig, daß er nicht mehr auf die Welt zurückprojiziert, aber auch nicht so prozessual verwendet werden kann wie etwa die guten alten Cut-Up-Texte. Der Autor wird in der Tat auf diese Weise neu definiert. Es ist nicht mehr sein Text, der ihn legitimiert, sondern der Vortrag seiner selbst.

Es ist unglaublich leicht, aus einem Tom-Waits-Song ein Desaster zu machen, und auch Benjamin v. Stuckrad-Barre „funktioniert“ eigentlich nur in der von ihm mitgeschaffenen Szene. Einen Leser oder eine Leserin kann seine offenkundig durchaus talentvolle Technik, die drei Codes („Alltag“, „Ware“, „Musik“) miteinander zu verknüpfen, nicht sonderlich aufregen, man muß sich zum „Fan“ verwandeln. Unter anderem heißt das auch, daß man statt eines Gegenübers des Textes ein Teil von ihm werden muß.

Die Legitimation eines Popsongs (eigentlich jedes Werks der Popkultur) erklärt sich aus drei Elementen, die, mehr oder weniger, auch für die Popliteratur gelten: handwerkliches Können und handwerkliche Offenheit (beim Fehlen des ersteren dürfen wir von „Schund“, beim Fehlen des zweiten von „Kitsch“ sprechen), Übereinstimmung der Erfahrung und der Codes zwischen Performance und Publikum und biographische Füllung. (Übrigens gibt es hier keine Abstimmung zwischen „authentischen“ und „synthetischen“ Formen, denn das Synthetische wird automatisch zum Authentischen, wenn es Teil des Codes ist, so wie ja auch ein Schleimscheißer der authentische Star für eine Schleimscheißer-Szene ist.)

Ein Popsong erzählt einerseits ewige Weisheiten („I love you“, „She left me“, „The World is a Ghetto“) und Episoden und Alltagsbeobachtungen andererseits. Fiktionen kann er allenfalls zitieren („The Balad of …“). Während sich also der Popsong allein durch die Gegenwärtigkeit der Performance vom Fiktionalen auf das Episodisch-Allgemeine, auf das Autobiographische in einer besonderen Form verlegt, zeichnet sich umgekehrt die „populäre Literatur“ durch ein Übermaß an Fiktionalisierung aus. Die Erzählung bildet hier nicht die Welt ab, nicht einmal in einer idealisierten Form, sie schafft nur einen Raum für die phantasierte Erfüllung der Wünsche (und nebenbei: die tatsächliche Entfaltung der Ideologie). Popliteratur unterscheidet sich also einerseits von Literatur-Literatur und andrerseits von populärer Literatur, aber von beidem eben doch nicht radikal. Popliteratur ist also von nichts das Gegenteil, was schon fraglich macht, ob sie je modern sein kann (oder will).

Natürlich kann man einfach sagen, Literatur-Literatur sei etwas geistig und seelisch sehr Anstrengendes, das man mehr oder weniger für die Ewigkeit produziert, Popliteratur dagegen etwas Leichteres, das vor allem genau in die Zeit paßt. Aber so einfach ist das nicht. Genauso ist es möglich, daß Literatur nur in der Form der Popliteratur in die Postmoderne zu gelangen vermag (die zwar gerade als Begriff nicht mehr modern ist, aber als kultureller Zustand andauert). Die „Krise des Erzählens“, die seit geraumer Zeit im Gerede ist und die nach verschiedenen Abstraktionen, Brechungen und Experimenten zu einer fast hysterischen Pseudo-„Renaissance des Erzählens“ geführt hat, scheint in der Popliteratur zum erstenmal mehr oder weniger unaufgeregt bewerkstelligt werden zu können.

