Der modernisierte Barbar oder verlässlicher Eros der Skepsis

Es war einmal im Westen: James Bond

1962 war die Welt nicht mehr, was sie einmal war. Das ist sie meistens nicht, aber in diesem Jahr unterschied sie sich besonders von sich selbst. Die freie Marktwirtschaft kippte von der calvinistischen Strenge der Gründerjahre in einen Konsum-Karneval, aber die Angst war noch nicht verloren. Der Krieg war wahrhaft kalt geworden, ein cooles Medium der Warenzirkulation. Sean Connery war James Bond. Und James Bond, das war die kalte, mediale Modernisierung des (britischen) Kolonialismus. Connery lieh sein unfertiges, anmaßendes Gesicht und seinen athletischen Körper einer Figur, in der alles zusammenkam, was empfindsamen Gemütern den Untergang des Abendlands beschleunigt: Geschmack an bizarren, durchaus unfairen Gewaltakten, Sex ohne jede noch so fadenscheinige Ausrede außer der, dass er zu Geschäft, Stil und Intrige gehörte (die „James-Bond-Mädchen“ wurden zu einem eigenen ästhetischen Mythos vom Eros in der Warenwelt), erlesene Drinks, Autos und Klamotten. Nein, ein Vertreter des alten Patriarchats war Connerys Bond gewiss nicht; er hatte keine Freunde, Männerbünde waren für ihn dazu da, zerschlagen zu werden, Eleganz und Genuss waren ihm wichtiger als die Einhaltung der Schlachtordnung. Aber die Welt ging auch von der anderen Seite aus gesehen unter. War dieser James Bond nicht ein übler Antikommunist, ein Vertreter hemmungslosen Konsumismus‘, ein Rassist und Sexist sondergleichen, ein Waffenfetischist, ein Sadist und überhaupt die Zusammenfassung von allem, was am Kapitalismus der sechziger Jahre so mies war? Klar war James Bond das, und daß er zugleich auch die beste Parodie darauf war, entschuldigt ihn nur wenig. Aber er war auch mehr, zum Beispiel der erste Held der populären Mythologie, der die Zeichen seines Systems als dessen Wesen versteht, einer, der seine Identität schamlos aus Insignien und Gesten des Alten (der formverliebten britischen Umgangsformen etwa, der Kleidung) und des Neuen (der wildgewordenen Technik, der neuen geographischen und sozialen Mobilität) zusammensetzt, und James Bond war nicht mehr Repräsentant des Systems in erster Linie, sondern vor allem dessen Nutznießer, kein heimlicher Anarchist wie „Dirty Harry“ später, der den Staat wirklich haßt, auch wenn er es nicht weiß, sondern ein staats- (und in gewisser Weise Ich-)loser Hedonist, der sich von eben der Instanz bezahlen ließ, der er in seinen Aktionen entkam. James Bond ist nicht nur persönlich (fast) ohne Moral, er verzichtet auch darauf, in seinen Taten eine Moral des Systems zu rekonstruieren: Die große Maschine des Gegners (der immer so etwas wie eine sozialistische Gesellschaft aufgebaut hatte) und der eigene individuelle Erfolg waren Legitimation genug. Die Ideologie ist ganz und gar kalt, einer Werbebotschaft eher vergleichbar als einem politischen Mythos. Seine „Lizenz zum Töten“ war im Grunde nichts anderes als eine Lizenz, sich über alle moralischen und kulturellen Schranken hinwegzusetzen: Connerys Bond hat die Lizenz, das Monstrum im Kleinbürger zu wecken.

Dieser James Bond war auch der erste Held der freien Welt, der getrost darauf verzichten konnte, irgendeine Vorbildfunktion einzunehmen oder wenigstens „sympathisch“ zu wirken. Niemand mochte ihn wirklich, außer den Produzenten Broccoli und Saltzman und ein wenig vielleicht sein Erfinder, Ian Flemming. Terence Young, der erste Regisseur von Bond-Filmen, meinte gar: „Der Mister Bond ist ein abscheulicher Kerl, ein Sadist, der seine Gegner kaltblütig zur Strecke bringt, wenn sie unbewaffnet sind, ein Rohling, der sich Frauen gegenüber wie ein Schuft benimmt. Im Grund führt sich Bond wie ein Faschist auf; er hätte bei der SS Karriere machen können. Mit seiner Erlaubnis zum Töten kann er seiner kriminellen Phantasie freien Lauf lassen, ohne dafür getadelt zu werden; im Gegenteil; er bekommt dafür noch Orden.“

