Venus des Pop

Die schräge Karriere der Uma Thurman

Wenn irgendein Bild das Kino der letzten Dekade charakterisiert, dann ist es das Gesicht von Uma Thurman, wie es aus dem Plakat zu Pulp Fiction herausschaut. Quentin Tarantino hat aus Thurman eine Ikone gemacht. Aber keinen „richtigen“ Star: Sie ist eine schillernde Erscheinung geblieben. In der Pop-Biz-Komödie Be Cool, die jetzt bei uns anläuft, liefert Thurman an der Seite von John Travolta eine Reprise auf die Tanzszene in Pulp Fiction. Ein Rückblick auf Thurmans Vamps, Slacker, Cowgirls und Bräute.

Uma Thurman funktioniert auf der Leinwand weniger semiotisch als kinetisch. Nicht das Bild, sondern die Bewegung prägt sich ein. Die 1.000 Bilder der Uma Thurman, im Film und außerhalb, ergeben nicht das eine, das alles erklärende Bild. Es ist, als hätte da eine Kino-Erscheinung jene das Image begründende establishing role nie gefunden, die einen Schauspieler in einen Star oder eine Darstellung in einen Mythos verwandelt. Oder als sei eben der Schlüsselfilm für die Leinwand-Imago von Uma Thurman nie gedreht worden, auf den sich die pop-artistischen Varianten wie in Pulp Fiction oder Kill Bill nur beziehen können. In ihren berühmten Filmen ist Uma Thurman Variante und Kommentar zu Vor-Bildern, in ihren besten aber nichts anderes als ein normaler Mensch im Kampf ums Überleben. Kaum einer der großen Hollywood-Stars ist so wandelbar in den Masken, lässt sich mit so wenigen, kräftigen Mitteln einer Rolle und einem Ambiente anpassen, ohne das Innere des Wesens zu verlieren, wie sie. Und kaum einer kann so leer wirken, wenn sie selbst oder die Regie keine Inspiration finden.

Ein bisschen verliebt ins Verlieren

Es ist eine Art von elsewhereness, die ihren Stil prägt: Ein Teil von dem Menschen, der da oben auf der Leinwand agiert, scheint immer schon oder noch irgendwo anders zu sein. Stets bleibt ein Rest des Unnahbaren, eine Grenze der Lesbarkeit. Eher Verweigerung als Rätsel. Uma Thurman spielt nie einen Menschen, der vollständig erklärt wäre. Im Gegenteil: Wenn ihr Stil funktioniert, dann geht es darum, dass der Mensch auf der Leinwand erst zu Ende erfunden werden muss. Vom Film und von seinen Zuschauern.

Wenn Quentin Tarantino von Uma Thurman als seiner Marlene Dietrich spricht, dann meint das wahrscheinlich einerseits eine neue Variante jenes endlos geflochtenen Bandes von Geschöpf und Schöpfer eines Leinwand-Mythos, die Errichtung eines filmischen Kosmos, den es nur um eine ganz bestimmte Persona geben kann; es meint andererseits wohl aber auch ein neues Kapitel der Künstlichkeit, eine Technik, eine Person unbestimmt und vieldeutig zu lassen. In einem schönen Zwischendrin. Uma Thurman ist, auch hierin Marlene Dietrich verwandt, eine ebenso ideale wie tückische Projektionsfläche. Weniger ein Rollenmodell als ein facettenreiches Bild, das aufscheinen und verschwinden will. Und wie bei Dietrich entsteht die Spannung dabei vor allem aus dem Kontrast zwischen den ausgeprägten, ja fast schon sonderbaren Zügen der Person und der Vieldeutigkeit der Persona. Glamour und Nacktheit, Maske und Mensch, langue & parole: Die Verhältnisse sind heftig in Bewegung zwischen Ernst und Spiel, zwischen Biografie und Technik.

