Dean Reed oder Die seltsamen Abenteuer eines Yankee in den Ländern der Bolschewiki

Der erste Defa-Film des amerikanischen Schauspielers und Sängers Dean Reed war Aus dem Leben eines Taugenichts. Ein etwas seltsamer Film, in dem Reed davon sang, dass die Gedanken frei seien, und in dem er ein ewig suchender und ewig träumender Kindmann war. Ihn selber hat, wie er später gesagt hat, überrascht, dass der Film kein Erfolg wurde, weder bei der Kritik noch beim Publikum. Obwohl es ein autobiographischer Film war: Dean Reed empfand sich als den Taugenichts. Als einen, der die Musik der Freude, die Freiheit und die Liebe sucht, in die Welt hinauszieht und nie in ihr zuhause wird, wie die guten Bürger es sind. Und Dean Reed war der Taugenichts, sehnsüchtig und naiv, bis zu seinem Tod. Wenigstens wäre er es gern gewesen.

Am 17. Juni 1986 wurde im Zeuthener See am Rand von Berlin die Leiche des Sängers, Schauspielers und politischen Kämpfers Dean Reed gefunden. Das Fernsehen der DDR sprach von einem tragischen Unfall, Freunde des Stars wussten von seinen Depressionen, von seinen Eheproblemen und seiner beruflichen Krise. Sie hielten einen Selbstmord für wahrscheinlich.

Das Leben des Dean Cyril Reed, geboren am 22. September 1938 auf einer Hühnerfarm in Colorado, lässt für Spekulationen und Phantasien weiten Raum. Er ist ein Wanderer zwischen den Welten gewesen, auch persönlich voller Widersprüche, einer, der herausging aus Amerika, dessen politisches System, die soziale Ungerechtigkeit im Inneren und die militärische Aggression nach außen er nicht mittragen wollte, und einer, der das Amerikanische nie aus sich selber herausbrachte, ein Kämpfer, der sich nie scheute, auch persönliche Gefahr auf sich zu nehmen, und zugleich ein Mensch voll Sehnsucht nach Harmonie und Geborgenheit, ein romantischer „Taugenichts“, wie alle anständigen jungen Menschen, aber einer, der aus dieser Rolle nicht mehr herausfand.

Der junge Dean Reed wurde ein Cowboy. Nach der High School arbeitete er auf einer Touristenranch in der Nähe von Denver. Er zeigte seine Reit-Kunststücke und Lasso-Tricks und unterhielt am Abend die Gäste mit Westernballaden zur Gitarre. Da war er in seinem Element, so liebte ihn jeder und vor allem jede. Daneben trat er als „Denver Kid“ in Clubs und bei lokalen Radiostationen auf. Da war die Konkurrenz schon härter. Dean Reeds Aura war sympathisch, regional und familiär. Zum echten Star fehlte ihm das Überlebensgroße, vielleicht auch das innere Drama. Er hörte sich an wie Elvis Presley. Aber er war nicht gefährlich.

Dean Reed war entschlossen, Karriere zu machen, er machte Glücksmusik, Taugenichts-Musik. 1958 führte ihn der Weg nach Hollywood; kleine Rollen beim Film und einige Singles bei Capitol Records. Aber dann wurde, ziemlich überraschend, Reeds eigene Komposition Our Summer Romance 1960 ein großer Hit in Südamerika. Vielleicht war es der Song, der alle Sehnsüchte unterdrückter Menschen nach einem sorgenfreien und oberflächlichen Leben zusammenfasste.

Dean Reed folgte seinem Publikum, er war nicht der einzige, der den südamerikanischen Pop-Markt als Ausweg und Offenheit entdeckte; wie der Taugenichts zog er nach Süden, auf den Spuren der Liebe, nicht zuletzt. Und tatsächlich wurde Reed in Chile von begeisterten Fans empfangen, wahrscheinlich, weil er genau so aussah, wie man sich einen glücklichen und unschuldigen Yankee vorstellte. Seine Tournee durch den ganzen Kontinent wurde ein phänomenaler Erfolg. Zusammen mit seiner ersten Frau lebte er in Argentinien, Chile und Mexiko, trat in seichten Musikkomödien auf, hatte eine eigene Fernsehshow und spielte in meist ausverkauften Konzerthallen. Das war gängig damals, dass die US-Traumfabrik ihren Überschuss exportierte, in Europa, in Mexiko und sogar in Hongkong arbeiteten damals die Stars aus der zweiten Reihe, deren Talent oder Aura für die ganz große Karriere in der Heimat nicht reichte.