Das war, als hätte man Fantômas zum Hüter der Welt gemacht; und eben dies war die befreiende Wirkung der Gestalt, die niemandem, rechts wie links, gefallen durfte: Das Böse der freien Marktwirtschaft kam zu sich, zeigte die Palette seiner kalten Faszinationen und Impulse, ein Geschöpf aus verdrehten Ängsten (vor den Kommunisten, vor der Armut, vor den Frauen, vor der Fremde, vor der Kultur und vor den Körpern) und zu lange verborgenen Wünschen. James Bond war, heute sagt sich so etwas leicht, der geile Barbar des Kapitals, der das System zu retten verstand, indem er ihm eine körperliche Wirklichkeit gab.

Dafür war ein junger Schauspieler aus Schottland zuständig, der seine Figur schon deswegen mehr „erschaffen“ konnte als andere Helden des Action-Films die ihren, weil sie in den Romanen von Ian Fleming eigentlich nur sehr rudimentär angelegt ist: „Die einzige wirkliche Schwierigkeit, Bond zu spielen, lag für mich darin, dass ich von Bruchstücken ausgehen musste.“ So wurde Sean Connery sein eigener James Bond, ein Proletarier in der Welt des Reichtums, der sein einziges Kapital einsetzt, seinen Körper, zu Gewalt, Verstellung und Verführung und dessen Kleidung, dessen Umgangsformen, dessen Kennerschaft von nichts als Anmaßung zeugen, von der Lust eines Menschen von uns hier unten, die dort oben zu verblüffen: Sean Connerys Bond ist viel weniger ein Produkt des Kalten Krieges als eines sozialer Rachephantasien. „Er genießt“, so Connery über Bond, „eine Freiheit, die ein normaler Mensch nicht erreichen kann. Er liebt das Essen, liebt das Trinken und liebt seine Mädchen. Er ist ziemlich grausam und sadistisch. Er beeinflusst das Phantasieleben vieler Männer sehr stark, obwohl die meisten von ihnen nur widerstrebend zugeben würden, dass sie wie Bond sein möchten. Ich habe überhaupt keine Hemmung, zuzugeben, dass ich gerne esse und trinke und Mädchen liebe.“

Von Edinburgh in die Welt

Thomas Connery (das „Sean“ legte er sich später zu, vermutlich um die irische Wirkung des Nachnamens zu unterstreichen) wuchs in einigermaßen beengten Verhältnissen in Edinburgh auf. Sein Vater war Lastwagenfahrer, und die Mutter arbeitete als Putzfrau. Man hungerte nicht wirklich, aber für irgendeine Art von Luxus gab es kein Geld. Die Schulbildung blieb mangelhaft, unter anderem weil in den Jahren des Krieges der Unterricht oft ausfallen musste. Schon mit neun Jahren musste Connery durch Gelegenheitsjobs zum Unterhalt der Familie beitragen, und mit vierzehn verließ er die Schule; mit dem Pferdewagen fuhr er Milch aus, dann versuchte er sich in den verschiedensten Jobs, als Sargpolierer, Maurer, Eisenflechter und Rettungsschwimmer etwa. Schließlich verpflichtete er sich für sieben Jahre zur Marine, doch „es war überhaupt nicht romantisch. Ich kam nie über den Dienstgrad eines Vollmatrosen hinaus. Nach drei Jahren wurde ich wegen Magengeschwüren als dienstunfähig entlassen, und ich war sehr unzufrieden mit allem, bis ich Druckergehilfe bei einer Edinburgher Abendzeitung wurde. Das wurde als eine der besten Arbeiten angesehen. Man konnte einen Anzug tragen, hatte sein eigenes Waschbecken, seinen eigenen Schrank und Fünftagewoche!“

In seiner Freizeit widmete sich Connery dem Gewichtheben und traf einige Zeit später bei einem Wettbewerb zum „Mr. Universum“ einen Kollegen, der als Statist bei der Londoner Aufführung von „South Pacific“ auftrat und ihn aufforderte, sich ebenfalls zu bewerben. Man engagierte ihn für eine zweijährige Tournee des Stückes, in deren Verlauf er von kleinsten zu kleinen Rollen aufstieg. Schwierigkeiten bereitete ihm zunächst sein schottischer Akzent („Die Ensemblemitglieder hielten mich für einen Polen“); später kultivierte er ihn wieder und machte ihn zum „Markenzeichen“.