Dass Thurmans Darstellung weder psychologisch noch biografisch sonderlich tief geht, wird ihr bei jedem ihrer schlechten Filme zum Vorwurf gemacht. Dabei gäbe es da weiß der Teufel einiges zu erzählen. Denn die Vita von Uma Thurman ist mindestens so verrückt wie exemplarisch. Sie ist das Produkt einer europäisch-amerikanischen Post-Hippie-Familiengeschichte mit einem hohen Koeffizienten jener Ideale von Selbstverwirklichung, Freiheit und spiritueller Neugier, die im Amerika von George W. Bush ins Hintertreffen geraten sind. Man kann die Dissidenz förmlich rumoren hören in diesem Familienroman (gleich neben der Neurose und der unfreiwilligen Komik): Ihr Vater Robert Thurman ist Professor für „Indo-Tibetan Buddhist Studies“ an der Columbia University. Er gilt als der erste Mann aus dem Westen, der in Tibet die Weihen eines buddhistischen Mönchs erhielt. Uma wurde nach der hinduistischen Göttin des Lichts und der Schönheit benannt. Ihre Mutter Nena war ein erfolgreiches Fotomodell in Schweden, bevor sie sich als Psychotherapeutin einen Namen machte; in erster Ehe war sie mit Timothy Leary verheiratet. Brigit Holmquist, Nenas Mutter, ist das Modell für die nackte Statue am Hafen von Trelleborg. Sie heiratete übrigens Baron Karl von Schlebrugg, damit noch etwas europäische Aristokratie durch den Thurman-Familienroman schwurbelt. Anders herum: Uma Thurman ist Schauspielerin jener Slacker-Generation, die darunter zu leiden meinte, dass die großen Revolten schon geschlagen, die großen Konzerte gespielt und sogar die großen Irrtümer allesamt begangen sind. Ein bisschen verliebt ins Verlieren. „Ich war nicht gerade die beste Schülerin, ich war nicht sehr sportlich, ich war zu groß, ich sah eher komisch aus. Ich war wirklich ziemlich daneben als Kid“: eine einsame unsichere Kindheit mit dem verzweifelten Wunsch, in andere Rollen zu schlüpfen, eine Maske zu finden. Sie hatte, erinnert sich Uma Thurman später, so wenig ein Bild von sich selbst im Kopf, dass sie immer wieder überrascht von ihrem eigenen Spiegelbild war. Wenn man will, kann man das als das Wesen ihres späteren schauspielerischen Elans ansehen – das Vermeiden und Suchen des Spiegelbilds.

Jemand wie sie, mit den großen Augen, dem vollen Mund, und den tänzerischen Bewegungen, kann sich so rasch zum Vamp modellieren wie zum leidend schlampigen Kid ohne Lust auf Eigenschaften. Mit 15 Jahren ging Uma Thurman nach New York auf die Highschool, mit 16 wechselte sie an die Professional Children’s School, um Schauspielerin zu werden. Sie arbeitete als Model und, nun ja, Tellerwäscherin. Ihr erster Film, immerhin gleich eine Hauptrolle, war der Thriller Kiss Daddy Goodnight (1987) von Peter Ily Huemer, wo sie der kindliche Vamp ist, der Männer aufreißt, betäubt und beraubt, bis sie selbst Opfer eines Killers wird. Aber ebenso wenig wie die Teenager-Komödie Johnny Be Good (1988), wo sie eines der Mädchen ist, die sich um einen genialen Footballspieler reißen, konnte diese Rolle viel für eine kommende Karriere versprechen. Es war immer noch zu viel Schlaksigkeit und zu viel Ernst in ihr, um Uma Thurman zur neuen blonden sexy Kind-Frau fürs realistisch-kaputte B-Movie zu machen. Der Sex-Appeal bedurfte der Maske, der Stilisierung, der Erklärung auch. Noch im selben Jahr 1988 kamen zwei größere Produktionen: Terry Gilliams Münchhausen – ein Auftritt als Liebesgöttin Venus ist schon etwas! – und Stephen Frears‘ Gefährliche Liebschaften, wo sie als Cécile de Volanges eines der Opfer im Spiel der bösen Glenn Close und ihres Widersachers John Malkovich ist. Besonders in diesem Film lernte Uma Thurman, nicht nur vor der Kamera, sondern auch für sie zu agieren. Die Szene der Verführung mit Malkovich jedenfalls hat sich in die Geschichte der sexy scenes eingeschrieben, nicht weil sie so gewagt wäre, sondern weil Uma Thurman zum ersten Mal diesen Spiegel-Trick anwendet, eine Art der verblüfften Selbsterkenntnis vor der Kamera (was sich in den Zorn-Szenen in Kill Bill wiederholen wird).

Es ist eine erotische Mythologie, die rudimentär und unbewusst in diesen Filmen entwickelt wird – eine junge Frau, die weder zum Opfer noch zur Täterin vollkommen tauglich ist, und die in der Welt dazwischen nach der perfekten Maske sucht. Das verstörte und zugleich arrogante Kind, das jugendliche Wesen, das viel mehr als ihre Altersgenossen an Erfahrung, aber auch viel weniger an sozialer Gewissheit gesammelt hat, schimmert in ihren Kunstwesen noch durch. A Slacker Goddess. In beiden Filmen zeigte sie einen schon einigermaßen eigenwilligen Stil, eine Art des rebellischen körperlichen Over-acting.

