Otto Mellies wird 80: Die Melancholie des Vergehens
Im deutschen Osten ist Otto Mellies ein berühmter Mann. Aber er ist, sozusagen, berühmt aus den falschen Gründen.

Denn eine Mehrheit erinnert hier wohl den „Dr. Schlüter“ des DDR-Fernsehens. Das war, das Übrige beiseite, in der Tat eine darstellerische Leistung, der zum Sozialismus konvertierende bürgerliche Wissenschaftler. Eine Leistung, die getragen wurde von seiner Ausstrahlung, die in der DDR stets ein wenig zu fremdeln schien.

Otto Mellies, geboren 1931, verströmt eine Aura gediegener Bürgerlichkeit, wie viele Schauspieler des Deutschen Theaters Berlin. Diesem Haus, an das Thomas Langhoff ihn 1956 von Erfurt weg engagierte gehörte er an bis zum letzten Tag, hier spielte er die großen Rollen, hier reifte er zu einem einzigartigen, einem unverwechselbaren Schauspieler.

Im Fernsehen hatte er häufig so einen Touch von Frauenarzt, das Personal der „Schwarzwaldklinik“ hätte er unangestrengt in den Infarkt gespielt, da wäre niemand konkurrenzfähig gewesen. Er umhauchte diesen Typus, eine leicht über den übrigen Menschen schwebende Freundlichkeit, mit Beimengungen sich einer ihres Wertes bewussten Eitelkeit, so, dass nie ganz erhellte, ob er diesen Typ gestaltete oder von den Regisseuren so benutzt wurde. So wie als süffiger Synchronsprecher für Jean Marais „Der Gejagte“. Das war allerdings auch eine Gefährdung ins Selbstgefällige. Wolfgang Langhoff, der große Regisseur, soll das „pinkeln ins Mikrofon“ genannt haben.

Die Frage hat sich erledigt, wenn man den glänzenden Sprecher einmal auf dem Theater sah. Ein Mann der, nachdem er die jugendlichen Helden absolviert hatte, auf eine unglaublich komische Weise unglaublich melancholisch sein konnte. Ein Frauenarzt, der alle Klischees bedient mit Lust und dann mit etwas blasierter Resignation zu fragen scheint: Ist das nicht ziemlich blöde? Ein Mann, der das Leben zu sehr liebt, um sich zu entleiben und der zuviel weiß für eine ungebrochene Lebenslust. Diese heillose Resignation in den Mundwinkeln, die sich zugleich ironisiert, ist ein singuläres Ereignis auf deutschen Bühnen.

Die Aura dieses Schauspielers ist zugleich die einer versunkenen Ära. Einer Ära, in der viele Aufführungen des Deutsches Theaters Berlin mit seiner Insellage inmitten der DDR – und eine Ausnahmeerscheinung im ganzen deutschsprachigen Raum – zu einer Feier hochkultivierter Schauspielkunst wurden. Dieses Theater ist aus der Zeit gefallen. Die Melancholie über den verwehenden Glanz der Zeiten ist natürlich auch immer eine Art von Ignoranz gegenüber der Gegenwart. Der Schauspieler ist, anders als die Leinwand, als Kunstmaterial ein lebendiger Mensch. Indem er verweht, aus der Mode kommt, widerfährt uns das Nämliche. So empfindet nicht nur er Melancholie, auch wir, die wir ihm einst huldigten. So ehren wir ihn, indem wir trauern: um uns.

Text: Henryk Goldberg

Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 19.01.2011

Bild via synchronkartei.de