Sun City

Ein goldener Käfig im Gefängnis der Apartheid

Das südafrikanische Freizeitresort Sun City wurde 1985 durch den gleichnamigen Protestsong der Initiative „Artists United Against Apartheid“ zum internationalen Begriff der Rassentrennung. Für viele Südafrikaner jedoch symbolisierte Sun City durchaus Hoffnung: Der Vergnügungspark galt als einziger öffentlicher Ort, an dem Schwarze und Weiße scheinbar selbstverständlich nebeneinander leben konnten. Andererseits war Sun City das Feigenblatt repressiver Toleranz, welches der Welt beweisen sollte: Nicht alles ist schlimm im Staate Apartheid. Mariette Kesting und Aljoscha Weskott begegnen der Ambivalenz Sun Citys in ihrem Film »Sunny Land« sowie in ihrem Begleitbuch mit dem Titel »Sun Tropes«, sie durchleuchten das Phänomen jedoch nicht vollständig.

»Ferienhotel der Luxusklasse«, »Aufregendstes Resort der Welt« – wenn von Sun City in Südafrika die Rede ist, hagelt es meist Superlative. Nicht ganz zu Unrecht, denn der riesige Freizeit- und Vergnügungskomplex, 150 Kilometer nordwestlich von Johannesburg und Pretoria, hat einiges zu bieten: Konferenzzentren, Sport- und Freizeitanlagen, mehr als 41 Bars und Restaurants, zwei weltberühmte Golfplätze, einen poetisch »Valley of Waves« getauften Wasserpark und ein Luxushotel mit dem nicht minder poetischen Namen »The Palace of the Lost City«. Kein Wunder also, dass die FIFA sich dazu entschlossen hatte, die Fußballweltmeisterschaft 2010 in diesem Refugium vorzubereiten. Ob aber einer der 500 Workshop-Teilnehmer wirklich wusste, wo er sich befand? Geschweige denn welche zwiespältige Geschichte dieses Traumland des Urlaubs wirklich hat?

Sun City wird auch gern das »Las Vegas Südafrikas« genannt, denn viele Besucher kommen allein wegen der Spielautomaten und dem Casino in diese Enklave des Fun. Darüber hinaus ist das 1979 von dem südafrikanischen Hotelier Sol Kerzner eröffnete Sun City aber auch eine nationale Institution von symbolischem Charakter, die bis heute das (Selbst-)Bild Südafrikas prägt. Auf der einen Seite war der Entertainment-Komplex mit Hilfe des Apartheid-Regimes errichtet worden, das damit nicht zuletzt an Devisen kommen wollte. Auf der anderen Seite war es einer der wenigen Plätze im puritanischen Südafrika, wo sich Schwarze und Weiße öffentlich begegnen konnten. Dieser Ambivalenz nähern sich der Berliner Filmemacher Aljoscha Weskott und die Wiener Kulturwissenschaftlerin Marietta Kesting in ihrem Film »Sunny Land« und dem Begleitbuch mit dem Titel »Sun Tropes«. Dabei zeigen sie auf, wie schwierig aber auch wichtig es ist, die kulturellen Fundamente der Apartheid zu decodieren und die historische Ahnungslosigkeit aufzulösen, mit der sie weltweit rezipiert werden.

Die Apartheid gründete nicht nur auf blutiger Unterdrückung sondern auch auf Strategien der »politics of pleasure«, der postmodernen Form der repressiven Toleranz. Mit Sub City entstand auf ethnisch segregiertem Territorium in dem von Lucas Mangope diktatorisch regierten Homeland Bophuthatswana (eine ethnisch organisierte Verwaltungseinheit ähnlich der Reservate für Eingeborene in Amerika und Australien) eine schillernde Oase des Pop: Hier traten Frank Sinatra oder Cher auf, und George Benson bekam in Sun City eine goldene Schallplatte überreicht. Sun City war so eine Art Negation der Apartheid auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet, ohne dass diese Negation wirklich konkret geworden wäre. So stabilisierte dieses „falsche Paradies“ die Herrschaftsverhältnisse als Überdruckventil. Es war ein Oxymoron aus Freiheit und Unterdrückung. Ein goldener Käfig in einem Gefängnis, der mit dem Fantasiebild einer Freiheit lockte, die es sonst in Südafrika nicht gab. „Ein Aufenthalt in Sun City war wie Ferien in einem anderen Land“, bestätigt die Performerin Helen Bodigelo, die in den achtziger Jahren in Sun City auftrat. Um die ungebrochene Verführungskraft dieses Ortes zu verdeutlichen, legen die Filmemacher der Erzählstimme aus dem Off – sie gehört der fiktionalen Figur des nomadischen Flaneurs Hans /Sampson Zaharkiv) – das Geständnis in den Mund, sich in das „sichere Paradies auf Zeit“ verliebt zu haben.

