Tinkerbell auf Hustensaft

Scarlett Johansson ist die Frau, auf die wir uns alle gerade einigen. Oder: Miss Schmollmund unterwegs in einigen optischen und akustischen Landschaften

Who loves Scarlett Johansson?
(We all do, we all do.)

Pop ist eine Methode, mit der Angleichung und der Differenz umzugehen. Wir lieben Pop, weil es eines der wenigen Sinnsysteme der Welt ist, die ausdrücklich Dissidenz ermutigen; und wir hassen Pop, weil es das System mit der perfidesten Weise ist, Differenz zu organisieren und Dissidenz zu verschlucken.

Das einfachste Modell von Pop ist es, dass immer wieder Differenz und Dissidenz nachwächst, nur um immer wieder von Affirmation und Mainstream verschlungen zu werden. Das Modell ist zu einfach, weil es unterschlägt, wie auch im Mainstream Differenz und Dissidenz gedeihen und dass dieser Mainstream keineswegs jede Form der Dissidenz verschlingt. (Es unterschlägt sogar den Unterschied zwischen Differenz und Dissidenz.) Anders gesagt: Wenn die Pop-Dissidenz eine Illusion ist, dann ist womöglich auch der Mainstream eine Illusion. Und alle Differenz der Strategien: affirmativ und dissident; klug affirmativ, dumm affirmativ, klug dissident und dumm dissident; klug und schön affirmativ, klug und hässlich affirmativ, dumm und schön affirmativ … und so weiter. Es geht um eine endlose Differenzierung von Affirmation und Dissidenz. Es ist ein Markt, auf dem die Ware nicht mit Illusionen verkauft werden muss, weil die Ware die Illusion ist. Die Bourgeoisie, sagt Karl Marx, schafft sich eine Welt nach ihrem Bild. Dann zerstören wir dieses Bild, sagt Jean-Luc Godard. Da macht es POP.

Das Spiel von Affirmation und Dissidenz hat Regeln, es ist aber, sonst wäre es ja kein Spiel, nicht vollkommen berechenbar. Dafür sorgen unter anderem ein paar Joker-Figuren, mit denen man überraschend einige der Grundregeln außer Kraft setzen kann. Eine davon möchte ich die »Einigungsperformance« nennen. Ein Mensch, eine Idee, ein Bild, auf welche sich höchst differente Impulse im Pop einigen können. Fortgeschrittenes und traditionelles Pop-Bewusstsein, sich ansonsten spinnefeind, einigen sich, zum Beispiel, auf Robbie Williams. Es einigen sich Punk und Feuilleton, es einigen sich Generationen, es einigen sich Geschmäcker und Geschlech­ter. Das Fernsehprogramm zum Beispiel ist eine endlose Abfolge von Elementen des Mainstream – oder der Illusion davon (T. Gottschalk, die Tagesschau), der Differenz (Hansi Hinterseer versus The Sopranos), der Erregungsfiguren (Kindermord, Harald Schmidt) und der Dissidenz – oder der Illusion davon (Kunst, Panorama), und schließlich jener Inseln, auf denen wir uns einig sind (Loriot, Fußball, The Simpsons): Affirmation und Dissidenz scheinen hier identisch. Es geht aber auch geschmackspolitisch praktischer: Das Arthouse- und das Multiplex-Publikum einigt sich auf Quentin Tarantino. In unserer Lieblingspizzeria übersehen wir den Italo-Kitsch und einigen uns auf Paolo Conte im Hintergrund. Solche Einigungsperformance ist entweder zugleich Teil von »Mainstream« und »Indie«, trans­zendiert die Grenze oder löst sie auf, oder aber, der intelligenteste Fall, macht sie sogar zum Thema. Die Performance ist nicht mehr Teil der Differenz, sondern die Differenz ist Teil der Performance (was unter anderem bedeutet, dass das, worauf wir uns einigen, historisch und für die Revidierung und Revision offen ist). Es handelt sich, mit anderen Worten, nicht um so etwas Triviales wie einen Kompromiss und nicht um so etwas Technisches wie einen Cross­over. Wenn Pop nicht diese Joker hätte, auf die man sich immer wieder einigt (so wie umgekehrt interessante Optionen in seltener Einheit kollektiv übersehen werden), dann wäre die Produktion der Dissidenz vorhersehbar tragisch oder komisch. Übrigens muss die Eini­gungs­performance gar nicht immer überwältigend erfolgreich sein; manchmal einigt man sich auch auf einen vanishing point.

Diese Einigungsperformance wäre nun nichts anderes als ein geschmackspolitisches Regulativ, wenn es nicht jeweils auch um Ideologie gehen würde: Das, worauf wir uns im Pop einigen können, soweit es mehrere differente Impulse anbelangt, ist immer auch eine moralische oder, nun ja, philosophische Einigung. Wir einigen uns auf jemanden, der die Fähigkeit besitzt, dissi­dent zu bleiben, ohne die Einzelcodes der Fraktionen (Punk & Feuilleton, Feminist & Karrierist) zu verletzen. Das Dissidente im einen ist das Affirmative im anderen, und zwar auf eine oszillierende Weise. Wir einigen uns also nicht auf eine Mischung, sondern auf einen Mythos.

