Neues aus Hollywoods Ideologieproduktion: Vier Filme für den Präsidenten

„Oh Boy“, letzte Nacht habe er Rambo II gesehen, verkündete ein begeisterter Ronald Reagan kurz nach Beendigung der Geiselnahme von Beirut im Juni 1985. „Jetzt weiß ich, was ich tue, wenn das nächste Mal so etwas passiert.“ John Rambo, die Ein-Mann-Armee auf dem Rachefeldzug im Vietnam der achtziger Jahre, sollte ein Symbol für die Außenpolitik des Cowboy-Präsidenten werden. Von Richard M. Nixon ist bekannt, dass er sich in seiner Amtszeit immer wieder das Soldaten-Epos Patton – Rebell in Uniform hat vorführen lassen, die Heldentaten des eigenwilligen US-Panzergenerals zwischen 1943 und 1945. Ein Lebensmotto aus dem Zweiten Weltkrieg für den Krieg in Vietnam: Hart gegen sich selbst und gegen andere.

Unabhängig davon, wie viel an diesen Überlieferungen Legende ist, erzählen die Präsidenten-Lieblingsfilme eine Menge über die Zeit und das politische Klima, in dem sie erschienen. Kaum eine Ära wurde so sehr anhand der Entwicklungen im Hollywood-Film diskutiert wie die Amtszeit von Ronald Reagan. Die politische Rhetorik spiegelte sich in Kriegsfilmen wie Rambo II, in Yuppie-Komödien wie Das Geheimnis meines Erfolgs und restaurativen Vergangenheitsbewältigungen à la Zurück in die Zukunft. Wenn also Filme etwas über Präsidenten erzählen können, was sagt Hollywood über die gerade angebrochene George-W.-Bush-Ära?

Tatsächlich scheint es, als stritten bereits in den ersten Monaten der neuen Regierung eine ganze Reihe von Produktionen darum, zum Lieblingsfilm des Präsidenten zu werden. Die besten Chancen hat vielleicht die von Mimi Leder inszenierte Erlösungsvision Das Glücksprinzip. Da wird zunächst festgestellt, dass noch nicht alles in Ordnung ist. Menschen im Elend und ohne Arbeit, Drogenabhängige, gewaltbereite Kinder, zerrüttete Familienverhältnisse, Messer auf dem Schulhof und alleinerziehende Mütter ohne Geld zeigen die Lage. Um es mit dem Schuljungen Trevor (Haley Joel Osment) aus Las Vegas zu sagen: Die Welt muss geändert werden, „weil einfach alles beschissen ist“.

Wie sie schließlich geändert wird, passt vorzüglich zu einer Politik, die mit massiven Steuersenkungen die Zukunft der staatlichen Gesundheitsfürsorge Medicare und der Sozialfürsorge bedroht und zugleich Armut als eine Frage des persönlichen Engagements begreift. Ergo lautet in Leders Glücksprinzip die Antwort auf alle Missstände: Selbsthilfe. Wenn jeder Einzelne drei Menschen hilft und diese die Hilfe an je drei andere weitergeben, sagt Trevors Glücksprinzip, dann wird schon alles gut. Ein staatliches Sozialsystem ist überflüssig. Helfen beziehungsweise arbeiten kann jeder, der nur will, und am Ende wächst sich der Erfolg des Glücksprinzips zum landesweiten Heilsversprechen aus: „Die Bewegung hat L.A. erreicht!“ Der messianische Opfertod Trevors schließlich lässt auch an das bereits erfüllte Wahlkampfversprechen Bushs erinnern, Bundesgelder aus dem Sozialhaushalt in religiöse Organisationen fließen zu lassen.

Bushs Wahlkampfstrategie, gegen übermäßige Gewaltdarstellungen in Film und Fernsehen zu polemisieren, können wir in der krudesten Medienkritik-Posse wiederfinden, die augenblicklich im Kino zu sehen ist. 15 Minuten Ruhm erzählt davon, wie illegal eingewanderte Osteuropäer die „gewaltgeilen“ US-Massenmedien für ihre blutigen Zwecke missbrauchen. Damit bringt John Herzfelds Film gleich zwei aktuelle Ängste zusammen: die kulturpessimistische Angst vor dem schlechten Einfluss der Massenmedien und die Furcht vor den „Illegalen“ aus ehemaligen „Schurkenstaaten“. In 15 Minuten Ruhm sind es ein Russe und ein Tscheche, ihre Serienmorde beginnen sie mit dem Satz: „Glaubst du, ich bin nach Amerika gekommen, um zu arbeiten?! Niemals!“ Diese Leute sind für das US-Glücksprinzip verloren und bekommen auch dafür am Ende die gerechte Todesstrafe.