Connery beschloss nach Abschluss der Tournee, im Showbusiness zu bleiben. Er hat nie Schauspielunterricht genossen, sondern brachte sich das Handwerk durch unermüdliches Selbststudium (Lektüre vor dem Tonbandgerät) und durch die Praxis bei. Eine Zeit lang waren dann freilich die Rollen eher knapp, und Connery lebte das Leben eines der Schauspieler-Proletarier, die sich glücklich schätzen können, wenn die Gage für ein Zimmer und bescheidenes Essen reicht. Aufwärts ging es dann, als er erste kleine Fernsehengagements erhielt. Am Ende der fünfziger Jahre gehörte Sean Connery immerhin zu den familiar faces im britischen Fernsehen und Film; nichts Besonderes. Bei einer seiner ersten Film-Arbeiten, bei ACTION OF THE TIGER (OPERATION TIGER, 1957), begegnete er dem Regisseur Terence Young, der ihn fünf Jahre später bei der Rolle seines Lebens führen sollte. Connery spielte in TIME LOCK (ZWÖLF SEKUNDEN BIS ZUR EWIGKEIT, 1957) und HELL DRIVERS (DUELL AM STEUER, 1957) und nach seinem Auftritt in der TV-Version von „Requiem for a Heavyweight“ häuften sich auch attraktivere Angebote; unter anderem spielte er an der Seite von Lana Turner in ANOTHER TIME, ANOTHER PLACE (HERZ OHNE HOFFNUNG, 1958, Regie: Lewis Allen). Im Jahr darauf unternahm er einen ersten Gehversuch in Hollywood, doch die Dinge entwickelten sich nicht gerade erfolgversprechend. Nach einer kleinen Rolle in der Walt-Disney-Produktion DARBY O’GILL AND THE LITTLE PEOPLE (1959, Regie: Robert Stephenson), machte er sich bei den Produzenten unbeliebt, weil er eine Reihe von Rollen ausschlug, darunter die des „Robin Hood“. Dann kehrte er nach England zurück, um erst mit dem Triumph von DR. NO wiederzukehren. Darüber, wie Sean Connery den Part des James Bond erhielt, gibt es verschiedene Versionen. Nach der einen hatte die Zeitung „Daily Express“ einen Wettbewerb für den Darsteller von Flemings Geheimagenten durchgeführt, bei dem Connery in die engere Wahl gekommen war. Nach der anderen, Connerys nämlich, rief Broccoli bei ihm an „und sagte, er plane diesen Fleming-Film und denke, ich sei der richtige für die Rolle. Ich antwortete, dies würde ich auch denken. Er bat mich herüber, und nachdem wir noch ein wenig darüber diskutiert hatten, sagte ich, die Rolle würde mich interessieren, vorausgesetzt, es käme noch ein wenig mehr Humor in die Story. Ich hielt das für sehr wichtig. Er stimmte zu und fragte dann, wann ich die Probeaufnahmen machen könne. ‚Was für Probeaufnahmen?‘ fragte ich. ‚Eben für diesen Bond-Film‘, sagt er. ‚Tut mir leid‘ , sagte ich, ‚aber ich mache keine Probeaufnahmen. Darüber bin ich hinaus. Sie können mich nehmen oder nicht, aber ohne Probeaufnahmen‘. Er wurde rot, nahm sich aber zusammen und sagte, er würde es sich überlegen und mir Bescheid geben. Eine Woche später rief er an, um mir zu sagen, dass ich die Rolle bekäme.“ Gewiß wird auch der bis dahin nicht sonderlich bekannte Regisseur Young einen Anteil an der Wahl des Darstellers gehabt haben, der im übrigen eine Gage von ganzen 16.500 Dollar erhielt und erst bei DIAMONDS ARE FOREVER (DIAMANTENFIEBER, 1971) eine wirklich ansehnliche Summe verdiente. In dieser Dekade hatten über eine Milliarde Zuschauer Connerys Bond-Filme gesehen; eine Pop-Ikone der Boom-Zeit war entstanden, die von Film zu Film in immer aufwendigerem, technisch verspielterem Rahmen präsentiert worden war. Dass der Schauspieler Connery die Rolle schließlich satt hatte, ist gewiss als Furcht vor dem endlosen type casting verständlich; mehr noch: Sean Connery war nicht mehr Bond, und Bond war nicht mehr Connery. Als nach einem kurzen Zwischenspiel des Australiers George Lazenby Roger Moore die Rolle übernahm, war das nicht nur eine Zivilisierung des barbarischen Hedonisten, sondern auch eine Umformulierung der Klassenfrage: auf den Proletarier, der seinen Körper und seine Gier in den Kampf warf, folgte der restaurierte Brite, der seine Umgangsformen und seinen Snobismus sprechen ließ. Wenn Connery einem Glas Wein Lage und Jahrgang entschmeckte, dann war das eine Frechheit, die brachiale Eroberung von Lebenslust, bei Roger Moore konnte man vermuten, es habe irgendwann einmal zur Erziehung gehört.