Die Frau im Pop, auf die sich im Augenblick offensichtlich viele einigen (unter anderem, indem man sich Filme ansieht, die man sich sonst nicht ansehen würde, oder Musik hört, die man sonst nicht hören würde), ist die Schauspielerin Scarlett Johansson. Ihre Performance überspringt Grenzen des Geschmacks, der Codes und der Ideologie; sie wird geliebt und gehasst von seltsamen Allianzen der Geschmackspolitik.

Entgegen dem allgemeinen Meinungsgebrauch ist nicht etwa »die ältere Frau« oder »der Migrant« das schwierigste Rollenfach, das größte Problem besteht vielmehr in der Zuschreibung »jung, weiblich, weiß, bürgerlich«. Diese Rolle zu füllen, ist in jeder Hinsicht prekär, so zwischen different (Christina Ricci), dissident (Asia Argento) oder Mainstream (Kirsten Dunst). Gelingt es nicht, diese Rolle zu besetzen, jenseits der »Punk-Göre« und diesseits der Stepford-Frau, fernab des Verhuschten, Kämpferischen, Karrieristischen oder Reaktionären, so steht nichts weniger als die Zukunft des Systems auf dem Spiel. Und einigen müssen wir uns auf das Rollenbild »jung, weiblich, weiß, bürgerlich«, weil nur in ihm die Gratifikation der Revolte und die Gratifikation des Systems zusammenkommen (bevor man bei »Sex and the City« landet).

Um eine Einigungsperformance zu erzielen, benötigt man die richtige Legende, die richtige Erscheinung, den richtigen Sound, einige richtige (bzw. richtig falsche) »Diskurse« (man muss irgendwie irgendetwas zu sagen haben) sowie ein entsprechend deutbares Werk. Scarlett Johansson hat keine soziale Aufstiegsgeschichte, ist kein poor little rich kid, keine Emanzipationslegende, kein Konflikt, nirgends. Sie stammt aus dem, was die Teilnehmer im Einigungs-Schauspiel sind und was sie hassen, dem erfolgreichen weißen Mittelstand.

Die Legende vom »armen Mädchen« passt ohnehin nicht zu ihr. Sie besuchte die Professional Children’s School zu Beginn ihrer Karriere, dort bekommen die künftigen Superstars auch bei ständiger Abwesenheit ihre Ausbildung; nicht gerade ein Ghetto-Kid, in einer filmverrückten Familie mit einem besonderen Faible für »Gone with the Wind« aufgewachsen. Scarlett O’Hara auf Nordisch, schon wäre der erste Mythos geboren. Dazu kommt eine Mutter, die ehrgeizig die Karriere der Tochter begleitet, als Managerin, Agentin und schließlich Produzentin der Filme. Wer träumt da wen? Und vielleicht war da schon eine künstliche Welt im Hause Johansson, jedenfalls eine gewaltige ­Video-Sammlung, aus der sich die Kinder in einem liberalen Haus ohne Altersbeschränkungen bedienen durften, so schien das »Schweigen der Lämmer« in eine behütete Kindheit. Im Alter zwischen acht und elf Jahren besuchte sie das Lee Strasberg Theatre Insitute for Young People und darf für sich in Anspruch nehmen, so ziemlich die jüngste Method Actress der Welt gewesen zu sein. (Allerdings: Sie hat sich nie ganz und gar in eine Rolle begeben.) 1993 trat sie in einem Sketch in der »Late Night with Conan O’Brien« auf, danach folgten, neben Werbeaufnahmen, Stücke an Off-Broadway-Bühnen und schließlich die erste Rolle in einem Film (»North« von Rob Reiner). Johansson hat schon ihren sozialen Ort in der Film-Phantasie: die dysfunktionale bürgerliche Kleinfamilie. Es folgten weitere Rollen in uninteressanten oder gescheiterten Filmen.

Ein großer Schritt in eine magische Biographie dagegen ist die Geschichte vom schwesterlichen Outlaw-Paar in »Manny & Lo«. Es geht um die 16jährige Lo und ihre 11jährige Schwester Manny (Johanssen), die vor der alkoholisierten Mutter und den Adoptiveltern flüchten und eine Frau kidnappen, die dann aber mütterliche Gefühle für ihre Entführerinnen entwickelt. Das »kleine süße Mädchen mit der heiseren Stimme« (Sofia Coppola) war geboren und wurde zur Kenntnis genommen.

Als sie mit 14 Jahren die Rolle des traumatisierten beinamputierten Mädchens in Robert Redfords »The Horse Whisperer« spielte, war das schon der siebte Film. Es ist eine schwierige Coming-of-Age-Situation. Jetzt ist der Beginn einer magischen Biographie auch für das Mainstream-Publikum sichtbar (Kitsch hin oder her): Das Mädchen, das sich vom weiblichen Rollenmodell des flippigen, bekifft-anarchischen Mädchens ebenso lösen muss wie vom fanatisch-emanzipatorischen Rollenmodell, ohne in das alte Bild des Mädchens aus Middle America zurückzufallen. Und in allen diesen Filmen geht es um einen Prozess der Genesung. Die Familie kann dieses Mädchen nicht produzieren, deshalb muss das Mädchen die Familie produzieren (und sich dabei von ihren Familien produzierenden Vorgängerinnen seit Shirley Temple lösen).

