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„Mit den Händen in den Taschen“ – Mit norddeutscher Abgeklärtheit folgen die Ermittler der SOKO Wismar den Spuren der Verbrecher und klären manchmal auch über Umwege jede Untat auf.

Mord ist der neue Süßstoff

Das sentimentale Gefühlsdrama ist in Verruf geraten. Zu recht. Im Fernsehen will selbst die Degeto, lange Jahre zuverlässiger Auftraggeber für derlei Filme, künftig „moderner“ erzählen. Ein Grund zur Freude. Aber ist das auch ein Sieg des realistischen, alltagsnahen, modernen, gar post-modernen Erzählens gegen alle eskapistischen Kitsch-Tendenzen?

Eine solche Schlussfolgerung erscheint verfrüht und unangemessen, wenn man sich vor Augen hält, was die frei gewordene  Stelle der ominösen Süßstoff-Filme einnimmt.  Der Krimi ist der großer Nutznießer dieses Geschmackswechsels. Ein Genre, das bislang schon unübersehbar im Programm vertreten war, ersetzt das andere und bereichert sich zugleich durch Anleihen bei allen anderen. Der Krimi entwickelt sich, wird durch die Beimischung von Komik auch noch augenzwinkernd humorig.

Die Abwendung von den Liebesgeschichten in Traumhotels an exotischen Stränden und den Heimatfilmen in postkartenidyllischer Alpenlandschaft markiert offensichtlich eine Wende. Aber ist es auch wirklich ein Wendepunkt? Ist der Verzicht auf die Natur als offensiven Mitspieler im Film ein Zugewinn?  Makellose Naturschönheit wird ersetzt durch eine urbane, postindustrielle Ruinenlandschaft und das Personal trägt alle Zeichen der inneren wie äußeren Verwüstung an sich. Der Kampf ums Überleben prägt sie alle, zwingt die Menschen zu kriminellen Handlungen und wie aussichtslos dieser Kampf häufig ist, darüber legt mal für mal die Mortalitätsrate Zeugnis ab.  Längst ist die filmische Mordquote jeder nationalen Kriminal-Statistik der Gewaltverbrechen in den westlichen Industrieländern enteilt. Fiktion und Realität stehen in keinem Verhältnis mehr.

Im Kriminalfilm, aber auch in der Kriminalliteratur, waltet ein neuer ins Negative gekehrter Eskapismus, der unter den Vorzeichen von Wohlstandsverwahrlosung, Fremdenangst, Langeweile und Gewaltbereitschaft steht. Und die Fiktion hilft dabei, diesen übermächtigen Verdacht, vom Bösen umzingelt zu sein, erst explosiv auf die Spitze zu treiben und dann in kommensurable Form verpackt, sozialhygienisch zu entsorgen.

Die zentrale Rolle dabei spielt in klassischen Krimi die Figur des Ermittlers, in Deutschland zumeist des in Staatsdiensten stehenden Kommissars. Dieser Held ist natürlich, wie es sich für postmoderne, aufgeklärte Zeiten gehört, mittlerweile selbst häufig weiblichen Geschlechts. Oder präziser gesagt: Er ist ein typisches Produkt der Genderforschung, sein Geschlecht ist nebensächlich, ist eine  Konstruktion. Hauptsache, er / sie ist ein harter Hund, unerbittlich der Aufklärung verpflichtet.  Zum Mythos des Fernsehkommissars gehört natürlich auch, vom Leben gezeichnet zu sein und vom aktuellen Kriminalfall nicht unberührt zu bleiben. Und sei es, dass er / sie selbst zum Entführungsfall wird und mit Haut und Haaren auf Rettung bedacht sein muss.  Wenn schon nicht für die Erlösung vom Bösen, so steht der Kommissar doch wenigstens für die Lösung des Verbrechens.

Womit wir bei der Konstruktion des aufzuklärenden Falls wären. Auch im Krimi  offenbart sich eine ähnlich verwinkelte und exquisite Dramaturgie wie bei den als Kitsch geschmähten Gefühlsdramen. Der reiche, verwitwete Rentier, der auf dem Traumschiff auf seine alte Jugendliebe trifft, darf mit seinen neuerwachten Sehnsüchten  natürlich erst einer Zeit der Wirrungen und Irrungen zum Ziel kommen. Genauso verhält es sich mit der Fallaufklärung im Krimi. Natürlich müssen erst falsche Fährten und Verdächtigungen gestreut werden, muss eine Bluttat die nächste hecken, bevor sich der Nebel der schwerkriminellen Verwicklungen wieder lichtet.  Bis zum nächsten Tatort-Sonntag oder der nächsten Soko-Folge.

Der Krimi ist keine realistische Alternative zum sentimental-romantischen Gefühlsdrama, aber er entspricht der allgemeinen Gefühlslage, aus der die dumpfe Ahnung spricht, dass unser Frieden und akkumulierter Reichtum auf einem großen Schwindel beruht und ständig vom Einsturz bedroht ist.  Diese weitverbreitete  Verunsicherung spricht der Krimi an und stellt sie mit schöner Regelmäßigkeit auch wieder still.

Michael André