Aber nun, zu Beginn der sechziger Jahre, begann auch die politische Wandlung des Dean Reed. Er sah, was die Mischung aus Arroganz und Profitgier der USA mit den Menschen im Süden des Kontinents anstellte, er sah Gewalt und Korruption und den Hunger nach Freiheit. Hätte er anders ausgesehen, hätte er in einer anderen Stimmlage oder in einem anderen Genre gesungen, als klassischer „Intellektueller“ zum Beispiel, die Wirkung wäre bei weitem nicht so nachhaltig gewesen. Aber Dean Reed war aus dem Herzen der USA gekommen, kein urbaner Protestler sondern ein Cowboy vom Land, der unschuldige, rebellische Sohn des biblisch-kapitalistischen John Wayne.

„Wir glauben in Amerika, die ganze Welt liebt uns“, erklärte Reed später in einem Interview. „Und dann plötzlich fährt man nach Südamerika, wo man in jedem Land ´Yankee, go home´ sieht, und man sagt zuerst einmal: warum?“ Was Dean Reed verstanden hatte, das übersetzte er in einfache Worte und Gesten. Ein Marxismus des Herzens, vielleicht. Dem naiven, aufrechten Sänger konnte gelingen, was seinen politischen Freunden nicht gelingen konnte. Sein großer Auftritt kam bei der Weltfriedenskonferenz in Helsinki des Jahres 1965. Als es Dean Reed gelang, allen Streit und alles Misstrauen unter den Teilnehmern zu überwinden, und als er sie dazu brachte, sich an den Händen zu fassen und mit ihm We shall overcome zu singen, da war zugleich eine Bewegung und eine ihrer „Ikonen“ geboren.

Genau das war die Mischung, die Dean Reeds Aura bestimmte: das aufrichtige Engagement, die jugendliche Naivität, die instinktive Showmanship, die Freude an der Gemeinschaft – und ein bisschen auch narzisstischer Rausch in der Begeisterung, die ihm entgegenschlug. Begeisterung war es, die Dean Reed bei seinen Tourneen durch die UdSSR und die sozialistischen Staaten begleitete. Pop aus dem Westen, Rock´n´Roll und Western, Glamour und dieser unschuldige Sex Appeal, der den Schauspielern im sozialistischen Realismus nicht zugestanden wurde, und zugleich die richtige politische Botschaft, so einfach, so sinnlich formuliert, dass kein Mensch an Ideologie oder gar Propaganda dachte.

Von nun an gab es Dean Reed zweimal. Den politischen Sänger und Aktivisten, Freund von Victor Jara, Salvador Allende und anderen Vertretern der südamerikanischen Befreiungsbewegung. Den unermüdlichen Kritiker der US-amerikanischen Politik und Cantor der internationalen Solidarität. Und den Pop-Star aus der zweiten Reihe, der in kuriosen Teenager- und Strandkomödien aus Mexiko und Argentinien auftrat, Platten auf kurzlebigen Labels veröffentlichte und schließlich als typischer Import-Yankee in italienischen Serienfilmen auftrat. Marke: blond, naiv und Siegerlächeln. Titel: Sein Colt fegte alle zur Hölle, Blonde Köder für den Mörder, Der wilde Korsar der Karibik oder Adio Sabata.

Dass beides nicht zusammengehen wollte, die bescheidene aber doch erfreulich stetig verlaufende Pop-Karriere und das politische Engagement, das war für Dean Reed schwer zu ertragen. Die gespaltene Seele des für die Freiheit singenden Cowboys sehnte sich so sehr nach Vereinigung, der weltreisende Taugenichts sehnte sich so sehr nach Heimat, dass er jede Möglichkeit ergreifen würde, beides zu verbinden, auch um den Preis, sich für offizielle Propaganda benutzen zu lassen. Nicht das Geld ist es und nicht die Macht, was dem einsamen Cowboy zum Verhängnis wird, sondern die trügerische Geborgenheit der sesshaften Bürger, die einfachen Rituale ihrer Sonntage und die gütige Wärme ihrer Frauen.