Da gibt es diese Szene, wo Redford sie auffordert, einen Pick-Up zu fahren. Scarlett/Grace antwortet, sie sei dafür noch zu klein, und Redford grinst sie an und sagt: »Man kann nie früh genug anfangen.« Was umso zweideutiger wirkt, bedenkt man, dass Redford bei den üblichen Promotion-Terminen bemerkte: »Sie ist 13 und benimmt sich wie 30.« Dennoch geht es dabei am wenigsten um Sex als vielmehr darum, dass dieses Mädchen nicht mehr in der herkömmlichen Differenz von »Kind« und »Erwachsen« leben kann. Es ging also nicht unbedingt um die Kreation eines neuen »Lolita«-Typus, es ging viel­mehr um das Lebensgefühl einer Generation mit nur sehr kurzer Kindheit. Selbst der Fantasy-Schwachsinn »My Brother the Pig« (1999) passt in dieses Muster – Johansson spielt ein Mädchen, dessen Bruder in ein Schwein verwandelt wird und das den Zauber bezwingen muss, bevor die Eltern aus dem Urlaub zurückkehren.

Die nächsten zwei Filme, aus dem Jahr 2001, gehören zu jenen, die Leute wie du und ich in ihrer DVD-Sammlung bewahren: die Comic-Geschichte »Ghost World« und »The Man who wasn’t there« von den Gebrüdern Coen. »Ghost World« ist wieder ein Film über ein Duo: Enid und Rebecca sind kontrastierende Vertreterinnen einer weiblichen Generation Zero; nach der Schule wollen sie sich nicht am gewöhnlichen Spiel von Dating, Konsum und Spießigkeit beteiligen, eine funktionierende Gegenkultur aber gibt es auch nicht. Man kann hier von Mas­tur­bation reden (in Amerika!), aber man kann auch Menschen dabei zusehen, wie sie gleichsam sehenden Auges den Kontakt zur Wirklichkeit verlieren. Es ist eine vergebliche Suche nach dem, was cool sein könnte, und es klappt dabei nicht einmal, etwas als so scheiße anzusehen, dass es schon wieder cool ist. Am Ende muss die vernünftige Rebecca (Johansson) ihre Freundin und die Rebellion verraten, das Erwachsenwerden ist für sie unumgänglich.

»The Man who wasn’t there« spielt in einer un­bestimmten Vergangenheit, und nur hier kann Johansson eine klassische jugendliche Femme-fatale-Rolle spielen: Birdy, die auf dem Klavier Beethoven spielt und die Phantasie des schweigsamen Friseurs entflammt.

»An American Rhapsody« (2001) greift die Rolle des verlassenen und rebellischen Teen­agers wieder auf: Ein Paar, das aus dem kommunistischen Ungarn in die USA fliehen muss, muss seine Tochter Suzanne (Johansson) bei Pflege­eltern zurücklassen. Als 15jährige wird sie vom Roten Kreuz in die USA zu ihren Eltern gebracht, und eher gegen sie als mit ihnen muss sie sich in dem neuen Land zurechtfinden. In der B-Movie-Hommage »Arrac Attac« (2002) gibt es die mittlerweile klassische Szene der Differenz zur Mutter: »Ich bin nicht du! Okay? Ich werde nicht mit 16 Jahren ein Kind kriegen. Ich werde auch nicht für den Rest meines Lebens in so einem gottverlassenen Kaff den Sheriff spielen. Okay?« Spinnen haben in einem solchen Diskurs natürlich einen besonderen Stellenwert. Wenn Drew Barrymore in ihren Filmen dieser Zeit so etwas sagt, dann sind wir sicher, dass es genau so kommen wird. Aber Scarlett Johanssons Selbstentwurf geht weiter, und zum Melodrama ist sie nicht geschaffen.

Wir verstehen immer nur zu gut, was ein Mädchen wie Scarlett Johansson nicht will (nicht wollen kann). Aber weder der Film noch wir könn­ten sagen, was sie ansonsten wollen könnte, ob es in dieser Welt etwas zu wollen gibt für ein Mädchen dieses Alters. Übrigens ist »Arrac Attac« der erste Film, in dem Scarlett Johansson Scarlett Johansson spielt, mit eindeutigen Tendenzen zur Selbstparodie.

Zu Starruhm brachten sie drei Filme, die perfekt zwischen Arthouse und Mainstream vermittelten: Sofia Coppolas »Lost in Translation«, Woody Allens »Matchpoint« und die Kunstphantasie »Girl with a pearl earring«.