Diese Krise des Erzählens ist Ausdruck der politischen Krise der sozialen Bewegungen und der mehr oder weniger fundamentalen Opposition. Populäre Literatur versucht, die eigenen Träume in die Gesellschaft zu projizieren, Literatur-Literatur, ob sie es will oder nicht, schreibt an der Distanz, am Bruch mit dieser Gesellschaft. Popliteratur steckt mittendrin und ist daher irgendwie auch immer „unmöglich“. Die Autorinnen und Autoren maßen sich nicht die Geste der Opposition (und glücklicherweise in der Regel auch nicht die des Opfers) an. Aber trotzdem ist ihnen die Welt, in der sie sich so alltäglich bewegen, meist ironisch und manchmal auch dramatisch fremd. Was sie alle offenkundig zu bearbeiten haben, ist ein Bruch zwischen der sozialen und der körperlichen Erfahrung. Sie haben in der Mehrzahl eine Manie für beides, die glänzende Oberfläche der Ware und die unkontrollierte, konvulsivische, peinliche Offenbarung des Körpers. An die Stelle der Opposition von Begriff und Erfahrung tritt die Produktion des „Peinlichen“. Einerseits wird bei den Popliteraten ausgiebig gekotzt, geschissen und masturbiert (wenn auch nicht in der sprachlichen Insistenz einer Elfriede Jelinek), andrerseits kommt aber auch kaum anderswo so manisch das Wort „peinlich“ vor. „Provozieren“ kann das nur auf einer zweiten Ebene. Was in einigen amerikanischen Vorläufern des Genres nur mit Serienmorden enden kann, die ebenso kalt serviert werden wie die Beschreibung von Handymarken, führt in der deutschen Popliteratur (wenn es nicht einen Rückfall ins Melodramatische gibt wie bei Christian Kracht) entweder zum Diebstahl von Markenartikeln oder zur Konstruktion einer „peinlichen Situation“.

Keine Frage also: Popliteraten sind, wenn sie gut sind, genaue Beobachter. Sie schreiben visuell, videografisch, und sie montieren ihre Texte häufig nach dem Prinzip einer Schallplatte (kurze und lange Stücke, Tempowechsel, Ritornelle). Die Zeit vergeht in kleinen, manchmal ausgesprochen zähen Portionen, der Weg aber führt nirgendwohin. Man sieht kurz hinter sich hin und sammelt unhierarchisch Eindrücke und Empfindungen. Aber natürlich hat man keinen Plan. Das ist in den ersten Arbeiten des Genres noch ehrlich, mittlerweile ist es aber auch schon wieder Konvention, genauso wie die Rotzfrechheit, mit der sich Popliteratur über die traditionellen Konstruktionen des Sozialen hinwegsetzen. Heldinnen und Helden haben entweder sowieso keine finanziellen Sorgen, machen sich über ihre „bürgerlichen Privilegien“ aber auch keine Gedanken in der Art ihrer Elterngeneration, oder es sind Drop-outs mit unentwegten, aber unstrukturierten Geldsorgen. Man kann beileibe nicht behaupten, die Popliteratur sei „unpolitisch“: Jemand, der genau beobachtet, wird automatisch politisch. Aber es gibt keinen „Standpunkt“, und natürlich erst recht keinen „Klassenstandpunkt“.

Popliteratur wird nicht nur nach Popprinzipien gefertigt, sondern vor allem auch verbreitet. So steht sie (noch) nicht so institutionell in der Öffentlichkeit wie die Literatur-Literatur, sie läuft viel eher durch die Medien. Ihr Trick ist es, sich dabei andauernd zu verändern, nicht nur Spuren in den Medien hinterlassend, sondern umgekehrt den „Medienfraß“ wieder in Literatur verwandelnd. Aber deshalb kann noch lange nicht jeder Autor, nicht einmal jeder „Skandal-Autor“ zum Popliteraten werden, und ganz und gar nicht kann man jeden jungen Autoren als Popautoren vermarkten. Ob ein Popliterat jemals in die Literatur-Literatur aufgenommen werden kann und wer sich dabei nachhaltiger verändert, das wird nicht ohne kleine Folgen für unsere Kulturgeschichte bleiben.

Also:

1. Der Popliterat schreibt über das, was er kennt. Das ist in der Regel und in dieser Reihenfolge: Er/Sie selbst, die Medien und vor allem Medienleute (Bedeutis, Wichtis und Wixis) und über die Warenwelt des Alltags, über die Weltpunkte, wo man gewesen sein muß, auch wenn man vor allem dekorative Öde dort vorfindet. Das ist einerseits gut, da die meisten Leute am besten über Dinge schreiben, die sie kennen, und ein Autor, der genau über Handymarken, Prada-Taschen, Designerjeans usw. schreibt, ist vermutlich besser als einer, der ungenau über ein Ghetto oder eine Fabrik schreibt, die er nie anders gesehen hat denn als Tourist. Was uns freilich im Neoliberalismus nicht überraschen darf, ist der Umstand, daß die Popliteratur – und damit steht sie doch in ziemlichem Gegensatz zum sogenannten Popdiskurs – eher von oben kommt, sie spielt in der Welt der Gewinner, und auch das ist gut so. Denn diese Art von Literatur provoziert förmlich den Gegenschlag von unten. Sie ist, auch wenn sie das nicht weiß, auf eine merkwürdige Weise erlösungssüchtig. Popliteratur, wenn sie gut ist, beschreibt einen Teil unserer gesellschaftlichen Realität, der bislang der Beschreibung entzogen war, weil er selbst einen Endlostext in den Medien, den Waren, der Werbung und den Ritualen des Entertainments bildet. Dabei droht sie (und ihre klügeren Exponenten wissen das) jederzeit in diesen Endlostext selber zurückzufallen. Im autobiographischen Gestus wird aber auch die Distanz der beiden Texte sichtbar. Im schlimmsten Fall wird aus den Resten der Distanzierung eine Art literarischer Comedyshow. Im zweitschlimmsten entsteht so etwas wie die ironische Erbauungsliteratur des Neoliberalismus: Ephraim Kishon für die Töchter und Söhne von Nike und Nokia. Der Metatext freilich ist auch hier (und damit unterscheidet sich Popliteratur wiederum von den wirklich komischen Autoren) die eigene Einsamkeit. Stuckrad-Barre schreibt um eine Wahrnehmung im Stande der Isolation herum, Krachts Faserland ist gleich eine Passionsgeschichte der eigenen Gefühlskälte.

