Das Komische am Narren

Was bedeuten die Worte der Dichter? Manchmal, wenn ein Glück umgeht, dann bedeuten sie, was der Mensch, der sie spricht im Augenblick ihrer Hervorbringung mit ihnen, in ihnen fühlt und hofft und leidet.
Dieser Glücksfall ist gegeben, wenn ein Schauspieler am Wirken ist, der einen Ton zu erzeugen vermag, der mehr weiß, als die Worte und mehr auch als der, der sie spricht. Rolf Ludwig, der 1999 73-jährig starb und heute 85 Jahre alt geworden wäre, war so ein Schauspieler.  Rolf Ludwig war einer jener Darsteller, die man, im Tone hohen Respektes, Gaukler zu nennen pflegt. Wobei der Gaukler als ein Mann zu denken ist, dessen Bauch sich erinnert, dass seine Vorfahren ihre Profession noch auf den Marktplätzen übten. Das macht unbefangen gegenüber neueren Erkenntnissen der Theaterwissenschaft und es macht sensibel gegenüber den Zuständen auf den Marktplätzen. Und vielleicht ist der Schauspieler Ludwig entstanden in den beiden Anfängen seines Berufes: Seine ersten Rollen spielte er im Kriegsgefangenenlager und bei seiner ersten Aufnahmeprüfung in einem richtigen Kunstinstitut fiel er aus dem Fenster.

Und in einer seiner letzten Arbeiten führte er das noch einmal zusammen, die Erfahrungen eines Lebens und den Instinkt des Komödianten. Das war 1991, Stein, Egon Günthers erste nachwendische Arbeit im Osten. Stein, ein alter Komödiant, der sich der Gesellschaft verweigert (was außer Fred Düren niemand vermochte). Ludwig demonstrierte die Schizophrenie des Mannes nicht, sie war Teil seiner künstlerischen Statur. Er balancierte unangestrengt Sätze, Gesten und Situationen auf dem Seil über dem Abgrund der tiefen Bedeutsamkeit, er war der Narr, vor dem die Frage, wo denn nun das Heitere ins Bedeutende changiert, zur Posse verkam: Alles hat seine Bedeutung und nichts bedeutet etwas. Das ist das Komische am Narren und das ist sein verteufelter Ernst. Zehn Jahre lang prägte er die Ostberliner Volksbühne durch seinen Truffaldino, ehe er, im unmittelbaren Anschluss, weitere 16 Jahre den Drachen spielte mit einer Schärfe, die schneidend die Legende zerschnitt. Und er war einer, dem eine sonderbare Ehre wiederfuhr: Volker Ludwig, Gründer und Leiter des Grips-Theaters, der eigentlich Hachfeld heißt, wählte seinen Namen als eine Verbeugung vor Rolf Ludwig. So lebt er, den Thomas Langhoff einen heiligen Trinker nannte, doch weiter, verbunden mit Grips.

Autor: Henryk Goldberg

Rolf Ludwig starb am 28.03.1999










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