»Lost in Translation« erzählt von einem alternden Filmstar (Bill Murray), der in Tokio einen dämlichen Werbespot für Whisky dreht, und von der jungen Charlotte (Johansson), die, im selben Hotel wie der alte Schauspieler wohnend, zwischen Langeweile und Frustration auf ihren Ehemann wartet, einen Fotografen. Der Schauspieler und Charlotte verbringen einige Zeit miteinander, eher eine kurze Freundschaft als eine unterdrückte Romanze. Eine gegenseitige Inspiration und Befreiung, wie ein später melancholischer Ausbruch aus der Lähmung, die alle von Johanssons vorherigen Rollen bestimmt. Es ist, als würde sie sich aus der Raum/Zeit-Falle befreien, wenn sie ihrem Gegenüber vorschlägt, eine Jazzband zu gründen. Es gibt hier eine Tradition, wenn Sofia Coppola Federico Fellinis »La Dolce Vita« zitiert, wo am Ende Marcello Mastroianni sein Traummädchen verfehlt, weil er nicht verstehen kann, was sie sagt, und umgekehrt sagen sich in »Lost in Translation« Bill Murray und Scarlett Johansson etwas, was nicht zu verstehen ist. Das Unhörbare hat sein Subjekt und sein Bewusstsein geändert; an der Verfehlung ändert das nichts.

Johansson ist zu dieser Zeit zum Role Model des Anti-Role-Model geworden; im Gegensatz zu Drew Barrymore schwankt sie nicht zwischen dem Erfüllen und dem Zerstören des Vor-Bildes, sondern betreibt eine Art der Dekons­truktion. Das Nicht-Funktionieren ist immer schon die Ausgangsposition. Das Entscheidende ist, dass die Oberfläche nicht zum Opfer auffordert; was immer geschieht, das Leiden nimmt nicht Besitz von ihr. In »Lost in Translation« wird auch jede »Erleuchtung«, wie wir sie von unseren Mittelstandsheldinnen gewohnt sind, konsequent vermieden, die transition ist eindeutig (»Lass uns nie wieder hierherkommen, es würde nie mehr so lustig sein«). Dieses Subjekt erzählt sich selbst, und damit ist in der Tat, ohne allzu viel Pathos, ein Punkt der Freiheit erreicht, den weder das Kind noch die erwachsene Frau erreichen kann. Möglich wird das freilich im Kommenden nur anderswo und zu einer anderen Zeit.

In »Girl with a pearl earring« stellt Johansson die Dienstmagd Griet dar, die zum Modell für ein Gemälde Vermeers und wiederum selber zum Bild wird. Es ist wieder eine Liebesgeschichte, die eigentlich nicht stattfindet, eine coole Kommunikation zwischen Maler und Modell. Der Film spielt sich im Gesicht von Griet/Scarlett ab, ein Kampf zwischen Bild und Blick. Und wieder siegt die Vernunft; sowohl die böse Aschenputtel-Geschichte (die mit dem lüsternen alten Auftraggeber des Bildes) als auch die romantische (die mit dem Künstler) funktioniert nicht. Was aber funktioniert: Johansson, fotografiert von Annie Leibowitz als Aschenputtel für eine Werbung für Disneyland. Johansson spielt nicht die Rolle, sie spielt immer schon das Bild.

Auf den ersten Blick ist es fast jämmerlich zu sehen, wie wenig sie (in »The Man who wasn’t there«) vom Klavierspielen versteht oder wie acht­sam-ungeschickt sie (in »Girl with a pearl earring«) mit dem Putzgerät umgeht, und in der (doofen) Teenager-Geschichte »The Perfect Score«, wo sie die – was dachten Sie denn? – »rebellische Girlie-Tochter aus einer Millionärsfamilie« spielt, stimmt nicht einmal die Frisur, geschweige denn die Sprache. Johansson ist keine psychologisch-realistische Schauspielerin. Ihre Bilder stimmen in einem Zustand des Halb-Verschwindens, sie ist immer schon Pop, bevor sie Drama ist. Es ist schwer, ihr ein Leiden zu glauben, der Erfolg ist ihr ins Gesicht geschrieben, und der Körper drückt aus, welche Arbeit man in der Traumfabrik dafür investiert.

Es geht bei Johansson um eine Frau, der gar nichts anderes übrig bleibt, als sich selbst zu erfinden. Als Reaktion auf drei Grunderfahrungen: Das Versagen/Verschwinden der Eltern (mit einem besonderen Akzent auf der selbstsüchtigen Mutter), die Schwäche der jungen Männer und das Spuken alter Männer, die an ihrem Bild zerbrechen, wenn sie es nicht schaffen, mit ihr einen Ausflug ins Wunderland (oder wenigstens nach Disneyland) zu machen.

In » A Love song for Bobby Long« ist Johansson wieder eine Teenager-Verweigererin (Pursy), die vom Tod ihrer Mutter, einer Jazz-Sängerin in New Orleans, erfährt. Beim Begräbnis lernt sie in ihrem Elternhaus den ehemaligen Literaturprofessor Bobby Long und seinen Schützling Lawson kennen, und die drei müssen eine Zeit lang miteinander leben, das Mädchen und zwei anfänglich ziemlich abstoßende Männer. Aber dann akzeptiert sie diese bizarre »Familie«, angeregt durch die Lektüre von »Das Herz ist ein einsamer Jäger« von Carson McCullers (wie überhaupt immer wieder Kunst und Literatur und gelegentlich Pop dem alleingelassenen weißen, bürgerlichen Mädchen eher helfen als wirkliche Menschen). Und wieder leben die drei mehr in ihren Träumen als in ihrer Realität, die beiden Männer leben gleichsam in der Literatur, und Pursy bringt zugleich Leben in diese Texte, wie sie Texte in ihr Leben aufnimmt. Und während Pursy sich der Lebensgeschichte ihrer Mutter nähert, bereitet sie sich auch zu einem Sprung zurück in die reale Welt vor.