2. Der Popliterat umkreist mit einer manchmal komischen und manchmal unerträglichen Manie vor allem den eigenen Körper und dessen Symptome. Popliteraten schreiben gerne über das Kotzen, das Fingernägelschneiden, über Exkremente und über eine Art von Sex, in der der Körper am ehesten wie ein fremdes Instrument erscheint. Die sozialen Gesten aber sind weniger Schicksal oder Zwang als Ausdruck der genauen Empfindungen für die Möglichkeiten des eigenen Vorteils. Der Mensch, einschließlich des Ich-Autors, wird vor allem als ein Triebwesen geschildert, dem der Kapitalismus und seine absurden Maskierungen zur zweiten Natur geworden sind. Die „Härte“ der Beschreibung aber kann den schreibenden Romantiker, das sehnsüchtige literarische Subjekt, nicht verbergen, das es doch eigentlich ganz anders will. Vielleicht auch deshalb gilt: Pop will eat itself!

3. Die Zeit der Popliteratur ist die Gegenwart, nicht so sehr die Gegenwart einer Handlung, sondern die Gegenwart von Information. Information wie: Ich habe die falschen Pillen eingeworfen, und Information wie: Humpty hat zu Dumpty im Fernsehen etwas gesagt. Oder auch: Mein Freund X ist gerade gestorben. Diese Literatur ist weder im Körper zu Hause (den sie beharrlich und peinlich/peinigend beschreibt) noch im Bewußtsein, das sie ebenso beharrlich immer antatscht und wieder losläßt, sondern in jenem „Dritten“, das zwischen beidem sich ohne eigentliche Absicht und eigentliches Maß bewegt: der Information.

Dem Fluß des Vergessens wird entrissen, was irgend für sich in Anspruch nehmen kann, bizarr zu sein (eine Camp-Erbschaft, die der Erbschaft des Nouveau Roman entschieden im Weg steht). Am Ende findet sich also auch eine Art aufgelöster Surrealismus im Sampling der Popliteratur. Als eines der vielen Mittel, mit denen das literarische Subjekt des detailreichen und in gewisser Weise inhaltslosen Autobiographismus zu verhindern versucht, als „wehleidig“ oder gar narzißtisch gekränkt zu erscheinen. Aber natürlich ist genau das der Fall: Auch diese Literatur entsteht vor allem aus dem Leiden an der Welt und am Ich. Wie auch nicht. Sie flüchtet in die Öffentlichkeit und ins Offensichtliche, und ihre Methode ist immer auch ihre Maske.

Die herkömmliche Fiktion hat uns ja immer dabei geholfen, Symbole zu entwickeln, die wir dann wieder in unsere Wirklichkeit einbauen können. Man muß sich ja nicht gleich umbringen wie die Fans von Goethes Werther. Die Popliteratur geht von einer veränderten Situation aus. Die „Wirklichkeit“ besteht selber fast nur noch aus Symbolen, und es geht vor allem darum, nicht Symbole zu gewinnen durch einen Text, sondern darum, Symbole wieder loszuwerden. Der Poptext „sortiert“ unentwegt Symbole, hebt die „wertvollen“ auf (wie die Platten, die man behält und nicht verschenkt) und wirft die falschen unserem Unterhaltungsbedürfnis zum Fraß vor.