So interessant der Doppelcharakter von Sun City auch sein mag, Weskott und Kesting beißen sich vor allem an dessen filmischer Aufbereitung die Zähne aus. Sie wundern sich einleitend darüber, dass die Geschichte von Sun City so lange unaufgearbeitet blieb. Den nahe liegenden Ansatz einer klassischen Kontextualisierung als Dokumentarfilm verwerfen sie jedoch. Wahrscheinlich ist einem Ort, der so auf Images und visuelle Versprechen baut wie Sun City, mit »wahren« Bildern und einer Chronologie tatsächlich nicht beizukommen. Insbesondere für zwei Kulturwissenschaftler, die im intellektuellen Dreiländereck zwischen Walter Benjamin, Jacques Derrida und Mike Davis zu Hause zu fühlen scheinen. Die Mischung aus Filmessay und campy Mini-Drama, für die sie sich im Fall von »Sunny Land« entschieden haben, birgt jedoch so manche Tücken.

Für ihren Film haben Weskott und Kesting umfangreiches Bildmaterial zu Tage gefördert: von südafrikanischen Wochenschauen über Werbefilme bis hin zu Archivfotos. Es gibt Auftritte von Sol Kerzner und Lucas Mangope zu sehen, und selbst der deutsche Golf-Profi Bernhard Langer gibt sein Statement während einer PR-Aktion in Sun-City ab. Aber die Filmemacher sind Erinnerungsskeptiker und wissen um den ideologischen Charakter dieser Bilder. Die gute Idee, den Zwitterstatus von Sun City zwischen Fiktion und Realität aufzuspüren, mag einigermaßen aufgehen. Zum Beispiel wenn das Unwirkliche an den Erinnerungen von Zeitzeugen kenntlich gemacht wird, indem historische Aufnahmen bis an die Grenzen ihrer Auflösung überblendet und eingefärbt werden. Doch allzu sehr haben sich die Filmemacher in die Idee verliebt, Sun City in ein »diffuses Zeichen« zu verwandeln, das bis zum gleichnamigen Bräunungsstudio um die Ecke – wie man es in jeder Stadt der Welt finden kann – universelle Gültigkeit besitzt.

Es ist leicht erkennbar: Hier sind zwei Kulturforschende ihrer eigenen Obsession auf der Spur. Wenn Weskott und Kesting von Sun City als der »disco of apartheid« sprechen, schwingt darin auch ihr Erschrecken über die Kehrseite des Pop mit, seine Funktionalisierbarkeit für Herrschaft und Unterdrückung. Um so erstaunlicher, dass der Film nur am Rande von der Pop-Initiative »Artists United Against Apartheid« Notiz nimmt, die »Little« Steven, der umtriebige Gitarrist aus Bruce Springsteens E Band, 1985 gestartet hatte. Für ein Anti-Apartheid-Album versammelte er die damalige Prominenz des Pop-Business, darunter Miles Davis und (natürlich) U2, um sich gegen Rassentrennung und für einen Auftrittsboykott in Sun City auszusprechen. Der Protestsong »Sun City« ging um die Welt. Jenseits solche Exkurse rufen Weskott und Kesting in »Sunny Land« lieber den Popappeal der Kitschembleme auf, über die sich Vergnügungszentren weltweit inszenierten: Leuchtreklame, Liegestühle, Palmen vor Sonnenuntergang. Als zentrale Metapher fungiert das wiederkehrende Motiv eines menschenleeren Schwimmbeckens bei Nacht. Die Poolbeleuchtung taucht den Wasserspiegel in grünblaue Farbe – die stille Oberfläche wird zum Synonym für Verlockungen und Facettenvielfalt. Gleichzeitig wird aber auch zum Fetisch stilisiert, was es zu entzaubern gälte. Auch die »Liebesgeschichte« zwischen dem jungen einheimischen Fotografen Thato (Thato Mathole) und dem Erzähler Hans, der in dem Film nie in Erscheinung tritt, aber im Buch als »universeller Pop-Bürger mit österreichischen Wurzeln« gekennzeichnet wird, erschließt sich dem Zuschauer nicht ausreichend. Wahrscheinlich soll sich in ihr die projektive Wechselbeziehung zwischen Afrika und Europa spiegeln. Das größte Problem des Films aber ist die Melancholie, mit der nahezu alles belegt wird. Schweigend aber grundlos ruht der Blick mit derselben Schwermut auf einer Dschungellandschaft wie auf den hoteleigenen Frotteesandalen. Der eigentlich interessanten These, der südafrikanischen Journalistin Gwen Gill, dass Plätze wie Sun City nämlich das »role model« für die »Micro-City-States« abgeben, welche der real existierende Casino-Kapitalismus nicht nur in der Nach-Apartheid gebiert, nähert sich der Film zwar an, allein belegen kann er sie nicht. Stumm stehen die Filmemacher in einer Szene mit dem Auto vor Südafrikas prestigeträchtigem, 320 Hektar großem Immobilienprojekt in Dainfern: Schmucke, weiße Villen säumen eine Straße; leise quietscht der Scheibenwischer auf der Windschutzscheibe. Weiter reicht die Konvergenz des einen und des anderen Mikrokosmos in »Sunny Land« nicht.

