Im Windschatten des großen Hypes

Als der russische Kunstsammler Roman Abramowitsch 2011 Venedig besuchte, wurde das sogleich symbolisch gedeutet. Seine riesige Privatjacht schob sich so neben das Gelände der Kunstbiennale in den Giardini, dass sich das Bild formlich aufdrängte: Der Sammler stellt die öffentliche Kultur in den Schatten.

Die Öffentlichkeit hat sich auf die neuen Machtverhältnisse eingeschossen. „Geld frisst Kunst“ überschrieb der Kritiker Georg Seeßlen jüngst ein „Pamphlet“ gegen die Kapitalisierung des Kunstbetriebs. Da lässt es aufhorchen, wenn andere des ästhetisch spekulativen Komplexes die Lage gelassener sehen. So ließe sich nämlich die 3. Kunstkonferenz der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) bilanzieren, die vergangene Woche in Berlin unter dem Titel „Sammeln und Kuratieren“ nach „Positionsverschiebungen im Kunstbetrieb“ fragte.

Niemand von den rund 200 Teilnehmern aus Museen, Akademien, der Universität, bestritt die Existenz der neuen „Powerplayer“. Niemand bestritt auch, dass bestimmte „Trends“ genau so gemacht werden, wie Klein-Erna sich den Manipulationsbetrieb Kunst gern vorstellt. Für den Berliner Sammler und Galeristen Daniel Marzona war das aktuelle Revival der Zero-Kunst das jüngste Beispiel für die stille Allianz der Händler und Sammler, die solche Entwicklungen strategisch lenkt. Und im Oktober ihren – zumindest symbolisch – wertsteigernden Abschluss in einer Retrospektive im New Yorker Guggenheim-Museum fand.

Trotzdem glaubt Marzona, dass der Einfluss der Sammler und ihrer Privatmuseen auf die Massenrezeption von Kunst überschätzt wird. „Diese Häuser werden von Beratern gemacht, sie sehen überall gleich aus“, beschwor er die Originalität der in Jahrhunderten gewachsenen Museumssammlungen. Und fügte mit Blick auf die mutmaßlich kurze Halbwertzeit der Privatsammlungen hinzu: „Diese Zeiten werden sich ändern“.

Eine stille Allianz

Philipp Demandt, 43 Jahre junger Chef von Berlins Alter Nationalgalerie relativierte das Argument, gegen die märchenhafte Kaufkraft der Sammler kämen öffentliche Museen nicht mehr an. „Ich habe noch nie einen Kollegen gesehen, der auf einer Auktion traurig gewesen wäre, weil er sich einen Damien Hirst nicht leisten konnte“, scherzte der Kunsthistoriker.

Für Demandt können die Museen im Windschatten des Kunstmarkt-Hypes durchaus sinnvoll arbeiten. Wenn sie sich auf ihre eigenen Stärken be- und unkonventionelle Ausstellungen ersönnen. Der eloquente, wunderbar spielerisch argumentierende Museumsboss bewies selbst, wie man eingeschliffene Sehgewohnheiten herausfordert. Seine Schau von Tierplastiken des nahezu unbekannten Bildhauers Rembrandt Bugatti zog in diesem Sommer über 115.000 Zuschauer an.

Bugatti ist ein aufschlussreiches Beispiel dafür, dass Marktwert und Symbolwert nicht zwingend so zusammenhängen beziehungsweise derart manipuliert werden können, wie dies in der linkend Kunstmarktkritik gern und häufig populistisch ventiliert wird. Der 1884 in Mailand geborene und 1916 in Paris gestorbene Künstler, der jüngere Bruder des italienischen Automobilkonstrukteurs Ettore Bugatti wird in Auktionen und auf dem Markt seit langem zu Höchstpreisen gehandelt. In der Welt der Museen war er bis zu Demandts Berliner Schau ein echter Nobody.

Wie um diesen Zusammenhang zu untermauern, zitierte die US-Konzept- und Performancekünstlerin Andrea Frazer, die auch an der kalifornischen UCLA-Universität als Professorin Kunstgeschichte lehrt, die Kunstsoziologen Ulf Wuggenig und Steffen Rudolph. Vergangenes Jahr hatten die in ihrer empirischen Studie „Valuation Beyond the Market. On Symbolic Value and Economic Value in Contemporary Art“ herausgefunden, dass der Marktwert und der Symbolwert künstlerischer Artefakte weitgehend autonom voneinander existiere.

Eine linke Ikone

Die Präsentation eines Künstlers im Museum hat demnach nicht immer direkte Auswirkungen auf den Preis, den er auf dem Markt und auf Auktionen erzielt – und umgekehrt. Frazer, eine Ikone des progressiven Flügels der Kunstszene, zog daraus kühl den Schluss, mit der von links beständig wiederholten These vom korrupten Kunstmarkt und -betrieb versuchten die Kritiker nur ihren eigenen Bedeutungsverlust in einem Feld zu kompensieren, in dem sie längst nicht mehr die Rolle spielten wie noch zu Zeiten der legendären Kunstpäpste Clement Greenberg oder Arthur C. Danto in den USA etwa.