Das funktioniert, weil Sender und Empfänger unterschiedlichen Generationen angehören (und umgekehrt: Kein Film mit Johansson, der unter Gleichaltrigen spielt, funktioniert). Literarisches auch in »Good Woman« (2004), bei aller Dialog-Raffinesse vor allem ein Spiel um das Sehen und das Angesehenwerden. »Jung, weiblich, weiß und bürgerlich« zu sein, heißt, ein Bild zu erzeugen.

Scarlett Johansson ist eine weibliche Kunst­figur im Blick älterer Männer, erblickt im Augenblick des Verschwindens und des Erscheinens, jenseits der »Lolita«-Mythologie, aber sie ist zur gleichen Zeit ein Rollenmodell für einen Umgang mit dem eigenen Bild jenseits des Postfeminismus. Sie nimmt diverse erotische Modelle an (darunter natürlich auch das der Marilyn-Monroe-Wiederkehr oder eine Jean-Harlow-Appearance), ohne sie zu strapazieren; sie ist Zusammenfassung und Abstraktion der Leinwand-Blondine von Brigitte Bardot bis Madonna, übernimmt von der ersten das, was Simone de Beauvoir die animalische Freiheit genannt hat, und von letztgenannter die Fähigkeit, im Selbstdesign immer wieder zu verschwinden und neu zu erscheinen. Nicht einmal Doris Day ist vollkommen verworfen. Daneben ist sie Model für Louis Vuitton und Calvin Klein.

In »In good company« ist sie wieder die Tochter aus gutem Haus: Ihr Vater bekommt nach einer Firmenübernahme einen jungen Schnösel als neuen Chef. Der verliebt sich in die Tochter, die übrigens beim Tennisspielen so gut wie in der Lektüre von Anton Tschechow ist. »Ich hab‘ mich immer für Geschichten interessiert und hab‘ mich in das Leben anderer Leute geflüchtet. Wahrscheinlich, weil ich meines immer so langweilig fand.« Mit diesem Film beginnt schon eine Deutung der Leinwand-Persona; Johansson ist eine Art »Zelig«, eine Frau ohne Eigenschaften, jemand, der unterwegs ist zwischen einem Kunstprodukt und einem Kunstprojekt. Da hat sie auch schon ihre Manierismen zur Gänze entwickelt, das Rotzfreche und zugleich tief Melancholische, diese Mischung aus halb weggeträumt und überangestrengt präsent – das macht ihr niemand nach, und es kann einem auch schnell auf die Nerven gehen.

Das war perfekt für eine Rolle als Woody-Allen-Frau. In »Matchpoint« ist sie, logisch, eine (amerikanische) Außenseiterin in der britischen Welt der Oberklasse, sie setzt ihren Sex-Appeal ein, und sie wird das Opfer in diesem Spiel um Schuld und Sühne. Und noch eine Revision: Die Femme fatale ist in Wahrheit ein gebroche­nes Wesen, das vergeblich versuchte, Subjekt der eigenen Geschichte zu werden. Geliebt wird die Scarlett-Johansson-Frau erst in dem Augenblick, da sie auch geopfert wird. Zum ersten Mal spielt sie daher einen radikalen Bruch, den von einer Verführerin (ihre klassische Rolle, halb offensiv, halb in sich gekehrt) zu einer verzweifelten Frau. Der Demontage des verwöhnt-aggressiven Görs folgt nun die Demontage der amerikanischen »Sexbombe« (du lieber Himmel, was für ein Wort, aber es fiel den Kritikern hier wieder ein). Andernorts, anlässlich »The Island«, erzählte ein Kritiker gar vom »immergleichen aufblasbaren Schmollmund von Scarlett«. Niemand soll sagen, dass der Star, auf den wir uns einigen, nicht auch seine Hiebe einstecken müsste.

»Scoop« (2006) ist Woody Allens zweiter Film mit Johansson, als Journalistin, komplett mit Nickelbrille, Steckfrisur und immer bereitem Notizblock. Bei der Recherche eines Mordes verliebt sie sich in den Verdächtigen. Es ist ein Übergang, der nicht ganz glückt: Man sieht einer Schauspielerin zu, die nicht recht gelernt hat, mit ihren Mitteln zweckdienlich umzugehen, und so ist das Spiel auch durchsetzt von Momenten, die für das Genre der leichten Komödie zu intim und zu heftig sind: Zum ersten Mal attestiert man ihr auch, was sie im anderen Leben auszeichnet, die Fähigkeit zur nur teilweise gewollten, jedenfalls nur teilweise unter Kontrolle gehaltenen Peinlichkeit. Und hier beginnt sie, bewusst gegen ihr Image als Sexsymbol anzuspielen; in all ihren Komödien hat sie diese one-liner, mit denen sie die gierigen Komplimente abfedert. »Ich kann das Bild von Ihnen in Ihrem Badeanzug nicht mehr vergessen«, sagt Hugh Jackman, und Johansson antwortet: »Schön, dass er Ihnen gefällt. War ein Sonderangebot.« Ganz ähnliche Sätze gibt es in vielen ihrer Filme, und sie haben eine tiefere Bedeutung in der Konstruktion von »jung, weiblich, weiß, bürgerlich«.