Zwölf Jahre nach dem letzten Auftritt als Geheimagent drehte Connery, für die Gage von zehn Millionen Schweizer Franken, noch einmal einen James-Bond-Film, ein Remake von FIREBALL, an dem als einzigem Fleming-Stoff nicht Broccoli, sondern Jack Schwartzman die Rechte besitzt, unter dem beziehungsreichen Titel NEVER SAY NEVER AGAIN (SAG NIEMALS NIE, 1983, Regie: Irvin Kershner), und für diese Rolle legte er sogar wieder ein Toupet an. Unnütz zu sagen, dass die Kritik, die in den sechziger Jahren Connerys Bond als Bubenstück des kapitalistischen Zynismus entlarvt hatte, nun schon immer gewußt hatte, daß es nur einen wirklichen Bond gab: Sean Connery.

Connerys Bond ist die schamlose Darstellung eines Männertraums im beginnenden Spätkapitalismus (und gewiss benötigt man einen zeitlichen Abstand, um in dieser Schamlosigkeit auch den Wert zu erkennen; der auf den Markt, in die Bresche und ins Bett geworfene Männerkörper bezwingt noch einmal die aufkeimenden neuen Gefahren, und umgekehrt vermag sich dieser Barbar listig mit dem Neuen zu verbünden. Alle Nicht- und Nach-Bond-Rollen für Connery mussten, um gegen das Klischee gesetzt zu sein und Connery Gelegenheit zu subtilerem Spiel zu geben, den Mythos des unbezwingbaren Männerkörpers oder die ironische Distanz des Weltkonsums in Frage stellen; das Bild des athletischen Snobs wurde in seine Einzelteile zerlegt.

Der defekte Barbar

In Alfred Hitchcocks MARNIE (1964, der ersten großen Nicht-Bond-Rolle), begegnet er einer Frau, Tippi Hedren, die noch viel kälter und ebenso krank ist wie er selbst. Diese Frau ist das Dementi aller Bond-Mädchen; auf ihr lastet das Trauma männlicher sexueller Gewalt, gegen die sie als Diebin protestiert. Connery presst sie zur Heirat, will sie mit Gewalt „nehmen“, worauf sie mit einem Selbstmordversuch reagiert, und er unternimmt dann mit ihr eine Reise in die Vergangenheit, wie um eine für Bond undenkbare Frage zu lösen: Was hat es mit der Frau auf sich?

