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Der Göttliche

Am 30. September 1955 jagt ein Porsche auf dem Highway zwischen Los Angeles und Salinas in einen Ford Sedan. Der Fahrer des Porsche ist sofort tot. Er heißt James Dean und wird nie einen Tag älter als 24. So gewinnt er die ewige Jugend, so stirbt er für uns. Das ist wahrhaft göttlich zu nennen.

Georg Büchner und Georg Heym waren, als sie starben beide 24, wie James Dean. Aber wenn diese frühen Tode der Dichter ein gerade beginnendes Werk weit vor der Zeit beschlossen, so kommt der Tod für den jungen Schauspieler als ein Vollender und womöglich sogar als ein willkommener. Der seine Todessehnsucht kultivierende Jungstar, dessen beiden Lieblingsbücher Tod am Nachmittag und Der kleine Prinz von romantischen Toden handeln, schrieb einem vertrauten Pfarrer: „Für mich liegt der einzige Erfolg, die einzige Größe in der Unsterblichkeit.“ Die erwarb James Dean, indem er seiner Sterblichkeit so früh, so unbekümmert Tribut zollte. Denn so gewann er, mit nur drei Filmen, etwas, das ein Schauspieler in hundert Jahren und eben so vielen Rollen nicht gewinnen kann: die mythische Gestalt. So verließ er, wie der kleine Prinz, seinen vergänglichen Körper und erlaubt uns dadurch die Anbetung seines unantastbaren Astralleibes.

Die Dichter leben fort in ihrem Werk, das gelesen wird die Generationen hindurch. Das Werk des Schauspielers aber ist vergänglicher, denn Maß und Wert eines Darstellers, der ja sein eigenes Material ist, der nicht auf Papier oder Leinwand arbeitet, sondern auf seinem Gesicht, wird bestimmt und geprägt vom herrschenden Zeitgeist. So werden die meisten der alten Filme komischer mit jedem Jahrzehnt. Dem Mimen flicht die Nachwelt dennoch Kränze, jedoch dem abstrakten Ruf mehr als dem konkreten Werk. Und so kann einen Schauspieler, für sein Nachleben, nichts besseres geschehen, als dass die Aufmerksamkeit auf natürliche Weise vom Werk auf die Persönlichkeit gelenkt wird. Der Mythos ist, wie die Beerdigungen, für die Überlebenden. Die versammeln sich um die Erinnerungen wie um leuchtende Feuer und führen ihre schamanischen Tänze auf. So erhalten wir uns das Gefühl, es gäbe mehr zwischen Himmel und Erde, als sich im Supermarkt erwerben lässt.

Am Tag seines Todes hat James Dean gerade drei Filme abgedreht, 18 Monate für die Unsterblichkeit: Jenseits von Eden (1954), Denn sie wissen nicht, was sie tun, Giganten (beide 1955).

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Er hatte, am 8. Februar 1931 in Marion, Indiana geboren und als Halbwaise aufgewachsen, das Studium geschmissen, er jobbt als Parkplatzwächter, er tingelt in Hollywood durch winzige Rollen und durch Betten, deren Besitzer verschiedenerlei Geschlechtes sind. Dann New York, der Broadway, erste Erfolge, das Actors Studio. Und dann, 1954, sieht ihn der Schauspielererfinder Elia Kazan, der auch Marlon Brando zum Ruhm verhalf. Sie sind sich auch ein wenig ähnlich, James, Marlon und sogar Elvis. Diese schönen und ein wenig weinerlichen Kindergesichter der großen Jungen, bei denen man nie genau weiß, ob sie im nächsten Augenblick traurig und ängstlich den Kopf im Schoß der Frau verstecken oder ihr mit dem Handrücken ins Gesicht schlagen. Diese Verstörtheit, die nur einen Hauch benötigt, um Brutalität zu werden. Es muss die Zeit sein, die solche Gesichter hervorbringt. Es ist das Gesicht einer Generation, die sich behandelt fühlt wie unmündige Kinder, große, starke und unterschätze Kinder, die das Spiel nicht mehr spielen wollen und die deshalb zornig werden und brutal. Fünf Monate nach dem Tod von James Dean singt Elvis Presley in der Dorsey Stage Show das Heartbreakhotel und das ist es dann. Sie wissen nicht, was sie tun, aber das mit ganzer Kraft. Es ist die Kraft einer Generation, die antritt, die kulturelle Macht zu übernehmen. Elvis Presley ist ein Rammbock dieser Armee einer neuen Kultur, die Beatles und die Stones werden die brüchige Festung der normierten Tradition sturmreif schießen, bis sie 1968 geschleift wird und später in angepasster Architektur neu errichtet. James Dean war der erste Bannerträger dieser Armee. James Dean liebte den Kleinen Prinzen, der voll trauriger Poesie in den Tod geht. Er hatte keine gelben Schlangen, nur silberne Autos. Und wie der kleine Prinz hinterließ er, neben verfliegender Trauer, eine beständige Freude. Und, wer weiß, vielleicht wohnt er ja mit dem Kleinen auf einem Stern. Vielleicht, dass Jimmy, 24 und sehr cool, dort manchmal einen fetten alten Mann trifft und sagt „Na, du fetter alter Mann?“ Und der fette alte Mann, der einmal Marlon Brando hieß, wird ein wenig traurig lächeln.


Autor: Henryk Goldberg

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine, September 2005 (Nachruf auf James Dean,  gestorben am 30.09.1955)