Wir müssen uns von der mittig gewordenen Islamophobie distanzieren

Es ist kaum auszuhalten: Anders Behring Breivik ist seinem Ziel so nahe gekommen! Alle Welt schreibt jetzt über ihn, leuchtet sein Leben, seine Motive aus, und viele, viele klicken sich dieser Tage durch sein krankes, aber professionell layoutetes, in diesem Sinne also gut lesbares Manifest des Rassenhasses.

Breivik ist wichtig geworden. Auch seine Selbstporträts als Kreuzritter von eigenen Gnaden haben sich ihren Platz in unserem Gedächtnis bereits erobert. Wie sollte man das auch vermeiden?

Wer so viele Menschen tötet, der avanciert in einer Demokratie unweigerlich zum Gesprächsgegenstand Nummer eins. Denn er packt sie an ihrem wundesten Punkt und greift ihr höchstes Gut an: den Schutz des Lebens von allen.

Wer eine Demokratie attackieren will, hat es also einfach: Er muss nur morden und seine Tat mit politischen Theorien garnieren. Sofort reden alle über ihn.

Zum Glück wird die Anhörung beim Untersuchungsrichter unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die Richter gewähren dem Massenmörder keine zusätzliche Plattform. Doch das Internet lässt sich nicht zensieren, Breiviks giftige Botschaft ist in der Welt: Der Muslim ist schuld!

Dass wir so entsetzt reagieren, hat ja nicht allein mit den vielen Toten zu tun. Sondern auch damit, dass jeder sehen kann, wie anschlussfähig Breiviks Wahnvorstellungen an eine salonfähig gewordene Islamophobie sind.

Damit wären wir beim Kern: Breiviks Hetze gegen die Muslime, die angeblich die christliche Kultur zersetzten, ist der Brückenkopf, der seine abseitige Ideologie mit der Mitte der europäischen Gesellschaft verbindet. Und genau für diese Verbindung trägt die europäische Öffentlichkeit Verantwortung. Man muss unterscheiden zwischen dem Terroristen als Person und seinem propagierten Gedankengut. In Versatzstücken findet man es in den gängigen Abgesängen auf die Multikultigesellschaft ebenso wie in der Annahme, der reproduktionsfreudige Muslim schaffe Deutschland ab.

Die bürgerliche Mitte adelte beide Diskussionen, oder sagen wir besser, beide Stränge des Ressentiments. Das wissen die meisten natürlich auch, und sei es nur unterschwellig. Daher versuchen sie sich jetzt mit der These vom Einzeltäter doch noch auf die Seite der Guten zu retten. Es ist einfach, zu behaupten, Breivik sei ein einsamer Spinner. Zumal die konservativen Medien möchten sich ihre islamophoben Erklärungsmuster nicht nehmen lassen und etikettieren den Massenmord von Norwegen mit Verve zur unpolitischen Tat eines Wahnsinnigen um. Für die politische Gegenseite ist auch das nur schwer auszuhalten.

Zudem funktioniert es nicht. In dem Versuch, den Täter zum einzelnen bösen Mann zu stilisieren, der isoliert von der Gesellschaft sein Unwesen treibt, schreiben die Konservativen eine Logik fort, auf der Rassismen aufbauen: die schlichte Einteilung in Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Christen versus Muslime. Obwohl sie versuchen, sich von Breivik mit der Einzeltäterthese maximal zu distanzieren, wird jetzt die strukturelle Nähe deutlich.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Solange Breivik als schuldfähig eingestuft wird, trifft ihn allein die Schuld an seinem Größenwahn, niemanden sonst. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Diskurseliten und ihre Adepten keine Verantwortung tragen. Breivik hält ihnen einen blutigen Zerrspiegel vor. Auch das ist schwer auszuhalten.

Doch in dieser Zumutung liegt eine Chance für Aufklärung. Muslimenfeindlichkeit dürfte sich ab jetzt schlechter verkaufen lassen. Haben wir doch alle sofort das Attentat in Norwegen vor Augen.

So zynisch das klingt: Angesichts dieser Katastrophe kristallisiert sich die Möglichkeit heraus, sich endlich von der bedrohlich mittig gewordenen Islamophobie zu distanzieren. Nichts weniger sind wir den Opfern und ihren Angehörigen schuldig.

 

© Ines Kappert

taz, 25.07.2011