Jafar Panahi (© Gerhard Kassner/Berlinale)

Jafar Panahi (© Gerhard Kassner/Berlinale)

Als die 61. Berlinale eröffnete, blieb in der Jury ein Stuhl frei. Auf dem sollte der iranische Regisseur Jafar Panahi sitzen.

Im Dezember wurde er, wie auch sein Kollege Mohammed Rasoulof zu sechs Jahren Gefängnis, zwanzig Jahren Berufsverbot sowie zwanzig Jahren Reise- und Interviewverbot verurteilt. Allein deshalb, weil sie die Absicht hatten, einen Film zu machen. Weil sie an einem Film gearbeitet haben, der während der Demonstrationen rund um die iranischen Wahlen 2009 spielt – ein Film, der noch nicht gedreht war.

Berlin, am 10. Februar 2011, abends:

Als erster taucht der Hausherr, Dieter Kosslick, am roten Teppich für den iranischen Filmemacher Jafar Panahi auf. Er trägt einen blauen Schal.

Am ersten regulären Tag der Berlinale, der gleichzeitig der 32. Jahrestag der iranischen Revolution ist, ehrt die Berlinale den zum Schweigen verurteilten Filmemacher mit einem Empfang auf dem roten Teppich und einer Sondervorführung von Offside, der Film mit dem Panahi 2006 den Silbernen Bären gewann. Nach Kosslick fährt Claudia Roth vor, sie trägt einen hellgrünen Schal und posiert vor den Kameras mit dem Peace-Zeichen. Dieses ist im Zuge der Grünen Bewegung im Iran zum wichtigen Symbol geworden. In lockerer Abfolge tröpfeln dann weitere Prominente ein. Die Gewinnerin des goldenen Bären, Jasmila Zbanic ist eigens angereist. Iris Berben kommt mit Bruno Ganz, sie tragen ein Konterfei von Panahi um den Hals, das an einem dunkelgrünen Band hängt. Richi Müller, Senta Berger und Volker Schlöndorff gesellen sich dazu – und für einen kurzen Moment kommt so etwas wie Emotion auf. Ein Berlinale-Mobil mogelt sich zwischen die Berlinale-Limos. Auf seiner Ladefläche prangt eine große Plakatwand: Wo bleibt Jafar Panahi?

Das Straßenpublikum, das am Rand steht, beginnt sich zum ersten Mal für den Anlass des Promiauflaufs und auch für die Farbe Grün zu interessieren. Worum geht’s hier? Da niemand eine Antwort weiß, wandert das Interesse schnell wieder zurück zum Aussehen ihrer Promis. Bruno Ganz sei ein bisschen arg geschminkt, die Berben wirklich erstaunlich faltenfrei und die Nase von Richi Müller, naja.

Der Initiator der Solidaritätsbewegung wird als letzter vorgefahren: Rafi Pitts. Er hatte in einem offenen Brief an den Präsidenten Ahmadinedschad gegen die Verurteilung Panahis zu sechs Jahren Haft und zwanzig Jahren Berufsverbot protestiert. Pitts trägt keinerlei Dekoration, Pitts kommt in Jeans und schwarzer Jacke. So recht mögen sich die Kameras nicht für ihn interessieren und so läuft er zügig über den Roten Teppich hinein in den Berlinalepalast.

Panahi selbst reagiert auf seine katastrophale Situation mit einem Offenen Brief an die Berlinale.

„In der Welt eines Filmemachers fließen Traum und Realität ineinander.“ Das ist der erste Satz.

„Die Wirklichkeit ist, dass mir für 20 Jahre das Denken und Schreiben untersagt wurde. Ich wurde zu 20 Jahren Stillschweigen verdammt. Aber in meinen Träumen schreie ich nach einer Zeit, in der wir uns gegenseitig tolerieren und unsere jeweiligen Meinungen respektieren, in der wir füreinander leben können.“

Die iranische Regierung bemüht sich derzeit übrigens nicht nur nach Kräften darum, die Existenz von Jafar Panahi zu zerstören. Sie hat seinen Kollege Mohammad Rasoulof mit derselben Strafe belegt. Doch da Rasoulof weniger berühmt ist und auch bislang kein ausgewiesener Gast auf der Berlinale war, hat sich das Festival entschlossen, ihn bei ihrer Erinnerungsarbeit nicht zu berücksichtigen. Ein Fehler.