Das macht den spekulativen Hype im Kunstmarkt, der von potenten Geldbesitzern ausgeht nicht zum linken Hirngespinst. Es versucht nur, das Problem realistischer darzustellen. Der Sammler Christian Schwarm, Erfinder der Online-Plattform „Independent Collectors“, versuchte mit einer semantischen Unterscheidung die Spreu vom Weizen zu trennen und empfahl, die rein finanz- und anlagetechnisch Getriebenen und die ästhetisch Motivierten als das zu bezeichnen, was sie sind: Spekulanten und Broker auf der einen Seite, Sammler und Galeristen auf der anderen Seite. Das kulturelle Problem, dass das große Geld auf die Kunst zugreift, wird mit dieser semantischen Unterscheidung aber natürlich noch nicht entschärft.

Ähnlich differenziert, ja milde betrachteten die Konferenzteilnehmer auch das zweite Sorgenkind des Betriebs, den Kurator. Für die Leipziger Kunsthistorikerin Beatrice von Bismarck erzwang die Ausweitung der Kunstzone seit den 1960er Jahren eine neue Vermittlungsinstanz, die mehr war als der Kurator als Kustos, der im Museumsdepot seine Schätze hütet. Der tritt inzwischen selbst gelegentlich wie ein Künstler auf. Schwerer wiegt für die Frankfurter Kunsttheoretikerin Isabelle Graw aber, dass sich mit dieser Figur eine Errungenschaft in einen Fluch verwandelt hat.

Der Mann, der noch bis vor kurzem die „poröse Materialität“ der zeitgenössischen Kunst zu ordnen verstand, sei mit dem künstlerisch-ökonomischen Multitasking, das ihm heute abverlangt wird, zum bedauernswerten Prototyp des „Neuen Geistes des Kapitalismus“ geworden, wie ihn die französischen Sozialwissenschaftler Luc Boltanskiund Ève Chiapello beschrieben haben.

Der große Dompteur

Wer dann noch den Seufzer von Ellen Blumenstein, der Chefkuratorin der Berliner Kunst Werke, über den täglichen Seiltanz zwischen Inhalten und Administration hörte, schrumpfte das Bild des mächtigen Kunst-Dompteurs, der das Primäre in Gestalt der Kunst und des Künstlers unter seine (Selbst-)Inszenierungsinteressen zwingt, plötzlich auf das Jammerbild eines im Hamsterrad Getriebenen.

Wahrscheinlich endet er gelegentlich so wie Carolyn Christov-Bakargiev. Nur am Jetlag kann es nicht gelegen haben, dass die ehemalige Documenta-Chefin, 2012 zur „mächtigsten Frau“ des Kunstbetriebs gewählt, auf der Konferenz wie ein Schatten ihrer selbst wirkte. Mit ihrer lecture, einer bizarren Mixtur aus Documenta 13-Nostalgie und Gertrude Stein-Anrufung, unterbrochen von erratischen Bewusstseinsschüben und Seufzern, trieb die Frau, die im Herbst 2015 die Istanbul-Biennale kuratiert, die Zuhörenden in Scharen aus dem Saal.

So erkenntnisreich die eintägige Konferenz war, so sehr bot sie ein bemerkenswertes Beispiel strategischen Marketings. Sich im Kunstfeld zu vernetzen ist für ein kränkelndes Leitmedium wie die FAZ gewiss nicht die schlechteste Idee. Schließlich ist dort viel Geld, Macht und Kreativität im Spiel. „Schafft Kunst Neues Handeln?“, fragte die erste Kunstkonferenz schon 2012, vergangenes Jahr ging es um „Museum reloaded“.

Schade nur, dass es der Kultur-NGO FAZ mehr um die arrivierten decision-maker als um die in Berlin überreich vorhandene freie Szene ging. 750 Euro mussten Interessierte hinblättern, um an dem Wissens-Transfer der hochkarätigen „Knowledge-Partner“ zu partizipieren. Die für ihre Vorträge kein Honorar erhielten, sondern in der Währung der Aufmerksamkeitsökonomie „entlohnt“ wurden: dem symbolischen Kapital, für einen Tag einem illustren Kreis anzugehören. Immerhin da glich die Konferenz den prekären Arbeitsbedingungen, auf der die gemeine Kunstwelt weithin gründet.

Symbolisch unproblematisch schien den Veranstaltern auch der Ort ihres Austauschs. Über die Macht der Sammler und Kuratoren diskutierten sie wiederrum im Cafè Moskau an der Karl-Marx-Allee. In der Nachwendezeit war das Juwel der DDR-Moderne ein verruchter Tanz-und Musik-Club der Berliner Subkultur. Heute wird es von einem Mann als edle Event-Location vermietet, der zwar auch Kunstsammler, in erster Linie aber doch Spekulant ist: Nicolas Berggruen.

 

Ingo Arend

Eine Kurzfassung dieses Artikels erschien in: taz – die tageszeitung vom 1.12.2014