Phil Kaufmans Henry & June (1999) verzeichnete immerhin mit dem NC-17-Prädikat einen kleinen Skandal. Aber es waren nicht gerade überwältigend viele Leute, die Uma Thurman in der Rolle von Henry Millers bisexueller Frau June im Dreiecksverhältnis mit Anaïs Nin sehen wollten; das Ganze war vielleicht nicht nur zu anrüchig, sondern einfach auch zu „europäisch“. Aufgrund der „gewagten“ Szenen wurde sie nach dem Film von zweifelhaften Fans angebetet, erhielt langweilig unmoralische Angebote und wurde als neuer Sex-Star unter den Produzenten gehandelt – weshalb sie in ihren folgenden Produktionen weitgehend darauf verzichtete, diesem Klischee zu entsprechen.

Slacker Goddess

Uma Thurman hatte sich bis dahin trotz ihrer Misserfolge den Ruf einer verlässlichen Schauspielerin für „interessante“ Parts erarbeitet, die man nun am liebsten in profilierten Nebenrollen einsetzte, die etwas Mut und Verwandlungsfähigkeit erforderten: eine leicht modernisierte Maid Marian in der TV-Version von „Robin Hood“ (1990), Kim Basingers psychisch kranke, kalte Schwester in Final Analysis (1992) von Phil Joanou, die blinde Frau, die von einem Serienkiller verfolgt wird, in Bruce Robinsons Jennifer 8 (1992), das unfreiwillige „Geschenk“ des Gangsters Bill Murray an den braven Robert De Niro in Mad Dog and Glory (1993). In keinem dieser Filme steckte ein Erfolgsmodell für die Leinwandpräsenz der Uma Thurman, aber jeder entdeckte eine Variante eines romantischen Mythos und bot Möglichkeiten zur Entwicklung des Handwerks. Keiner wurde beim Publikum oder bei der Kritik ein besonderer Erfolg, und so schien für Uma Thurman der erste Tiefpunkt der Karriere erreicht. Quentin Tarantinos Pulp Fiction war die Rettung, ein Neustart. Sie ist als Frau des Gangsters Marsellus Wallace ein Kunstprodukt in einer Kunstwelt, ihre Tänze mit dem Killer Vincent Vega (John Travolta) gehen direkt über in das Todeszucken einer Überdosis – der radikalste Wandel von Tat und Opfer. Der Tanz mit dem eigenen Spiegelbild hat ein neues Stadium erreicht, und die ungeheure Spannung von Stilisierung und Körperlichkeit, Maske und Nacktheit entsprach so genau der Tarantino-Mischung aus Spiel und Ernst, dass die Thurman-Szenen zum dramatischen und ästhetischen Schlüssel werden. Als Kamera-Bild vom Spiel des Ernstes und vom Ernst des Spiels.

Gus van Sant machte in Even Cowgirls Get the Blues (1993) einen etwas schrägen Gebrauch von diesem Aspekt der magischen Biografie. Die elsewhereness, die Sehnsucht nach dem Aufbruch, die Selbstfremdheit und die Revolte in der Gefangenschaft sind miteinander verbunden, als gelte es, sich mit einem Akt der filmischen Dekonstruktion über Uma Thurmans hier besonders trotzige Erscheinung herzumachen. Dabei schien gerade diese Verfilmung eines Kult-Bestsellers die Chance zum ersten echten Uma-Thurman-Film zu bieten: Die Geschichte von Sissy Hankshaw, deren Daumen ein paar Nummern zu groß ausgefallen sind und die zur Königin der Tramperinnen geworden ist. Geld verdient sie zwischendurch als Model für Hygieneartikel der exzentrischen Countess, auf deren Schönheitsfarm in Oregon Sissy Hankshaw in eine Revolte der Cowgirls und eine Liebesgeschichte mit Bonanza Jellybean, ihrer Anführerin gerät. Warum funktionierte dieser Film nicht (auch wenn man ihn im Nachhinein durchaus liebenswert finden mag)? Unter anderem kam er zur falschen Zeit und löste vielleicht auch gerade durch seine Ambitionen die einfache Gleichung Uma Thurman = Sissy Hankshaw wieder auf.

