Das Meer, das Sehnsucht heißt

Franz Eugen Helmuth Manfred Nidl-Petz, der als Freddy Quinn berühmt wurde, hat heute Geburtstag

Heino war schon immer irgendwie peinlich, Freddy war es nie. Natürlich, auf dem Platz mit den anderen hätte ein Bursche nie Freddy gehört. Aber zu Hause, allein, da konnte man ihn träumen, ohne Scham vor sich selbst. Das hängt mit Themen zusammen und mit einer Art von Ehrlichkeit dieses Entertainers, der heute Geburtstag feiert.

Natürlich, Freddy Quinn war so wenig ein Seemann wie Heino ein Bergsteiger war, in gewisser Weise darf man ihn den Karl Mai des deutschen Schlagers nennen, Old Waterhand, sozusagen. Doch der Sehnsuchts-Troubadur war kein Bäckerbursche wie der Enzian-Entsafter, er hatte, ehe er ein Star der großen Hallen wurde, ein Leben auf der Straße gelebt. Der Sohn einer österreichischen Journalistin und eines irischen Kaufmanns trampte als Minderjähriger durch Südeuropa und Nordafrika, auf einem Schiff schlug er sich durch bis Algier, tingelte in Bars und im Zirkus, und absolvierte einen dreiwöchigen Crashkurs bei der Fremdenlegion. Als erwachsener Mann trat er in einem Zirkus auf, 17 Meter über festen, harten Grund und kein Netz dazwischen. Doch, ein Kerl ist das schon. Und ein Künstler, der als junger Bursche, in den Bars für Kost und Logis singend, im Zirkus für ein paar Mark musizierend, dass einer hart arbeiten muss für sein Geld, dass einer kämpfen muss um sein Publikum, wenn es ihn ernähren soll. Das ist es, was die Ehrlichkeit eines Schlagersängers ausmacht, nicht die Texte. Dass einer rauskommt, in Wetten, dass? wie im Dorfkrug, und sich reinkniet in seinen Job, als ginge es um alles. Dass einer nicht erfunden wurde, sondern sich selbst erfindet mit etwas, das in ihm ist. Diese Haltung kommt vom Zirkus, da kann einer seine Nummer oder er kann sie nicht, und wenn er sie nicht kann beißt ihn das lustige Schwein oder er fällt vom hohen Seil. Deshalb konnte und kann Freddy Quinn von Sehnsucht und Gitarren singen, von fremden Sternen und traurigen Männern, auf eine Weise, die einen jungen Burschen, dessen Musik das im Eigentlichen eher nicht war, von weißen Schiffen träumen ließ. Und so, dass die Erinnerung an dieses Träumen sofort wieder präsent ist, wenn einer die Lieder mehr als vierzig Jahre später wieder hört  mit einem leisen Lächeln, indessen ohne Grinsen und Pein.
Und genau deshalb begann Freddy Quinn Ende der fünfziger Jahre eine große Karriere weil er glaubhaft Sehnsucht zu formulieren vermochte. Im Eigentlichen aber war es die Zeit, die große Sehnsuchtsstifterin. Beinahe jedem Künstler, der in seiner Zeit einen herausragenden Erfolg erreicht, gelingt dies nur, weil diese Zeit seiner Eigenart günstig gesonnen ist. Wenn er künstlerisch überlebt bis in die nächste Generation, dann ist er in der Regel ein Repräsentant des verwehten Zeitgeistes. Und der Ruf der Zeit hieß Sehnsucht. Es war die Wirtschaftswunderzeit, die Italien-Zeit, die lasst-uns-den-Schnee-von-gestern-vergessen-Zeit. Sehnsucht nach südlicher Ferne, nach guter Heimat, nach vergangener Vergangenheit. Vergangen, vergessen, vorüber/Die Zeit deckt den Mantel darüber. Fährt ein weißes Schiff nach Hongkong. Ich tausche gerne all die vielen fremden Länder gegen eine Heimat aus.  Millionen ehemaliger deutscher Landser, jetzt im besten Mannesalter, mussten Länder kennenlernen, die sie gern mit der Heimat getauscht hatten, träumten von ihren Mädchen unter fremden Himmeln, und den Mann, der sie dorthin schickte, hatten zum großen Teil ihre Eltern gewählt, nicht sie. Und jetzt konnten die ersten nach Italien fahren, mit dem Volkswagen, nicht mit dem Panzer; jetzt sollte das ganze Damals endlich vorbei sein. Mit dem weißen Schiff nach Hongkong oder doch wenigstens mit der Vespa nach Verona. 
Das Meer ist, wie die Berge, ein Sehnsuchtsort, so etwas wie ein atmosphärischer Reinraum, in dem der Mann mit sich und dem Schicksal im Reinen ist. Das muss dem Einzelnen nicht bewusst sein, ein Krieg ist ein Krieg und ein Schlager ist ein Schlager, doch gibt es Sehnsüchte, die liegen in der Zeit. Manchmal ist eine Hitparade, damals gab es noch keine Charts, auch ein soziologischer Seismograf. Ein Ich, eine Gitarre und ein Meer. Und einer, der das glaubhaft darstellen kann.
Es ist nicht ohne Charme, dass der Mann, der den Deutschen vom Meer sang und von aller Welt in Hamburg verortet wird, ein Wiener ist, das nun nicht eben als ein Zentrum seemännischen Denkens gelten kann. Einer der Österreicher, wie Udo Jürgens, wie Peter Alexander, die den deutschen Schlager prägten. Und einer jener seltenen Vertreter seines Berufsstandes, denen ein kulturinteressierter Mensch nicht mit Spott begegnen mag, höchstens mit leiser Ironie. Und selbst die gilt am Ende weniger dem Sänger als dem Hörer, der man selber ist.

Text: Henryk Goldberg