Im SF-Film »The Island« ist sie ein Klon, der menschlich werden und küssen will, sie darf endlich rennen, schlagen, kicken, schießen, fallen und gleich wieder aufsteh’n, wie es sich für einen Actionfilm gehört. Immerhin wird Johanssons Calvin-Klein-Werbespot in den Film integriert. Wenn es eine Pointe in diesem Film gibt, dann ist es die, dass sich Johansson hier offensichtlich mit Johansson verwechselt.

In Brian de Palmas »The Black Dahlia« endet ihre Fähigkeit, reine Oberfläche zu sein, in dem, was der Regisseur in ihr als »lebensüberdrüssig« entdeckt zu haben meinte. De Palma vermutet einfach zu viel Geheimnis in ihr. Wäh­rend die amerikanische Öffentlichkeit von ihrer Sexualität besessen ist, darf man ihr auf der Leinwand offenbar nicht zu viel zumuten. (Man könnte sie möglicherweise auch als eine Art Umkehrung der Hitchcockschen kühlen Blondine ansehen; ein Bild, das bei näherem Hin­sehen nicht ex-, sondern implodiert.)

In »The Prestige« (2006) ist sie wieder die Frau zwischen zwei Männern. Sie scheint Beute und ist doch Falle. Aber allmählich hatte das Publikum von ihr genug, vor allem von ihren mehr oder weniger raffinierten Kostümen. Sie war immer und überall, die femme de jour.

»The Nanny Diaries« ist eine Untersuchung über das Funktionieren der Macht. Johansson spielt eine junge Frau, die nach dem College auf Druck ihrer Mutter (schon wieder!) einen Job als Nanny annimmt. Da ist sie Beobachterin und zugleich Angehörige des Systems, das eine perfekte Familie simuliert. Zum ersten Mal ist ihre erotische Ausstrahlung in den Hintergrund getreten, und das Spiel mit den Peinlichkeiten tritt in den Vordergrund: Dem Mann ihrer Träume begegnet sie immer, wenn sie gar nicht oder falsch »zurechtgemacht« ist. Trotzdem gibt es natürlich ein Happy End. Aber so ein gnadenloses Mainstreaming wird dem Stoff nicht gerecht. Die Untersuchung über das Funktionieren der Macht, die eine Voraussetzung für das nächste Kapitel in der Emanzipationsgeschichte von »jung, weiblich, weiß, bürgerlich« wäre, wird unter fadenscheinigen Umständen abgebrochen.

Es hätte vielleicht der genaueste Johansson-Film werden können, ein Essay über das zugleich coole Beobachten und das Dazugehören, darüber, wie es ist, wenn »weiblich, jung, weiß, bürgerlich« beim Prozess der Selbsterfindung die Spielregeln besser beherrscht als die, die sie zu verwalten glauben. Das Aschenputtel muss sich nun weder nach oben heiraten, noch muss es um jeden Preis Männer in den Ruin treiben. Es genügt, das Spiel zu kontrollieren, ohne ihm zu verfallen. Aber dann?

Offensichtlich hat nun ein Rückzug begonnen. Das gediegene Kunstprodukt ist ein sicherer Ort, denn sonst müsste Johansson wohl doch noch einmal eine wahrhaft monströse Rolle spielen. Mit »The Other Boleyn Girl« (2007) geht es zurück ins Kostümfach, die versprochene »Untersuchung der Rolle der Frau in der patriarchalen Gesellschaft« verliert sich im Intrigenspiel; es folgt mit »Mary Queen Of Scots« (2008) ein ambitionierterer Versuch im Genre des Historienfilms, mit mehr oder weniger sophistication angereichert. Auch in weitere Niederungen werden wir Johansson demnächst folgen; in »Amazon Warrior« führt sie einen Rachefeldzug gegen Krieger, die ihre Familie ausgelöscht haben, und im female caper movie »Brilliant« ist es so, als wäre Johansson nun vollständig in der Popcorn-Hölle gefangen. Wir ahnen nichts Gutes: Unser Einigungs-Bild verliert den Charakter eines work in progress. »Jung, weiblich, weiß, bürgerlich« ist ein Bild der Vergangenheit.

Die bittere Subtilität, die sie in besseren Filmen wie »Lost in Translation« hat, spielt da schon längst keine Rolle mehr. Die Arthouse-Seite muss sie derzeit wohl, in Ermangelung entsprechender Filmrollen, auf anderem Gebiet suchen. Die Entscheidung für Musik ist daher wohl nicht nur Komplettierung und Experiment, sondern auch etwas wie Flucht (ganz davon abgesehen, dass das Crossover von Film und Popmusik derzeit ohnehin zu den Star-Konstruktionen gehört).