Während er in diesem Film, als eine durchaus zwiespältige Figur, nebenbei, die Frau erst einmal als ein Geheimnis zu erkennen hat, was gewissermaßen automatisch die „Erfindung“ von Moral und Selbstzweifel zur Folge hat, wird er in THE HILL (1964), dem ersten von vielen Filmen, die Connery mit Sidney Lumet drehte, an die Grenzen seines Körpers geführt. Er ist ein Offizier, der wegen Befehlsverweigerung in ein Straflager gerät, wo er einem besonders sadistischen Schleifer anheimgestellt wird, der den Auftrag hat, ihn fertigzumachen. Medium dafür ist ein gewaltiger Hügel aus Sand und Steinen, über den die Sträflinge bis zum völligen körperlichen Zusammenbruch gejagt werden. So sind also diese beiden Filme, beide brachten dem Schauspieler Connery kritisches Lob, gleichsam Läuterungen, Passionen; die Distanz, die dieser Held nun zu sich und seinen möglichen Erfolgen hat, wandelt sich von der kalten Neugier des Sadisten zu dem, was Connery anläßlich der Dreharbeiten zu DER NAME DER ROSE als „Bewusstsein von der Vergänglichkeit der Epoche“ bezeichnete. James Bond war ganz und gar identisch mit seiner Zeit und ihren Werten; der defekte Barbar, der an körperlicher Unverwundbarkeit und snobistischer Überlegenheit verliert, erscheint nun eher als Figur des Übergangs; das „Bestialische“ in Connery, von dem François Truffaut bezüglich MARNIE spricht, erhält seine Passion durch das Bewusstsein von sich selbst; gerade in seinen Grenzen erkennt der modernisierte Barbar seine eigene Gefährlichkeit, und er pflegt ein Lächeln nun, das es ihm erlaubt, seine eigene Wirkung mit spöttischer Distanz zu kommentieren, und wie hinter der Inszenierung des Männerkörpers die Gestalt eines Menschen hervortritt, der an Niederlagen gereift ist, so entwickelt sich aus der „barbarischen“ Sexualität ein erotisches Image (in dem wie immer Spiel und Ernst unentrinnbar miteinander verwoben sind).

In Lumets THE ANDERSON TAPES (DER ANDERSON CLAN, 1970) wird noch ein anderes Element des James Bond-Mythos dementiert, nämlich das der sozialen Mobilität, die Kraft und Anmaßung erzielen könnten. Connery kommt da aus dem Gefängnis und trommelt ein paar Kumpel zusammen, um mit ihnen einen großen Coup zu landen: Ein Wohnhaus der Reichen soll Appartement für Appartement ausgeräumt werden. Aber Anderson (Connery) scheitert daran, daß die Welt schon von unsichtbaren Augen, den Überwachungsapparaturen des FBI beherrscht ist, und daß sich die Reichen längst einen Spaß daraus machen können, Verbrechern bei der Arbeit zuzusehen, weil die Versicherung bezahlt. Die größte Gemeinheit aber ist, dass der ganze technische Aufwand gar nicht Andersons Gang, sondern viel größeren Gangstern gegolten hat, die längst ohne Körper, ja schon ohne Gesicht sind.

In Lumets Filmen ist Connery oft ein kräftiger, aber schon etwas angestrengter Mann, der nach seiner großen Niederlage in eine ausweglose Situation geraten ist, aus der er sich – zumeist vergeblich – mit einem Kraftakt zu befreien versucht. In THE OFFENCE (SEIN LEBEN IST IN MEINER GEWALT, 1972) ist er ein verbitterter Polizeidetektiv. Als nach einem brutalen Verhör ein Gangster stirbt, wird er selbst zum Angeklagten. „Ein mieser Cop, ein mittelmäßiger Sergeant, den nach 20jähriger Routine-Arbeit die Erinnerungen an brutale Verbrechen, mit denen er zu tun hatte, zum Killer werden lassen“ (Connery).

Das fürchterliche Scheitern dieses modernisierten Barbaren an der Zeitenwende ist die eine, das sanfte Verschwinden die andere Möglichkeit. In Richard Lesters ROBIN AND MARIAN (ROBIN UND MARIAN, 1975) verliert der Held nach seiner Selbstgewissheit auch seine „Methode“; Robin Hood kehrt da, niedergeschlagen von einer langen, sinnlosen Kreuzfahrt, zwanzig Jahre nach seinem Befreiungskampf, nach England zurück, wo König Richard Löwenherz dem Wahnsinn anheimgefallen und Lady Marian nach einem Selbstmordversuch Äbtissin eines Klosters geworden ist. Aber sonst ist alles beim alten geblieben; die Herrschaft hat sich nicht geändert, die alten Feinde sind so stark wie je, nur Robin ist älter geworden, und nachdem noch eine Schlacht geschlagen ist, ohne dass sich ein Ausweg auftun will, läßt er sich von Marian gnädig vergiften, und auch dieser Liebestod durch die sanfte, zerbrechlich starke Audrey Hepburn ist eine Antwort auf die brachiale Sexualität des Barbaren. Wie Lumet, so lässt auch Lester Connery scheitern, weil die Zeit ihn nicht mehr braucht, und erst indem er so gegen die Zeit lebt, weckt er unser Mitgefühl.

