Das charmante Monster

Mein Gott, dieses Grinsen. Es ist zusammengesetzt aus Charme, Geilheit, Dämonie und Unverständnis.  Mit immer neuen Mischungen daraus kann man wohl alles spielen, ausgenommen vielleicht Männer, die bloß nett, sympathisch und langweilig sind. Dass dieser Kerl seine Schauspieler-Karriere in den Horrorfilmen des Roger Corman begann, ist vielleicht kein reiner Zufall. Und von den Darstellern des ewigen Kultfilms „Easy Rider“ machten nicht die Outlaw-Helden Peter Fonda und Dennis Hopper die größten Hollywood-Karrieren, sondern der dritte Mann auf dem Motorrad, der den bürgerlichen Aussteiger spielte: Jack Nicholson.

Jack Nicholson passte wie kein Zweiter in die Zeit des New Hollywood: ein kantiger, anmaßender, im klassischen Sinn nicht gerade „schöner“ Mann, der keinen Glamour, keine Maske, keine Verstellung brauchte, der „nur“ er selber war, aber das so bedingungs- und grenzenlos, dass ihm jeder Film „gehört“ vom Augenblick an, da er die Leinwand betritt. Ein Schauspieler mit einem untrüglichen Instinkt für Charaktere und Wirkungen, und einer, der immer „alles gibt“, manchmal auch zuviel.

Aufgewachsen in der amerikanischen Provinz unter nicht gerade ermutigenden Bedingungen. Als uneheliches Kind einer Siebzehnjährigen nahm ihn die Großmutter auf, die ihrerseits eine abenteuerliche Lebens- und Liebesgeschichte hinter sich hatte. Als Tochter einer reichen protestantischen Familie verliebte sie sich in einen gewissen John Nicholson, der nicht nur arm wie eine Kirchenmaus, sondern auch fest entschlossen war, dem Bild des trinkfesten, melancholischen und lebensuntüchtigen Iren eine besonders gelungene Variation hinzuzufügen. Jack jedenfalls wuchs in einer Umgebung auf, wo es von starken Frauen und skurrilen Männern wimmelte, und manche seiner Rollen, beginnend mit dem versoffenen Anwalt in „Easy Rider“ haben Vorbilder in den beiden so unterschiedlichen Familien. Seine Mutter, die er lange Zeit für seine ältere Schwester hielt, versuchte sich an einer Karriere im Showbusiness, dann fiel auch sie dem Teufel Alkohol in die Hände. Jack folgte ihr in die Stadt der Engel, aber wie seiner „Schwester“ gelang es auch ihm nicht so recht, ein stetes Arbeitsleben zu organisieren. Endlich erhielt er ein Angebot aus Hollywood. Nein, nicht als Schauspieler. Jack Nicholson durfte Fan-Post beantworten. Die Fan-Post für die Cartoon-Gestalten Tom & Jerry, um genau zu sein.

Nebenbei begann er beim „Player’s Ring Theatre“ zu spielen, eine armselige Truppe, die, wie Jack Nicholson später bekannte, fast ausschließlich mit gestohlenen Utensilien auftrat. Aber es war eine großartige Schule für einen Schauspieler, der das Leben für die beste Ausbildung hält. Von seinen kleinen Rollen in Fernsehserien war er weniger begeistert, aber sie brachten das Geld für die Miete. Und das Geld fürs Herumhängen, Party-Feiern und die eine oder andere anregende Substanz Probieren. Dann endlich entdeckte der nimmermüde Produzent und Regisseur Roger Corman den jungen Schauspieler: „Er schien diese jugendliche Energie auszustrahlen und zugleich die Kontrolle darüber zu haben“. Nicholson spielte in Krimis, Horrorfilmen und Rocker-Epen wie „Die wilden Schläger von San Francisco“. Schnell, billig und heftig waren diese Filme, und Jack Nicholson spielte perfekt den Außenseiter unter lauter Außenseitern. Zwei Western von Monte Hellman, die aussahen wie absurdes Theater in der Wüste, „Das Schießen“ und „Ritt im Wirbelwind“, waren erste darstellerische Herausforderungen, vielleicht erst hier bekam Jack Nicholson den Geschmack an ehrgeizigen Projekten. Und nach dem sensationellen Erfolg von „Easy Rider“ aus dem Jahr 1969 konnte er sich nun auch die Rollen aussuchen und wählte die Zusammenarbeit mit den jungen Vertretern des New Hollywood. Mit „Drive He Said“ drehte er 1970 seinen ersten Film in eigener Regie, eine autobiographisch getönte Geschichte um einen Basketballspieler, der nicht recht weiß, ob er eine glanzvolle Karriere oder doch lieber politischen Protest und das Leben in der Gegenkultur wählen soll. Kommerziell war der Film ein Desaster, und künstlerisch, na ja, Jack Nicholson wollte wohl zu viel auf einmal.