Der Rassismus, aus dem Helden geboren werden

Damit also das innenpolitische Bush-Prinzip wirklich funktionieren kann, braucht es mehr Leitfiguren wie Trevor. Die demnächst anlaufenden Filme Men of Honor und Tigerland schnitzen dafür das Bild des aufrechten, integren und heldenhaften US-Soldaten, der unter schwersten Bedingungen seinen Mann steht.

„Unsere Armee ist ausgebildet, Kriege zu führen und zu gewinnen“, hat ein kerniger George W. Bush mehrfach während der öffentlichen Wahlkampfdebatten mit dem zögerlichen Al Gore bemerkt. Zumindest auf Helden wie den Navy-Taucher Carl Brashear (Cuba Gooding Jr.) und Private Roland Bozz (Colin Farrell) kann er sich da verlassen.

Mit einer Authentizität heischenden Wackelkamera, „Ich war da, Mann!“, inauguriert Joel Schumachers Tigerland einen neuen alten all-American boy im Angesicht des Vietnamkrieges 1971. Im US-Ausbildungslager „Tigerland“ avanciert Roland Bozz vom eigensinnigen Querulanten mit Herz zum perfekten Anführer seiner Einheit. So einfach ist das: Der Vietnamkrieg mag falsch gewesen sein, es mag auch vereinzelte Durchdreher und Schwächlinge gegeben haben, doch festzuhalten bleibt das schöne, stolze Antlitz eines beispielhaften Helden. Schon das Eingangsschild zum Lager, „Geburtsstätte des Infanteriesoldaten“, erklärt: Hier entstehen Helden. Eine komplettere Umkehrung von Stanley Kubricks Full Metal Jacket ist kaum vorstellbar.

Wahre Führung, davon erzählt Tigerland, zeichnet sich durch „Stärke“ aus.

Gemeint ist sowohl physische Kraft als auch die starrköpfige Unbeirrbarkeit, mit der ein natural born leader wie Bozz sich gegen alle Anfeindungen durchsetzt. In diesem Sinne hatte auch Bush im Wahlkampf von leadership gesprochen. In diesem Sinne will er die Klimaschutzziele von Kyoto ignorieren, und in diesem Sinne hat er wenige Wochen nach Amtsantritt mit den Luftangriffen gegen den Irak Stärke demonstriert.

Men of Honor schließlich kommt als Biografie eines Navy-Helden der fünfziger und sechziger Jahre ohne die Hypothek Vietnam aus und kann darum Tigerland in Sachen Kitsch und Klischee sogar noch überholen. Die Erzählung vom ersten farbigen Navy-Taucher Carl Brashear erscheint passend zur Verwandlung des Golfkrieg-Helden Colin Powell in den ersten farbigen Außenminister der USA.

Gerade vor diesem Hintergrund besteht der Skandal von Men of Honor umso offensichtlicher darin, wie dieser Film den Rassismus in der Navy behandelt, den Master Chief Billy Sunday (Robert De Niro) verkörpert und gegen den Brashear bestehen muss. Rassismus ist hier die Herausforderung, an der man wächst, um zum geachteten Kameraden der Rassisten zu werden.

So wie Brashear das Handicap seiner Hautfarbe mit Einsatz wettmacht, wird er sich auch nach einem Unfall flugs von seinem steifen Bein trennen, um mit einer Prothese wieder seine Pflicht zu tun. „Was macht dich so zäh?“, fragt Sunday, und wir wissen längst, dass er selbst die Antwort ist. Wie Carl Brashear in diesem Film seine persönliche Anerkennung bekommt, ohne dass Rassismus als ein allgemeines Problem überhaupt benannt würde, entspricht darum recht genau dem compassionate conservatism von George W. Bush, nach dem Armut keine Frage der Hautfarbe oder Herkunft ist, sondern des individuellen Willens. Auch hier wirkt das neue Glücksprinzip, in dem jedes Unrecht und jeder Systemfehler nichts anderes als eine willkommene Herausforderung für das Individuum ist.

Der neue Präsident kann derzeit also ganze Filmnächte im Weißen Haus veranstalten. Es fehlen nur noch ein Öko-Thriller, in dem ein US-Chemiekonzern mit einem Präparat alle Umweltprobleme löst, und ein Kriegsfilm, in dem das neue Raketenabwehrsystem NMD die Welt vor irakischen Atomwaffen rettet. Auch damit könnte in dieser Ära noch zu rechnen sein. Wie sagte George W. Bush? „Ich glaube, wir sind uns darüber einig, dass die Vergangenheit vorbei ist.“

Autor: Jan Distelmeyer

Dieser Text ist zuerst (vor dem 11.September 2001) erschienen in: DIE ZEIT, 18/2001