Diese Männlichkeit im Stadium des Untergangs (und einer ironisch-melancholischen Erinnerung) erzielt eben jenen Schwebezustand der Gefühle, den ein erotischer Mythos braucht; je mehr er „in die Jahre kommt“, je komplexer die Physiognomie auf den Widerspruch zwischen Lust und Weisheit reagiert, desto sicherer ist Connery ein Platz in den beliebten Umfragen nach dem „most sexy actor“ oder dergleichen. Neben der Tragödie des Tatmenschen, der sein zivilisatorisches Ziel verfehlen muss, gibt es gelegentlich eine dramatische Rekonstruktion des barbarischen Kriegers wie in John Boormans bizarrem ZARDOZ (1973), wo Connery „elementare Männlichkeit“ (Verleihtext-Poesie) mit beidem, der Sexualität und der Gewalt seines Körpers, eine paradiesisch-höllische Herrschaft von Unsterblichen zerstört. Gegen das „potente Ungeheuer“ (Ponkie), das freilich schon zum verliebten Ungeheuer geworden ist, wirkt „James Bond fast wie ein Waisenkind“ (Connery). Aber nein! Dieser Barbar ist durch Geschichte gezähmt; er mag sich selbst nicht recht verstehen, so handelt er doch im Dienste der Menschheit gegen den von den tod- und lustlosen Herrschern erfundenen Vatergott, weil er die Sinnlosigkeit seines Schlachtens ahnt. Connery war übrigens nicht ganz unerheblich an der Konzeption von Gestalt und Film beteiligt, so daß es vielleicht nicht unschicklich ist, die sich beständig selbstaufhebenden Wendungen des Films als Versuch einer Kommentierung der eigenen Rolle zu sehen: Der Tat- und Sinnenmann als Erlöser der frigid-rationalen Frau und ihrer Gesellschaft versucht sich gleichsam zu verrätseln.

Ganz einfach dagegen steht der Held von OUTLAND (1980, Regie: Peter Hyams), ein Polizist, der in eine außerirdische Bergwerkskolonie strafversetzt wird, wo die Arbeiter von Industrie und Gewerkschaft mit Drogen versorgt werden, die sie als Nebeneffekt nach geraumer Zeit in den Wahnsinn treiben. Nachdem die Frau ihn mit dem Kind verlassen hat, ein wenig so, wie Grace Kelly Gary Cooper in HIGH NOON verlassen musste, tritt Connery zu einem zähen Kampf an, nur eine Frau mit dem bezeichnenden Namen Lazarus ist an seiner Seite. Er ist nun so sehr geprägt vom Verlust, daß wir, trotz seiner immer noch immensen Fähigkeit zur Gewalt, keine wirkliche Furcht mehr vor ihm haben müssen. Bond weiß, daß er siegen wird, deshalb ist ihm ein Menschenleben nichts wert, Robin kann nicht mehr siegen, darum muß er sein Leben beenden; in OUTLAND weiß der Held, daß er siegen muss, koste es ihn das Leben, und der Connery-Held beginnt, jeden seiner Schritte sorgfältig abzuwägen. Anders gesagt: Er wird alt.