Der Karriere als Schauspieler tat dies keinen Abbruch. Mit „Five Easy Pieces“ und dann mit der Komödie „Das letzte Kommando“ bewegte er sich langsam aber unaufhaltsam in Richtung Mainstream und Big Budget, die Zusammenarbeit mit Michelangelo Antonioni in „Beruf: Reporter“ machte ihn zu Beginn der siebziger Jahre endgültig zum Star des internationalen Kinos. Dann kamen die großen Erfolge Schlag auf Schlag: „Chinatown“ von Roman Polanski (später versuchte er sich selber als Regisseur an einem Sequel, das übrigens von der Kritik sträflich unterschätzt wurde), „Einer flog übers Kuckucksnest“ von Milos Forman, „Shining“ von Stanley Kubrick, „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ von Bob Rafelson, „Grenzpatrouille“ von Tony Richardson, „Die Ehre der Prizzis“ von John Huston, „Die Hexen von Eastwick“ von George Miller. Unterschiedlicher kann man sich die Filme und die Rollen eines Schauspielers kaum vorstellen, es sind Genrestücke, Dramen, Komödien, aber alle sind getrieben von einer unbändigen Energie, von dieser speziellen Nicholsonschen Mischung aus Charme, Verführung, Dämonie und Verständnislosigkeit. Er spielte Menschen, die sich ganz und gar zu verlieren drohen, und er spielte Menschen, die sich ganz und gar kontrollieren. Vor allem aber spielte Jack Nicholson Menschen, die zwischen dem Wahn der Kontrolle und der Kontrolle des Wahns scheitern müssen.

In dieser Zeit war Nicholson eine Klasse für sich im amerikanischen Film. Und er wusste es, und verschwieg es auch nicht: „Weltstars gibt es viele“, meinte er 1981 im Interview mit einer deutschen Illustrierten, „aber nur einen Megastar. Und der bin ich“. Niemand weiß genau, wie ernst Nicholson diesen gepflegten Größenwahn meint, vielleicht nicht einmal er selber. Manchmal gerät man in Versuchung, den Schauspieler Jack Nicholson mit seiner genialen Figur, dem komisch-bösen „Joker“ in „Batman“ zu verwechseln: Einer, der einen unbändigen Spaß daran hat, das eigene Leben zu genießen, die anderen zu erschrecken, und aus jedem Auftritt die größtmögliche Wirkung zu holen.

Seit den neunziger Jahren sind seine Rollen in der Regel sanfter und menschlicher. Jack Nicholson hat kein Problem damit, einen verzweifelten Verlierer zu spielen wie in Sean Penns Dürrenmatt-Verfilmung „Das Versprechen“, und er hat kein Problem damit, die kleinen Tragödien des Alterns darzustellen wie in „About Schmidt“. Jack Nicholson muss nichts mehr beweisen. Wenn er mag, kann er noch immer jeden Kollegen mühelos an die Wand spielen und die Leinwand als Ein-Mann-Schau für sich erobern. Aber meistens mag er das nicht mehr. Der einzige Megastar der Welt hat im letzten Abschnitt seiner Film-Karriere noch eine große Schauspieler-Tugend gelernt. Zurückhaltung.

Autor: Georg Seeßlen

Text: veröffentlicht im filmspiegel 04/ 2007