Mirabeau – ein Ahnherr von de Gaulle

Johannes Willms legt die politische Biographie eines Mannes vor, der vergeblich auf ein Bündnis zwischen König und Revolution hoffte – Macron als später Erbe?

Gabriel Honóre Riquetti, der Comte de Mirabeau, war ein schillernder, wenn nicht gar schriller Mann des ancien régime. Am Vorabend der Großen Französischen Revolution tat er alles in seiner Macht stehende, das Ende des verhassten absolutistischen Despotismus zu beschleunigen. Was ihn aber nicht hinderte, als Anführer der Linken in der Nationalversammlung ein überzeugter Royalist zu bleiben. Mirabeau war ein Mann der Widersprüche, der keinen Widerspruch für sich darin sah, in geheimer Mission in die Dienste eines Systems zu treten, das ihn Jahre seines Lebens mit Festungshaft belegt hatte. Er ließ sich willig vom König bestechen und glaubte doch unbestechlich zu bleiben. Sein jüngster Biograph Johannes Willms vergleicht Mirabeau deshalb „mit jenen Frauen, für die man immer bezahlt, die aber niemals käuflich sind.“

Eine moralisch doppelte Buchführung, die dem kurz nach Mirabeaus frühem Tod hereinbrechenden Zeitalter der Tugendhaftigkeit verdächtig erscheinen musste (und in unserer von Compliance diktierten Gegenwart erst recht als krimineller Akt gewertet wird). Mirabeau, gestern noch hochverehrter Held der Revolution, wurde zu einer Unperson und erschien in der Geschichtsschreibung fortan als Verräter. Erst wurde seine Büste aus dem Sitzungssaal entfernt, 1794 wurde sein zunächst im Pantheon aufgebahrter Leichnam weggeschafft und in einem namenlosen Grab verscharrt.

Ruhmlos war die politische Wirkungsgeschichte des Grafen Mirabeau, dem seinen Zeitgenossen in einer Mischung aus Faszination und Abscheu begegneten. Der pockennarbige Adelige aus der Provence hatte einen ausgeprägt großen Schädel und eine wallende Haarpracht, die Mme de Stael an den alttestamentarischen Samson und dessen Fruchtbarkeit erinnerte. Sein Lebensstil, die Skandale mit verschiedenen Frauen, der lebenslängliche Streit mit seinem Vater, dem Marquis, obendrein ein endloser Schuldenberg, Ergebnis einer lebenslängen Verschwendungssucht – all das qualifiziert ihn als typischen Vertreter einer dem Untergang geweihten Gesellschaft. Auch seine literarischen Werke passen ins Bild eines zügellosen Libertins des Rokoko-Zeitalters. Allen voran „Der gelüftete Vorhang oder Lauras Erziehung“, der zum Klassiker der erotischen Literatur geworden ist. Dieser besondere Bildungsroman wird Mirabeau zugeschrieben. Dabei ist die Urheberschaft nicht ganz genau geklärt. Auch Willms legt sich hier nicht eindeutig fest, aber „eine Reihe stilistischer Merkmale“ spreche für einen Autorenschaft Mirabeaus.

Der naheliegenden Einschätzung auf einen verkrachten Lebemann mit unglücklichen politischen Ambitionen wird Mirabeau nicht gerecht. Er wollte mehr und eine kurze Phase lang war er auch mehr. Er ist Verfasser von politischen Werken wie „Essai sur le Despotisme“. Schriften, die sich wie ein verzweifeltes Rufen nach Gehör lesen und die doch nur auf taube Ohren stießen. Wie Willms herausarbeitet, war und blieb Mirabeau dem König und seinen Ministern suspekt. Statt der erhofften Pfründe sah sich Mirabeau mit Brosamen abgespeist. Allenfalls wird er mit einer niedrigen Mission wie der an den preußischen Hof betraut. Was macht der weitgehend mittellose Adelige in dieser Situation? Aus Geldnot publiziert er vorbei an der Zensur, begeht Indiskretionen, verstößt gegen jeden diplomatischen Ehrenkodex – und gerät noch weiter in Verruf.

Seine Stunde schlägt erst in der Agonie-Phase der Bourbonen-Herrschaft. Der Adelige wird zum Abgeordneten der Generalstände, bringt es bis zum Präsidenten der Nationalversammlung. Mirabeau setzt weiter auf die Monarchie, vertritt diese Position auch offen, wird darüber sogar zum geheimen Berater Louis XVI. Doch politisch hat er ein letztes Mal auf das falsche Pferd gesetzt. Dieser König ist zu schwach, um die ihm gedachte Rolle eines konstitutionellen Monarchen nach dem Vorbild Englands zu spielen. Dieser König hört im entscheidenden Moment lieber auf andere Berater und verliert am Ende Krone und Kopf. Mirabeau hat dieses schmähliche Ende nicht mehr miterlebt. Ihm sind jakobinischer Terror und napoleonischer Imperialismus erspart geblieben, doch mit seiner selbstgestellten Aufgabe, der Etablierung eines aufgeklärten Royalismus, ist er gescheitert.

Willms beschränkt sich in seinem Buch auf eine streng politische Biographie, der Literat Mirabeau interessiert ihn nur auf drei Seiten. Der frühere SZ-Feuilletonchef und Frankreich-Korrespondent ignoriert auch weitgehend die Sekundärliteratur, die sich im Lauf der Zeit in Frankreich wie in Deutschland zur Figur Mirabeau angesammelt hat. Stattdessen geht er zurück zu den Quellen und belegt die Lebensstationen des Grafen mit immer neuen Stellen aus dessen Korrespondenz und der seiner Zeitgenossen. Eine immense Fleißarbeit im Archiv der Bibliothèque Nationale!

Eine weitergehende Interpretation gestattet sich Willms allenfalls im Vorwort. Und das ist gerade mal zwei Seiten lang. Mirabeau, heißt es da knapp, habe ein Konzept entwickelt, „das in mancher Hinsicht wie eine Vorwegnahme der V. Republik anmutet, die Charles de Gaulle 1958 durchsetzte.“

Wenn wir den Bogen weiter als in diesem bereits vor einem Jahr verfassten Prolog spannen und aktuellen Einschätzungen folgen, dann ist die V. Republik Frankreichs nun selbst am Ende. Da ist ein neu gewählter Präsident namens Emmanuel Macron, den eine große deutsche Wochenzeitung in skeptischer Verehrung bereits als „Der Heiland“ begrüßt. Wird dieser Macron ein neuer de Gaulle, der eine eigene Sammlungsbewegung hinter sich schart und einen Pakt zwischen Präsident und Nation schafft? Dann wäre unter modernen Vorzeichen wieder das gelungen, was Mirabeau laut Willms vorschwebte: Ein „Bündnis zwischen König und Revolution“.

Michael André

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Cover C.H.Beck

Johannes Willms: Mirabeau oder Die Morgenröte der Revolution. Eine Biographie

C.H.Beck

München 2017. 397 S.: mit 18 Abbildungen

ISBN 978-3-406-70498-7

26,95 Euro

Bild oben: Mirabeau devant de Dreux-Brézé, 23 juin 1789Court Joseph-Désiré (1797-1865) | Rouen, musée des Beaux-Arts | Photo © RMN-Grand Palais / Agence Bulloz

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