Denn auch die öffentlichen Auftritte, kalkuliert zwischen Verweigerung, Irreführung und Peinlichkeit, beginnen sich zu erschöpfen. Sie ließ verlauten, sie könne sich nur in Gegenwart von Männern über 30 wohlfühlen, und: »Ich fühle mich nun mal zu älteren Männern hingezogen.« Was einerseits Reklame für ein paar ihrer Filme war und andererseits raffiniertes Cross­over: Die Selbstinszenierung als Beute hatte ihre Schuldigkeit getan, als klar wurde, dass es nach der Cameron-Diaz-Generation der Schauspielerinnen eine Scarlett-Johansson-Generation gab. Diese Generation kann nicht noch einmal mit dem Ennui der Grunge-Generation (alles schon passiert) beginnen und muss irgendwie mit dem Peinlichen fertigwerden. Und Johansson produzierte Peinlichkeiten in Serie; wenn es nicht der übliche Stuss ist, den man bei Interviews so von sich gibt, dann greift sie gern schwer daneben, eine Art von Sub-Charlotte-Rochismus für die amerikanische Provinz scheint sie zu zwingen, beständig körperliche Details auszubreiten, ein wenig zwanghaft, zweifellos, die Jungs nebenan haben doch auch das Recht, sich mit Fehl­einschät­zungen, Körpersäften und Erwischen und Erwischtwerden zum Affen zu machen. Sie ist nicht hundertprozentig zuhause in ihrem Körper, aber nicht mehr so fremd wie die Winona Ryders dieser Welt, nicht so fremd wie die bulimischen Mädchen der Fitness-Studios, nicht so fremd wie die pummeligen Renee Zellweggers, die sich davonträumen und dabei noch pummeliger werden, und noch nicht bereit, das Monster aus sich herauszuholen. Und ein Action-Star wird sie wohl nie.

Es ist Teil der Entlinearisierung der magischen wie realen Biographie; so wie Johansson in ihren Filmen immer noch vom Teenager zur Frau und wieder zurückwechselt, ist es kein Widerspruch, mit ernstem Gesicht für die Demokraten Wahlkampf zu machen und gleichzeitig den 20. Geburtstag in Disneyland zu feiern. Die leicht heisere, gelegentlich ins Kindliche umschlagende und manchmal auch manieristische Stimme (die sich derzeit verstärkt auch im Pop findet) beschreibt diese Beziehung zwischen Anmaßung und Verletzlichkeit, es setzt sich fort in dem Vanity-Fair-Foto mit Keira Knightley, coole Nacktheit, die viel zu kalkuliert ist, um provokant zu wirken.

Ihre Botschaft an die Frauen ist zwiespältig (die an die Männer ist schizophren); sie betont ihren Sex-Appeal und spielt ihn zugleich herunter, sie schwärmt für Pizza und Bier und ärgert sich über verhungerte Models, und zugleich führt sie hemmungslosen Konsumismus vor, zeigt sich mal im Striptease-Lokal und führt öffentliche Zickenkriege, nur um dann wieder von den Freuden der Familie und Mütterlichkeit zu schwärmen. Ein cleverer Einfall gegen die Paparazzi (sie hält ein Schild in die Kamera mit der Aufschrift: »Die Person, die dieses Foto macht, belästigt mich«) offenbart dabei zugleich eine unübersehbare Rechtschreibschwäche (»I’m being harrassed« – harr, harr); sie ist Erfüllung und Widerspruch des ewig laufenden Blondinenwitzes. Sie spricht bei ihrem Eintritt für die Kampagne des Pop-Gutmenschen Bono von »bewusstem, wohltätigem Konsum«, auch so eine Formel. Soll man ihr eher glauben, dass sie gerade Dostojewski und Truman Capote liest oder dass sie sich in ihrer Freizeit vor allem mit Einkaufen und ihrem Chihuahua-Hünd­chen beschäftigt? Oder wäre das, fast 40 Jahre nach Wood­stock, ohnehin kein Widerspruch mehr? Es ist dies Programm der Programmlosigkeit; Woodstock-Stepford, hin und zurück, unsere Einigungsperson.

Die Verwandtschaft zu Tom Waits und David Bowie ist klar, beide übrigens Leute, auf die man sich einigt, ebenso ist TV On The Radio ein dekonstruktives Pop-Projekt, auf das man sich ohne größere Reibungsverluste einigen kann. Das Kunstprojekt als Überlebensmodell entsteht zugleich aus größtmöglicher Authentizität und größtmöglicher Künstlichkeit.

Die Verbindung zur Musik reicht noch bis zur Liaison mit Jared Leno, dem Schauspieler, der auch als Mitglied der Band 30 Seconds to Mars bekannt ist; eine Rolle in Andrew Lloyd Webbers »The Sound of Music« lehnte sie ab, dafür ist sie in dem Videoclip zu Dylans »When The Deal Goes Down« zu sehen und bei Justin Timber­lakes »What Goes Around Comes Around«. Auf einem Wohltätigkeitsalbum hat sie immerhin schon mit ihrer rauchigen Stimme Gershwins »Summertime« gesungen.