Während die Situation in Südamerika für ihn zunehmend prekär wurde, Verhaftungen, Einreiseverbote, Ausweisungen und Verfolgung, orientierte sich Reed nach Osteuropa. 1971 lernte er auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche seine spätere zweite Frau kennen und beschloss, in der DDR zu bleiben.

Dean Reed und die Frauen, da brach der innere Widerspruch am deutlichsten auf. Einerseits sehnte er sich nach Geborgenheit und Familie, andrerseits aber hatte er stets noch Schwierigkeiten mit Bindungen und Verantwortung, der Taugenichts, der immer zugleich verliebt und auf der Flucht vor der Liebe war. Vor allem Kinder scheinen Dean Reed zu schaffen gemacht haben, vielleicht weil er selber so etwas wie ein ewiges Kind sein wollte. Ein Cowboy hat keine Kinder, auch ein sozialistischer Cowboy nicht.

Man kann Dean Reeds letzten großen Erfolgsfilm, Sing, Cowboy, Sing als eine bizarre Mischung aus musikalischer Komödie und Western genießen, tiefer drinnen ist es freilich auch eine magische Biographie, die Geschichte vom Cowboy und dem Kind. Er möchte ihm entfliehen, und er muss doch Verantwortung übernehmen; er möchte Nestwärme spüren und doch noch unterwegs sein, er möchte geliebt werden, und doch nicht eingezäunt. Im Kino geht diese Geschichte gut aus. In Dean Reeds Leben tat sie´s nicht.

Vermutlich war es die äußere Tragik von Dean Reeds Leben, dass er zugleich Pop-Star, Freiheitskämpfer und Mustersohn der guten Väter sein wollte. Und die innere Tragik war es vielleicht, dass er die Anmut der Mädchen liebte und die Kraft der Mütter fürchtete. Für einen Cowboy gibt es keinen Unterschied zwischen dem Privaten und dem Historischen. Der Cowboy reitet und reitet, bis irgendwas passiert, dass er nicht mehr reiten kann. Das ist sein Leben, und das ist die Geschichte der Freiheit und ihres Endes. Oder anders gesagt: Es ist ein ewiger Widerspruch zwischen der Freiheit der Völker und der Freiheit der Individuen; es ist ein ewiger Widerspruch zwischen dem, für was man frei ist, und dem, von was man frei ist. Der Cowboy löst den Widerspruch nur, indem er unterwegs bleibt, der Einzelne ohne ein Eigentum.

Blutsbrüder aus dem Jahr 1975 war einer der populärsten DEFA-Indianerfilme: Reed spielte den Offizier, der in den Indianerkriegen die Seiten wechselt, um für die geknechtete rote Nation einzutreten, und Gojko Mitic war der edle Krieger. Reed und Mitic, das waren die bewusstseinsmäßig schwer verbesserten Ost-Ausgaben von Winnetou und Old Shatterhand im BRD-Kino. Blutsbrüder blieb aber der einzige gemeinsame Film der beiden, obwohl, wie man so sagt, die „Chemie“ durchaus stimmte.

Und ein zweites „Traumpaar“ entstand, als Reed die Schauspielerin Renate Blume heiratete. Soviel Glamour war nie – und überdeckte doch nicht das Grau. Das Grau einer Bilderkultur mit Grenzen, und das Grau von Beziehungsproblemen darin. Mit Kit und Co (1974), El Cantor (1977), und schließlich Sing, Cowboy, Sing (1981) kreiierte Dean Reed beinahe so etwas wie ein eigenes Genre im DDR-Kino. Immer auf der Suche, immer verfehlend: das Selbstverständliche.

