Die Wirkungsmacht der Stille 

Fußball-Fans protestieren gegen neue Sicherheits-Konzepte, indem sie schweigen

Endlich Stille. Das ist doch mal eine gute Nachricht. Fußballfans als gesellschaftliche Avantgarde erproben eine neue Protestform. Keine Prügeleien, kein Gejohle, kein Geschrei, Gepfeife und Gehupe. Einfach mal die Klappe halten ‑ und siehe da, die Sache funktioniert, alle hören hin. „Gespenstisch“ sei es gewesen, sagt Armin Veh, Trainer der Frankfurter Eintracht, denn so sind wir im Dauerlärm des Lebens geeicht, dass wir ein paar Minuten Stille gleich für „gespenstisch“ halten müssen. Stille macht Angst. Vielleicht deshalb, weil da jedes einzelne leise Geräusch plötzlich vernehmbar wird wie ein Knacken im dunklen Wald. Gibt es etwas Gruseligeres als „Das Schweigen der Lämmer“?

Ein Fußballstadion, in dem nichts zu hören ist als das Schweigen der Fans und das Schnaufen der Spieler und das Geräusch, das sie mit ihren Stollen auf nassem Rasen machen, ist allerdings durchaus gewöhnungsbedürftig. Fast hätte man im Dortmunder Stadion auch das Sirren des Balles in der Luft hören können, wäre da nicht das Hüsteln und Murmeln von 80.000 eben doch nicht ganz und gar schweigenden Menschen gewesen. Klar zu hören waren jedoch die Kommandos der Spieler. „Torwart!“. „Quer!“. „Hintermann!“, und so weiter, Rufe, die normalerweise nur in der weiten Einsamkeit eher ländlicher Rasenflächen so deutlich erlebbar sind.

In der Stille der Anfangsminuten wurde der Fußball aufs Wesentliche reduziert, wurde wahr und einfach. Man blickte auf den Platz wie in klares Wasser. In der Stille ist Fußball nichts als Arbeit, ein physikalischer Vorgang in Raum und Zeit, der darin besteht, gemeinschaftlich das Feld umzupflügen und den Ball ins Tor zu schießen. Ohne die Gesänge der Fans, ohne den gelebten Soundtrack der Leidenschaft finden da unten auf dem Spielfeld schlichte, geometrisch erfassbare Bewegungen statt. Das Spiel wird kenntlich wie ein mit Musik zugesülzter Film, wenn man den Ton abstellt. Das Spiel muss sich also in der Stille bewähren.

„Ohne Stimme keine Stimmung“, lautet die Losung der protestierenden Fans. Das ist wohl wahr. Doch dem wäre leichter zuzustimmen, wenn „Stimmung“ nicht von vorn herein ein Wort mit immanentem Gröl-Befehl wäre. Stimmung, so das verbreitete Vorurteil, lässt sich an der Lautstärke ablesen. Der Schweigeprotest hat nun aber bewiesen, dass auch Stille zum Erlebnis werden kann, zum politischen Erfolg oder medientechnisch gesprochen, zum Hingucker. Schweigen ist etwas so Erstaunliches, dass sich damit Aufmerksamkeit erzielen lässt. Das ist die Lehre aus der Fanaktion, die sich gewinnbringend auf andere Gesellschaftsbereiche übertragen lässt. Auch wenn sicherlich nicht zu wünschen wäre, dass es beim Fußball demnächst so zugeht wie beim Tennis, wo der Stadionsprecher mit der Ermahnung „Quiet please!“ um Ruhe bittet: Die Kraft der Stille ist eine kulturelle Entdeckung, die es nun zu verteidigen gilt.

Jörg Magenau, rbb Kulturradio 30.11.12