Nun also die femme de jour als Popmusikerin; sie bleibt in ihrem Dialog mit (schon wieder) dem älteren Mann genau in dieser Falle hängen. Von den elf Songs stammen zehn von Tom Waits und seiner Frau Kathleen Brennan und einer von Johansson und David Andrew Sitek, der das Album produzierte und mit seiner Band TV On The Radio auch einspielte. Erst wollte sie ein Album mit Pop-Klassikern aufnehmen, dann kam die Idee, den Tom-Waits/Bette-Midler-Song »I Never Talk To Strangers« mitaufzunehmen, woraus die Idee für ein ganzes Album mit Waits‘ Songs entstand. Nun war das künstlerische Projekt wichtig genug, um das Werk nicht in der Masse der Schauspielerin-singt-Pop-Klassiker-Alben untergehen zu lassen. Dann wurde Sitek beauftragt, und der hatte das ideale akustische Persönlichkeitsprofil für Johansson entwickelt: »Tinkerbell auf Hustensaft«. Daher geht es mehr noch als um die Songs um eine Kino-Idee von Musik; Johansson singt nicht, sondern verkörpert verschiedene Frauen in verschiedenen Situationen, die singen. So wie Bowie immer den Schauspieler unter seinen Liedern durchschimmern lässt, lässt Johansson eine musikalische Leidenschaft unter einem musikalischen Geschehen durchschimmern, das eher schauspielerische Performance ist.

Die Frau, die auf der Leinwand vorerst endgültig im Mainstream angekommen ist, betont den Indie-Aspekt ihrer Musik. Der Trick ist, Johanssons Stimme nicht in einen rezitativen Vordergrund zu mischen, sondern sie, ein bisschen mozartisch, wenn der Vergleich gestattet ist, in diverse musikalische Dialoge einzubauen. Dass ihre dunkle und heisere Stimme zu dem Material passt, versteht sich von selbst, doch der überraschende Effekt ist, dass nicht die Musik sich dem Star unterordnet, sondern der Star der Musik. Der Zauber wirkt durchaus, Tinkerbell hat ihre Schwierigkeiten mit dem Fliegen, und der Hustensaft macht alles auf eine getragen-halluzinatorische Weise langsam. Die Geschichten, die Tom Waits erzählt hat, gebellt, geflüstert oder lakonisch ausgebreitet, kann Tinkerbell nur träumen.

Und was noch mehr wirkt: Das große Einigungswerk ist wieder vollbracht. Ob man es mag oder nicht oder auch nur einen Teil davon (wie »Falling Down« mit Bowie, mit diesem Banjo-Stück, das klingt, als wären die Muppets in einem Italo-Western unterwegs, und einem Ende, das keines sein will, oder »I Wish I Was in New Orleans«, nur La Johansson, eine Music Box und ein unbestimmtes Rauschen im Hintergrund) oder eine Dosis (denn wie im Kino: Man kann auch genug von Scarlett Johansson bekommen), es ist ziemlich egal, weil man dem ganzen Unternehmen den Respekt nicht absprechen kann. Es ist kein Bedienen des Mainstream, aber natürlich kann es auch kein wirkliches Stück Musik werden; es ist eine Begegnung, eine Geschichte, ein Gespräch, es passiert etwas in akustischen Landschaften. Im Booklet präsentiert sich Scarlett wieder wie der melancholisch-aufbegehrende Teenager, oder doch wie jemand, der diese Rolle gern spielt. »Song For Jo«, ihr eigener Beitrag, ist die pure Sehnsucht nach einem Menschen oder nach einem Zustand des eigenen Lebens, eine Erinnerung, gegen deren Verblassen man vergeblich ankämpft.

Schon dass das Album mit einem Instrumental beginnt, ist eine dieser netten Gesten aus dem Wissen, dass die Platte von den Musikern und nicht von Johansson gemacht ist, und unterstreicht den kinematographischen Aspekt: Durchgehend fast ein Zirpen imaginärer Grillen, passend zu dem Studio in Maurice, Louisiana, manchmal glaubt man, rostige Windräder und ein paar merkwürdige Tiere zu hören. Jedenfalls spielt hier die Geschichte, die übrigens von einem Neverland handelt, das man verlieren muss und doch nicht verlieren kann.

Warum ist Johansson die Frau, auf die wir uns einigen können, sogar wenn wir wissen, dass uns nur Differenz hilft? Sie führt vor, wie es ist, in der Falle von »jung, weiblich, weiß und bürgerlich« zu sitzen; viermal privilegiert und viermal beschissen; sich daraus zu befreien, ist unmöglich (ein zweites Woodstock wird es schon deswegen nicht geben, weil Woodstock ohnehin ein verschlammtes Fake war). Die Beziehungen offen lassen zwischen Differenz, Dissidenz und Mainstream, mehr können wir nicht verlangen. Höchstens wieder mal einen guten Film.

Georg Seeßlen,  jungle world Nr.23, 06/2008