Es sind seltsame Filme geworden, Filme, die beides verfehlen müssen, die Leichtigkeit von Genrefilmen und die Klarheit politischer Botschaften. Es sind Filme, die sich selber nicht recht verstehen, Filme, deren Geschichten und Bilder sich abhanden kommen, es sind „Taugenichts“-Filme. Man kann sie mögen, gerade in ihrer Unreinheit und Unfertigkeit. Lachen kann man natürlich auch über sie. Über die Unbeholfenheit, mit der die kleinen Reitertricks in den Fluss der Handlung eingebaut sind, über das Überdeutliche; Eisenstein hat eine Zeit von einem Kino geträumt, das wie ein Zirkus funktioniert, und Dean-Reed-Filme, das sind gleichsam Filme aus dem Wanderzirkus Eisensteinchen, Rodeo-Shows mit politischen Ansagen; auch mit Alexander Kluge könnte man diese Filme lesen.

1983 kehrte Dean Reed noch einmal nach Südamerika zurück, engagierte sich im Kampf gegen die Pinochet-Diktatur und wurde schließlich 1984 in Uruguay verhaftet. Zur gleichen Zeit befand sich sein Stern in der DDR im Sinken. Genau das, was der sozialistische Cowboy bislang mit seinem Lächeln übersprungen hatte, den Graben zwischen den jungen Helden und den alten grauen Herren des Sozialismus, wurde nun in seiner Person sichtbar. Reed verlor den Boden unter den Füßen. Die Sendung 60 Minutes machte ihn endgültig zur Unperson in den USA. Im Februar 1986 war Reed in seinem Haus in Schmöckwitz interviewt worden. Dem aggressiven Stil und den hartnäckigen Nachfragen dieser so anders als der behäbige DDR-Fernsehfunk funktionierenden Medien-Maschine war er nicht gewachsen. Dem Interviewer gelang es mühelos, sein Opfer in ein Geflecht von Verwirrung, Plattitüden und Widersprüchen zu verwickeln, und mit seiner Idee, für den Posten eines Senators von Colorado zu kandidieren, begann der Cowboy des Ostens mit der Selbstdemontage. Dean Reed wurde in den USA vorgeführt als eine Mischung von Verräter und Idiot.

Ein Cowboy muss kämpfen, auch wenn ihn die Kraft dazu schon verlässt. Und selbst wenn er schon alles verloren hat, gilt es immer noch den größten Kampf auszutragen. Den Kampf um seine Würde.

Das strahlende Lächeln des Dean Reed schien eingefroren. Man konnte ihm jetzt Zorn und Verzweiflung ansehen. Der Pop-Star, das war nun ein Sänger, der auf Betriebsfesten und Kombinat-Einweihungen auftrat. Und der Freiheitskämpfer, das war einer, der die Augen nicht mehr schließen konnte davor, dass er nicht im Paradies der Werktätigen, sondern in einem muffigen Gefängnisstaat gelandet war, der das Vertrauen seiner Bürger längst verspielt hatte.

Was hätte helfen können? Eine politisch-moralische Selbstbesinnung. Die Geborgenheit einer Beziehung, eine Familie. Eine neue künstlerische Aufgabe. Dean Reed begann mit den Vorbereitungen zu einem großen Film über das Massaker am Wounded Knee, der unter dem Titel Blutiges Herz in Co-Produktion zwischen der DDR und der Sowjetunion entstehen sollte. Nicht bloß organisatorische Schwierigkeiten machten ihm zu schaffen. Sondern auch die wachsende Erkenntnis, gerade seine allerletzte Chance zu haben.

Dean Reed starb, weil er nicht mehr leben konnte. Er starb am Beziehungsschmerz, der in einem Künstler-Schmerz steckte, und dieser Künstler-Schmerz steckte in einem Schmerz der politisch-moralischen Identität. Vielleicht war es auch umgekehrt.

Cowboys sind einsam, weil ihnen die Welt nicht gehört, für die sie reiten. In keinem Land der Welt. Vielleicht war Dean Reeds Tod ein idiotisches Missverständnis; vielleicht starb der einsame Cowboy des Sozialismus aber auch für unsere Sünden. Für uns, die wir uns mit Verhältnissen arrangieren und noch klug dabei scheinen wollen. Für uns, die wir sesshaft sind in unbewohnbarem Land.

Autor: Georg Seeßlen

Text: veröffentlicht im filmspiegel 07/ 2007