In ihrer Zwischensituation, weder Literatur noch Pop zu sein, aber an beidem partizipieren zu wollen, steht die Popliteratur natürlich immer in Gefahr, sich an dem einen oder dem anderen heillos zu infizieren. Der Popliterat, der sich in ein Sample von Popsongs wickelt oder diese in seinen Text integriert, wird Teil eines Code-Spiels, aus dem sich die Literatur-Literatur schon lange ausgeschlossen hat. Die Popliteratur kann dabei gelegentlich nicht umhin, sich gegen Literatur-Literatur zu wenden, ja den Anti-Intellektualismus der populären Kultur mitzumachen. (Das ist im übrigen zumeist der Punkt, wo sie am unaufrichtigsten ist: wenn sie sich naiver gibt, als sie ist; überhaupt ist dieses Problem der „Unschuld“ ein Problem des Genres.)

Popliteratur produziert sich in Hypes, und der Hype (besonders, wenn er danebengeht) wird wieder in Popliteratur verwandelt. Nicht das Leben wird in ein Kunstwerk verwandelt, das geht ja auch nicht mehr, sondern die Literaturproduktion in ein Leben, mindestens. Popliteratur wird immer dann peinlich, wenn sie richtig Literatur werden will oder wenn sie richtig Pop werden will. Also ziemlich häufig. Aber da, wo sie wirklich Pop/Literatur ist, kann sie etwas sagen, was weder das eine noch das andere schafft.

Benjamin v. Stuckrad-Barre gibt in seinen Performances immer auch so etwas wie einen kleinen Bruder von Rainald Goetz. Er gibt selbst den Comedy-Anchorman – warum soll eine Dichterlesung nicht wie ein Kindergeburtstag verlaufen, wenn es nebenan Langeweile, Massaker oder faule Verbrüderungen gibt. Der Popliterat muß diese Art von Komik produzieren, damit man ihn nicht mit einem Satiriker verwechselt. Was man natürlich dennoch permanent tut.

Natürlich weiß auch der Popliterat nicht, was Ironie und was echte Egomanie ist. Else Buschheuer und ihr www.else-buschheuer.de-T-Shirt in den Talkshows könnten wiederum selbst von einem Satiriker erfunden worden sein, und Stuckrad-Barre macht aus seiner exponierten Stellung in der Öffentlichkeit nicht nur immer wieder ein neues Buch, sondern schon auch einmal einen Prozeß gegen eine Satire-Zeitschrift. Womit das bürgerliche Ende des Genres eigentlich auch schon wieder fast besiegelt wäre. Denn von der Popliteratur kann man nicht wie, meinethalben, von Goethe sagen: Menschlich ist er ja ein Arschloch, aber was er da zusammengeschrieben hat, das bleibt für die Ewigkeit, mindestens.

Der popliterarische Text lebt erst in der Performance, er ist einerseits, wie bei Rainald Goetz, aus Abfall der Medienkulturen entstanden, aber andrerseits ist er selbst nichts anderes als Abfall eines Mediengestus. Der Selbstversuch etwa, Stuckrad-Barres Bücher so zu lesen, wie man, sagen wir, Thomas Mann oder Arno Schmidt liest, geht da fehl, aber im Intercity, auf dem Flughafen, zwischen zwei Gesprächen, die beide unangenehm, aber undramatisch sind, geht’s. Es ist der popliterarische Text selber, der nach der Aufnahme nicht in einem Zustand, sondern in einer Bewegung verlangt.

Denn natürlich vertraut der Popliterat sich selber so wenig wie seinem Text, der ja eigentlich schon dadurch, daß er zwischen Buchdeckeln steht, zum Widerspruch in sich wird. Aber von einem Online-Tagebuch kann man nicht leben, also hebt man sich am besten in einem Medienmix auf. Popliteratur ist ein hybrides Zwischenprodukt, bei dem man nicht so recht weiß, ob sich das Alte als das Neue oder das Neue als das Alte maskiert. Die virtuellen Salons, die „begehbaren Romane“ (wie im cafe-nirvana.com), die kollektive Poesie im Internet sind da ein schönes Stück weiter.

Popliteratur ist also eine Art Rock’n’Roll des Textes und schon fast wieder eine Rückwärtswendung (von daher ist verständlich, daß Popliteraten und nicht Cyberpoets oder Poetry-Slam-Berserker zu den Teddybären der Feuilletons geworden sind). Hat Popliteratur also eine Zukunft? Natürlich nicht. Sie hatte ihre Gegenwart.

Autor: Georg Seeßlen

Text geschrieben 2000

Text: veröffentlicht in Literatur Konkret Nr. 26 (2001/2002)