Endlich einmal eine wirkliche Innovation. Mit dem Betreuungsgeld stößt die Bundesregierung in eine neue Dimension des Gestaltens vor und entdeckt die negative Politik. Negative Politik zielt auf Unterlassung. Anstatt den Staat als gesellschaftliche Organisationskraft oder als öffentlichen Dienstleister zu verstehen, belohnt negative Politik den Verzicht auf staatliche Angebote. Das Betreuungsgeld ist nur der Anfang. Wenn wir uns erst einmal daran gewöhnt haben werden, Geld zu bekommen, für Dinge, die wir nicht nutzen, könnten wir noch sehr reich werden, Hartz-IV-Empfänger inklusive. Denn wer behauptet, dass die, die nichts haben, auch nichts dazu bekommen müssen, der hat die Segnungen der negativen Politik noch nicht verstanden.

Ich zum Beispiel sehe gar nicht ein, warum ich kein Betreuungsgeld erhalten soll, nur weil ich keine Kinder habe. Jedes Kind, das ich nicht habe, ist doch ein nicht in Anspruch genommener Krippenplatz, von der weiteren Ausbildung an Schulen und Universitäten ganz zu schweigen. Und da ich mindestens fünf Kinder nicht habe, kommt schon ein durchaus lohendes Sümmchen zusammen. Und bitte, komme jetzt keiner damit, dass Kinder zukünftige Steuerzahler und Rentenfinanzierer seien. Die meisten werden doch allenfalls in Cafés herumlungern, irgendwas mit Kunst oder Medien machen, die Sozialversicherungen belügen und von steuerfinanzierten Subventionen leben. Um all das zu sparen, könnte der Staat doch besser gleich einen Teil dieser Kosten an konsequent Kinderlose überweisen. Dann hätten alle etwas davon.

Und was ist mit den öffentlichen Bibliotheken, die ich nicht nutze, den Opernhäusern und Schwimmbädern, die ich nicht besuche? Wo bleibt da meine Nichtbenutzungsprämie? Als Fahrradfahrer möchte ich zudem die Einführung eines Mobilitätsgeldes anregen, das sich aus meinem Fernbleiben von der Autobahn ergibt und aus den dort nicht zurückgelegten Kilometern errechnen lässt. Eine Nicht-Pendler-Pauschale wäre geeignet, die Länge der ortsüblichen Staus zu vermindern. Außerdem bin ich sowieso für die Verlegung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene. Dann könnten auch LKW-Fahrer ein Mobilitätsgeld in Anspruch nehmen, und das Prinzip der negativen Politik hätte seine Weltveränderungskraft bewiesen. Die Verschrottungsprämie war ja schon mal ein hübscher, aber noch nicht konsequent zu Ende gedachter Versuch in dieser Richtung.

Wer nun entgegnet: Autobahnen sind aber keine Kindergärten, dem kann ich nur erwidern: Und ob! Man muss sich nur all die Kleinen auf ihren Bobby-Cars ansehen, um zu erkennen, dass sich im weiteren Leben nichts mehr ändern wird. Das Gedrängel und Geschubse und aggressive in den Kofferraumfahren bleibt sich gleich – von der Krippe bis zur finalen Massenkarambolage. Abhilfe schafft da nur das Betreuungsgeld für nicht existierende Kinder. Und vielleicht hätten wir dann bald auch das Grundeinkommen für Alle – als Lohn für nicht geleistete Arbeit, nicht besetzte Stellen und nicht gestellte Ansprüche.

 

Bild: CC BY 2.0 Elizabeth, originally posted to Flickr as Kaitlyn reads a book.

Jörg Magenau, rbb Kultur 26.04.2012