“Buberle, aufsteh’n, es geht gleich los!“ Und so saßen wir, mein Bruder und ich, vom Papa umarmt, um 3e früh vor’m Fernseher. Wir sind quasi in den USA, wir schauen Cassius Clay gegen Sonny Liston. Es ist der 25. Februar 1964. Wir, mein Bruder 5 ½, ich 7 Jahre alt, verstehen nix, arg schläfrig, bibbern wir ein wenig. Papa freilich ist nahezu feierlich gestimmt, war er doch selber mal Boxer, Halbschwergewichtler, nach’m Krieg, in den 1950ern. Ein schnell beweglicher Techniker, Linksausleger, sei er gewesen, der Papa – wiewohl ein bissle stolz auf ihn, war gegen, mit ihm boxen furchtbar, wir flogen halt durch die Luft, selbst bei wattigen Schlägen – wie Cassius Clay.

Cassius Clay, schon 1960 Olympiasieger in Rom und seither als Großmaul, als ‚Lippe von Louisville’ Pop-Ikone, gewann und wurde Weltmeister. Und so standen wir wieder auf am 25. Mai 1965, wo er seinen Titel gegen Sonny Liston verteidigte; und so auch am 30. Oktober 1974, wo CC, längst zum Islam übergetreten, sich von seinem Sklavennamen emanzipierte und fortan Muhammad Ali sich nannte. Gegen Joe Frazier im Madison Square Garden zu New York, yesss, we were live present. In Zaire wurde er gegen George Foreman nach sieben Jahren nun wieder Weltmeister. Die 8 Kopftreffer gegen den in der 8. Runde erschöpften Kraftprotz krönten eine taktische Meisterleistung – „Georg, was ist mit Dir los, hast Du nicht mehr drauf, ich bin enttäuscht“. Bizarr, wie vom Blitz gefällt, ging der Favorit in einem slow motion Taumel, dessen melancholische Figuration kein weiterer Hieb stören sollte, so Alis Trainer Angelo Dundee, zu Boden. Der ‚Rumble in the Jungle’ in Kinshasa gegen ‚Big bad George’ war ebenso magisch, voll Aura, wie der ‚Thrilla in Manila’ gegen ‚Smokin Joe’ Frazier: auch am 30. September 1975 standen wir natürlich, nun schon selig, wieder dabei zu sein, nachts auf und zitterten aufgeregt durch den epischen Kampf, in dem Ali ‚den Tod gesehen habe’.

Cassius Clay alias Muhammad Ali imponierte mit seiner Eleganz, seiner Präsenz: born to perform. Verkörperte er als Athlet die ästhetisch-expressive Vernunft, dann war er im Ring eine biomorphe Letter, ein Tänzer, dessen Topform zugleich seine Information war, als fielen in seinem Tanz Signifikant und Signifikat rasend in eins: beat for beatness, könnte man werben, wie er mit den Beatles auf einem Foto joked. Aber seine Haltung war durchaus politisch: „Ich habe keinen Streit mit dem Vietcong“. Am 28. April 1967 verweigert er den Militärdienst, bekommt den Titel aberkannt und muss ins Gefängnis. Auch deswegen ist er in Hollywood auf dem ‚Star walk’ verewigt. They never come back? Doch. Er schon. Und wir, immer vor der Glotze mit dabei. Kult war das. Ein Hochamt, was war Gothes Faust gegen Ali‘s Faust?