Text: Ines Kappert

Bild: Jafar Panahi (Datum: 17.02.06 
Uhrzeit: 10:28:46, © Gerhard Kassner/Berlinale; via © Internationale Filmfestspiele Berlin)


Offener Brief von Jafar Panahi

verlesen von Isabella Rossellini während der Eröffnung der Berlinale 2011

In der Welt eines Filmemachers fließen Traum und Realität ineinander. Der Filmemacher nutzt die Wirklichkeit als Inspirationsquelle, er zeichnet sie in den Farben seiner Vorstellungskraft. Damit schafft er einen Film, der seine Hoffnungen und Träume in die sichtbare Welt trägt.

Die Wirklichkeit ist, dass mir ohne Prozess seit fünf Jahren das Filmemachen untersagt wird. Jetzt wurde ich offiziell verurteilt und darf auch in den nächsten 20 Jahren keine Filme realisieren. Trotzdem werde ich in meiner Vorstellung weiterhin meine Träume in Filme übersetzen. Als sozialkritischer Filmemacher muss ich mich damit abfinden, die alltäglichen Probleme und Sorgen meines Volkes nicht mehr zeigen zu können. Aber ich werde nicht aufhören, davon zu träumen, dass es in 20 Jahren keines dieser Probleme mehr geben wird und ich dann, wenn ich wieder die Möglichkeit dazu habe, Filme über den Frieden und den Wohlstand in meinem Land machen werde.

Die Wirklichkeit ist, dass mir für 20 Jahre das Denken und Schreiben untersagt wurde. Aber sie können mich nicht davon abhalten zu träumen, dass in 20 Jahren die Verfolgung und die Einschüchterung durch Freiheit und freies Denken ersetzt sein wird.
Mir wurde für 20 Jahre der Blick auf die Welt entzogen. Aber ich hoffe, nach meiner Freilassung eine Welt ohne geografische, ethnische und ideologische Grenzen zu bereisen.
Eine Welt, in der die Menschen ungeachtet ihres Glaubens und ihrer Überzeugungen in Frieden miteinander leben.
Ich wurde zu 20 Jahren Stillschweigen verdammt. Aber in meinen Träumen schreie ich nach einer Zeit, in der wir uns gegenseitig tolerieren und unsere jeweiligen Meinungen respektieren, in der wir füreinander leben können.

Letztendlich bedeutet die Wirklichkeit meiner Verurteilung, dass ich sechs Jahre im Gefängnis verbringen muss. In den nächsten sechs Jahren werde ich in der Hoffnung leben, dass meine Träume Realität werden. Ich wünsche mir, dass meine Regiegefährten in jedem Winkel der Welt in dieser Zeit so großartige Filme schaffen, dass ich, wenn ich das Gefängnis verlasse, begeistert sein werde in jener Welt weiterzuleben, die sie in ihren Werken erträumt haben.

Ab jetzt und für die nächsten 20 Jahre werde ich zum Schweigen gezwungen. Ich werde gezwungen, nicht sehen zu können, ich werde gezwungen, nicht denken zu können. Ich werde gezwungen, keine Filme machen zu können.

Ich stelle mich der Wirklichkeit der Gefangenschaft und der Häscher. Ich werde nach den Manifestationen meiner Träume in Euren Filmen Ausschau halten: In der Hoffnung, dort das zu finden, was mir genommen wurde.


zur website berlinale.de

hier sehen Sie eine Video-Aufzeichnung der Berlinale Eröffnung


Original des Briefes via Internationale Filmfestspiele Berlin