The Truth About Cats and Dogs (1996) ist vielleicht der erste Anti-Uma-Thurman-Film, ein Flirt mit der romantischen Komödie, zu der die Schauspielerin offenkundig eine unglückliche Liebe hegt. Sie ist die Freundin der unsicheren Heldin, die sie zu einem Date schickt, weil sie genau so ist, wie sie sich selbst beschrieben hat: blond, schön und sexy. Allerdings auch dumm und unsensibel. Mit Beautiful Girls, Ted Demmes Cliquen-Film, und Griffin Dunnes TV-Produktion Duke of Groove (1996) beschreibt diese Phase in Thurmans Karriere so etwas wie einen Versuch der Eingemeindung einer schrägen Figur in den weißen Mittelstand. Richtig funktionieren konnte das nicht. Eine echte Uma-Thurman-Rolle kam dann erst wieder in Gattaca: Die schwarze Welt der genetisch manipulierten Zukunft und die schöne Entfremdete passen eher zueinander: Härte und Kälte einer Welt, in der nur die Starken und Gesunden überleben sollen, spiegeln sich in ihrem Gesicht. Ihr Charakter jedenfalls wird ganz bewusst nur rudimentär entwickelt. Das tut dem Film sicher gut; wie’s der Schauspielerin dabei ging, kann man nur vermuten.

Das Genre des fantastischen Films brachte Uma Thurman sonst wenig Glück; im Kontext bunter Kinderfaschingskostüme fühlte sie sich offensichtlich nicht wohl. Mit der Rolle der maskierten Poison Ivy in Joel Schumachers Ermordung eines Comic-Helden, Batman & Robin (1997), und mit ihrer Emma Peel in dem uninspirierten Remake von The Avengers (1998) ging es erneut bergab. Die Avengers brachten ihr eine Nominierung als schlechteste Schauspielerin des Jahres ein; sie scheint in der Tat nicht einmal Lust zu haben, eine blöde Rolle wenigstens durch campyness oder Ironie zu adeln. Dabei wären gerade solche Filme geeignet, das Pulp-Fiction– Image ein wenig zu popularisieren, hin zu einer Leichtigkeit vielleicht, für die aber Uma Thurman möglicherweise nicht geboren ist. Nicht wesentlich mehr Glück hatte Uma Thurman mit ihren ambitionierteren Arbeiten und mit den europäischen Filmen. In Les Misérables (1998) von Bille August ist sie als Fantine schön und krank, ganz die große Liebe, die sich in großen Gesten und mit großen Augen zu erkennen gibt. Auch an Woody Allens Fake-Dokumentation über den Gitarristen (Sean Penn), der sich vor seinem Idol Django Reinhardt schämt, Sweet and Lowdown (1999), hat Uma Thurman nicht so viel Anteil, wie man es sich hätte erhoffen können. 1997 war sie für die Zeitschrift „Empire“ immerhin Nummer 99 unter den Top 100 Hollywood-Stars. Der große Uma Thurman-Film wollte indes nicht gelingen.

Aber es gibt eine ganz andere, leider hier zu Lande weitgehend unbekannte Uma Thurman. Eine höchst intensive Darstellerin, die einer Kamera standhält, die in den intimsten Bereich der Gefühle von sehr realen Menschen dringt. Richard Linklater besetzte sie in Tape (2001), dem legendären Drei-Personen-Motelzimmer-Drama, dessen „Handlung“ sich quasi in Echtzeit abspielt, und das Uma Thurman Gelegenheit gibt, ein größeres Repertoire der Zersetzungen und Zerstörungen zu entfalten. Wie Tape blieb auch Ethan Hawkes Chelsea Walls (2001) weitgehend unbekannt, und unter der Regie von Mira Nair spielte Uma Thurman in dem TV-Movie Hysterical Blindness (2002), einem weiteren intimen Drei-Personen-Stück (mit Juliette Lewis und Gena Rowlands), für das sie mit einem „Golden Globe“ als beste Darstellerin einer Fernsehproduktion ausgezeichnet wurde. Es sind die kleineren, genaueren Porträt-Filme aus der Mitte Amerikas, die man in Europa nicht zu sehen bekommt, Americana, in denen Uma Thurman die ordinary woman ist – vielleicht eben die Frau, die die Braut in Kill Bill hätte werden wollen, wenn ihr nicht die Rache-Geschichte dazwischen gekommen wäre -, die mit ihrer Mischung aus Toughness und Verletzlichkeit, dem Lebensmut und der elsewhereness einigermaßen nahe an den Alltag jener Menschen gelangt, die in Bushs Amerika nicht glücklich werden. In ihren kleinen Filmen gelingen Uma Thurman Porträts des Scheiterns, dort, wo das überhöhte Pulp-Fiction-Bild von der merkwürdigen Mischung aus athletischer Kraft und blondem Engel nicht mehr hilft und jenseits der Slacker-Attitüde. Das Multiplex-Publikum dieser Welt erobert man mit solchen Filmen nicht.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht  in  epd Film 4/2005