Er war eins dieser antiparastatischen Genies, die mit der Schnelligkeit intuitiven Handelns faszinieren, weil ihnen aus dem Stegreif alles gelingt, haben sie doch in ihrem Kopfe keinen Appelationshof, so Balthasar Gracian in seinem Handorakel der Weltklugheit. Ja, Ali war, wie Goethe, ein Dichter, ein Autor dynamischer Choreographien im Ring, in dem er aus Reizen, Affekten, Blitzlichtern, Schweiß und Seilen las, was nie geschrieben wird: das Machen, griechisch poiein, zweier der Körper, in deren Konstellationen der Ringrichter, der intervenierende Dritte, über das Fairplay ihrer Kunst der Nähe und Abstände wachte. Ali, für mich d e r Poet des Augenblicks, im Ring wie außerhalb. Mit fast 40 Jahren hört er nach 61 Kämpfen und 56 Siegen auf – vielleicht zu spät: seit 1984 kämpft er gegen Parkinson, mit Würde, mit Demut. Alles im Fernsehen ist seither nur ‚anstatt‘. Seine Ära jedoch hält an. Im Film ‚when we were kings’ wie in Norman Mailers Buch The Fight lebt „der große Zeh Gottes“ auf ewig, schwergewichtig wie die 29 Kilo wiegende, 50 x 50 cm große und 800 Seiten dicke Biographie: GOAT, Greatest of all Times. 32 Jahre hat der König nun zwei Körper, den unversehrten seiner Aura und den versehrten seiner Dura. Anzünden der Olympiafackel 1996 in Atlanta, die Freiheitsmedaille 2005 in Washington – immer war „I am the Greatest“ gleichviel Power, Bürgerrechtsprotest, Unkorrumpierbarkeit, Souveränität wie Charme, Dezenz, Mut und Demut, und: Zärtlichkeit – und wenn man ihn mit seinen 9 Kindern erlebte und er sich, schwer von ihnen getroffen, unter ihrem Lachen fallen ließ. Längst dominierte den Wahnwitz des Eigendünkels ein Gesetz des Herzens.

Ein Boxer als Mann des Friedens. „I am Ali“, seit 2014 im Kino, lässt das größte Ego Amerikas belichtet auferstehen. Boxen als body politics, oder in minimaler Lyrik: „Me & We“. So war sein Boxen ein Lied, wie das von Simon & Garfunkel. The Boxer war kein Kirmeshaudrauf, sondern Flow aus Fleisch und Blut. Ali war Stil, die amerikanische Version vom farfe una bella figura, eien Ikone des Cool, mit spielerischer Lässigkeit der schwere der Notwendigkeit die Erscheinungsweise schwebender Leichtigkeit zu stiften. Er hat in seiner Sprezzatura den ästhetischen Widerstreit ausbalanciert: Nimm den Konflikt an, geh in den Ring, lebe den Clinch, aber zugleich. „float like a butterly, sting like a bee!“ Nie war Schweres leichter als beim ‘Fürst des Himmels’. War er nicht ein Artist? Nein, kein Clown, keine Zirkusnumer, nix Seichtes. Aber auch nix mythisch Tiefes. Nietzscheanisch ehr, oberflächlich aus Tiefe, ein Glückskind aus Schmerzen, eben Artist. Doch Ars heißt nicht nur Kunst, es meint auch Gelenk, sich artikulieren, gelenkig, geschmeidig sein, wider Arthrose oder Arthritis, wider Erstarrung: wie Dogma, fixe Wahrheit, oder Konsum, fixe Ware. Selber machen, Poesie aus dem Moment, jetzt, maintenant, was mit eigner Hand geht und sich kraft der geschöpflichen Lust sich in seinem Tun selber als Inhalt erleben: homo ludens.

Nun ist er tot. „Ali, boma ye – Ali, töte ihn“ schrien sie ihm gegen ‚Dschordsch‘ zu. Jetzt hat ihn der Parkinson ausgeknockt. K.o. Ich sammle die Nachrufe, on boxing, sie sind auch die auf meine Kindheit, mein Boxsack ist Zeuge. Mit Papa nachts aufsteh’n, Cassius Clay kämpfen sehen, „Me & We“. Wie wahr, gut, schön er war …

Jochen Wagner

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Bild oben aus: 
I Am Ali von Clare Lewis / © Kinostar