Der entfernt anwesende Vater

Noch zweimal reicht der defekte Barbar weit über sich hinaus. Das eine mal, in John Milius‘ THE WIND AND THE LION (DER WIND UND DER LÖWE, 1975), wo Connery als Berberfürst eine amerikanische Witwe und ihre beiden Kinder entführt, um seinen Bruder zu zwingen, ihn wieder in Amt und Würden zu setzen (und Candice Bergen wird von der Menschlichkeit und dem Stolz hinter dem barbarischen Gestus doch noch überzeugt, als hätten wir’s geahnt), das andere Mal in John Hustons verdammt schönem THE MAN WHO WOULD BE KING (DER MANN, DER KÖNIG SEIN WOLLTE, 1975) nach einer Geschichte von Rudyard Kipling: Die britischen Soldaten Peachy (Michael Caine) und Daniel (Sean Connery) wollen in einem Land hinter Indien König werden, und Daniel wird wirklich zum gottähnlichen Herrscher gekürt, weil man ihn für unverwundbar hält. Es ist seine sexuelle Begierde, die ihn zu Fall bringt, ebenso wie sein ungezügelter Wunsch nach Macht, die beiden Wesenszüge des Barbaren in unserer Phantasie. Für Huston ist das Problem des Mannes, der König sein wollte, „dass er die Frauen nicht kontrollieren kann“, und mit dieser in ihrer Düsternis wahrhaften Männerphantasie nahm Connery in einem grausigen Kino-Tod recht eigentlich endgültig von James Bond Abschied.

Sean Connerys letztes, aus den vorherigen glücklich hervorgehendes Rollenfach ist das des väterlichen Freundes, der sich ironisch fernzuhalten versteht und zu Zeiten noch zu beachtlichen Aktionen fähig ist. Ob er in einer „echten“ Familie steht, wie in Lumets FAMILY BUSINESS (1988), oder den Helden (Christopher Lambert) als väterlicher Freund geleitet hat, wie in HIGHLANDER (1985), stets ist die autoritäre Beziehung der Vatergestalt mit den Söhnen gebrochen; wie er als defekter Barbar seine Beziehung zu den Frauen durch Selbstironie und die Offenbarung von Skepsis zivilisierte, so gibt er nun durch ironische Distanz (die dritte Potenz des Snobismus) den Söhnen mehr Freiheit, als sie erwartet haben, mehr Selbstverantwortung auch, als sie wünschen. Der Vater von Indiana Jones in Spielbergs INDIANA JONES AND THE LAST CRUSADE (1989) hat ihn durch eine merkwürdige Kombination von „Abwesenheit“ (in der Verkleidung der forschenden Weltflucht eines Professors) und direkter Anwesenheit in zwei Lektionen, einer ironischen (Nun sprich, Sohn) und einer ernsten (Laß es gehen, Sohn) geführt. In Brian de Palmas THE UNTOUCHABLES (1986) ist er, der alte Streifenpolizist mit der dunklen Vergangenheit, erst nach Zögern bereit, eine zielgerichtete „väterliche“ Funktion für den Gegenspieler des Gangsters Al Capone, für Eliot Ness, einzunehmen.

Das ungern, aber konsequent angenommene Verantwortungsgefühl, das Connery nun, etwa als bärbeißiger Colonel, der es mit einem jungen, smarten Cop zu tun bekommt, in Hyams‘ PRESIDIO (1988) oder als Kommandant eines russischen Unterseebootes in THE HUNT FOR RED OCTOBER (1990), an den Tag legt, macht ihn endgültig zum positiven Helden: Der Barbar hat sich selbst bezwungen.

Mehr noch, er wird, weil er die „Vergänglichkeit der Epoche“ erkennt, zum Künder einer neuen, halb resignativen, halb erwartungsfrohen Aufklärung, in der der Beobachter und Investigator, wie sein detektivischer Franziskanermönch William (wieder ein Mann mit einer ungewissen Vergangenheit) in DER NAME DER ROSE (1986), seine Fehlbarkeit miteinbezieht. Auch hier wird er zu einem gewährenden, väterlichen Freund für einen jungen Mönch. Was gibt es von einem Mann zu lernen, der sich nicht einmal von seiner eigenen Resignation abhalten lässt, wenigstens zu versuchen, das Richtige zu tun, und sich von seinem Erfolg nicht davon abhalten lässt zu resignieren? Die Skepsis als Methode, den Untergang des Mannes (oder was immer gerade untergehen möchte) zu überleben, ohne die Lust am Leben zu verlieren. Oder die Kunst, sich von einem „haarigen Marshmallow“ (TIME zu Zeiten von DR. NO) in einen dackelfaltigen Graubart zu verwandeln, ohne das Gesicht zu verlieren.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film 8/90