Man muss schon Marietta Kestings spannenden Aufsatz in »Sun Tropes« lesen, um etwas vom »Versprechen der Urbanität« zu erfahren, das sich hinter den Mauern solcher Komplexe verbirgt. Auch die aufschlussreiche Bilanz der Soziologin Bridget Kenny bleibt im Film ohne Entsprechung: Im Buch erklärt sie, warum die neuen Shopping Malls in Südafrika zwar die soziale Ungleichheit perpetuieren, sich aber auch als »alternative soziale Räume« anbieten. Und wenn im Filom wiederum der englische Architekt Shahed Saleem feststellt, dass die City der Post-Apartheid ein »unvollendeter, improvisierter Körper« ist, aus dem eine »neue Form der Urbanität« erwächst, dann bricht die Reflexion an dieser Stelle allzu vorschnell ab. Der Zuschauer bleibt mit der nicht gerade neuen Erkenntnis zurück, dass sich auch in Südafrika reiche Bevölkerungsgruppen in Gated Communities separieren. Passend dazu endet »Sunny Land« schließlich mit Sol Kerzners neuestem Coup: dem 2008 in Dubai eröffneten Atlantis-Hotel The Palm.

Auch die mit Nachdruck herausgestellte These, in Sun City werde eine Rekonstruktion des mythischen Afrikabildes offenkundig, greift bei Weskott und Kesting zu kurz. Im Buch ist zu lesen, dass beim Bau das mythische Motiv der untergegangenen Stadt in den tradierten Narrativen über die Königin von Saba oder dem Märchen vom Urwaldkönig Tarzan Pate standen. Diese Bezugnahme mag den Erbauern damals wie ein kulturelles Wurzelschlagen vorgekommen sein. Heute aber, so geben die südafrikanischen Kulturwissenschaftlerinnen Jeanne van Eeden und Leslie Witz in in »Sun Tropes« zu bedenken, könnte dieses Setting die Sichtweise eines globalen Massentourismus bestärken, der immer noch das vorkoloniale Afrika im Kopf hat. An manchen Stellen steigern Weskott und Kesting die von ihnen ventilierte These von der Wirkungsmacht der Bilder geradezu ins Tendenziöse. Vermag Sun City mit seiner Mischung aus Glamour und Mythos solch politisch ikonische Bilder wie das von Nelson Mandela in seiner klitzekleinen Zelle auf der Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt wirklich zu überblenden? Wohl kaum.

Wo »Sunny Land« auf die vage Magie des Ortes Sun City fixiert bleibt, da wagt »Sun Tropes« auf ungewöhnliche Art und Weise, die (globalen) Lebensformen der Post-Apartheid aus den Relikten der Apartheid in Südafrika abzuleiten. Doch am Ende bleibt vor allem der melancholisch-projektive Blick des Films im Gedächtnis. Er erinnert daran, dass der Bilderkanon, der unsere Vorstellung von Afrika prägt, vor allem einem Ort entspringt: der europäischen Fantasie.

Autor: Ingo Arend


»Sunny Land« Deutschland, Südafrika 2010

Regie: Aljoscha Weskott, Marietta Kesting, 87 Minuten

Produktion: bbooksz av / Spleen.Productions















Marietta Kesting, Aljoscha Weskott: »Sun Tropes. Sun City and (Post-)Apartheid Culture in South Africa«
(in englischer Sprache), 292 Seiten (August-Verlag) 15.10.2009