20 Jahre Bildermaschine Hollywood

In den späten siebziger Jahren hat eine Anzahl von Filmen mit einem bestimmten Appeal für das Publikum und einem bestimmten Touch in Erzählweise, Technik und Ikonographie begonnen, das internationale Kino zu verändern, und im Verlauf von drei Jahrzehnten wurde daraus so etwas wie ein Code. Was mit Steven Spielbergs Der weiße Hai und George Lucas‘ Star Wars begann, war freilich weniger eine Neuerfindung des Films – im Gegenteil: so viel Traditionsbewusstsein war nie – als eine Neuerfindung des Publikums.

Blockbuster sind nicht so sehr „Erfolgsfilme“ als vielmehr Filme, deren Erfolg vorab kalkuliert und immer zugleich ästhetisch, ökonomisch und soziologisch zu verstehen ist. Sie leben davon, dass man sie auch außerhalb des Kinos überall sieht und schließlich, dass man anders über sie redet als in einem konventionellen kritischen Dialog. Der Blockbuster verwandelt eine möglichst große Anzahl von Kinozuschauern wenigstens zeitweise in „Fans“: in eine virtuelle Weltgemeinde, in ein Heer der leuchtenden Augen.

Blockbuster sind Genre-Mixturen, die auf immer neue Weise erlauben, technologische und Design-Innovation mit einer kulturellen Reduktion zu verknüpfen. „Heimat“-Bilder jenseits der konkreten Erfahrung oder ex negativo: Der Fluchtpunkt des Blockbuster-Films ist nicht die Utopie, sondern der magische Schnittpunkt aller möglichen kulturellen Codes. Er beantwortet Fragen wie: Wovor haben alle Menschen dieser Welt Angst? Was verbinden alle Menschen dieser Welt mit Glück oder Erfolg?

Blockbuster-Filme sind eine Leistungsschau der Technologie und ein Spiegel antitechnologischer Ängste. Das Phantastische, eine entscheidende Zutat, rotiert zwischen Fortschrittsangst und Nostalgie, und auch in der sozialen Metaphorik sind darin Trost für die Modernisierungsverlierer und Gier für die Gewinner austariert. Im Grunde könnten wir die Plots des Blockbuster-Kinos auf zwei Elemente reduzieren: Cinderella und der Krieg zwischen Menschen und Maschinen, die Hoffnung auf den sozialen Aufstieg und den Konflikt mit den destruktiven Elementen der eigenen Technologie. Beinahe alle erfolgreichen Superproduktionen der letzten Zeit beinhalten, neben dem Rücksturz in ein Neverland ewiger Kindheit oder Adoleszenz, kinetische Begeisterung und apokalyptische Ängste.

So wie Blockbuster die Grenzen der Genres überschreiten, so verknüpfen sie die unterschiedlichen Medien: Fernsehen, Comics, Computerspiele, Popmusik, populäre Literatur. Entscheidend ist sogar, dass sie sich in die Semiologie des Alltagslebens einschreiben. Es geschieht dies nicht mehr allein durch das traditionelle Merchandising, sondern realisiert sich bereits als Konzept: Sowohl die Hierarchie der erzählerischen Codes als auch die der ökonomischen Verwertung verschwinden weitgehend. Damit zusammen hängt eine prinzipielle Offenheit der Erzählung im Blockbuster. Die populäre Mythologie im Blockbuster-Stadium tendiert dazu, Erzählmaschinen in Gang zu setzen, die keinen Anfang und kein Ende mehr kennen.

Das Blockbuster-Kino produziert fast manisch für den Augenblick – das Startwochenende möglichst an allen Orten der Welt zugleich wird zum ökonomischen Maß – , zugleich aber will es auch auf semiotische Nachhaltigkeit hinaus: Jedes Zeichen birgt in sich das Potenzial für ein mediales Imperium.

Das Blockbuster-Kino hat bereits wieder seine eigene Geschichte und damit auch sein eigenes System der Selbstreflexion, der Dekadenz, wenn man so will, erreicht. Zugleich ist absehbar, dass es sowohl ökonomisch als auch kulturell seine Grenzen erreichen wird. Die Institution Kino befindet sich in einer höchst prekären Situation. In den Kernländern des Blockbuster-Konsums hat sich die Hollywood-Krise der siebziger Jahre in ihr Gegenteil verkehrt: Damals konnte der konservative Apparat nicht adäquat auf ein junges und bewegliches Publikum reagieren, heute fällt es dem jungen und aggressiven Produktionsapparat schwer, auf den demographischen Wandel zu reagieren. Das junge, von der Werbewirtschaft umworbene Publikum kann allein die Institution Kino nicht am Leben erhalten. Und selbst das jugendliche Publikum ist durch die innovativen Oberflächenreize allein nicht mehr zu begeistern; im Verhältnis zu seinen Anfängen trifft das Blockbuster-Kino heute auf ein „abgebrühtes“ Publikum. Um sich zu erhalten, muss die Filmproduktion daher in gewisser Weise „erwachsener“ werden.

So werden die Filme in der jüngsten Phase der Blockbuster-Geschichte wieder intelligenter, aber auch menschlicher: Sam Raimis Spiderman, Ang Lees Hulk und Bryan Singers X-Men-Filme funktionieren nicht nur als perfekte Unterhaltung, sondern versuchen sich auch an einer moderaten Form der politischen Argumentation. Mit einem gewissen Recht kann man eine solche Vertiefung sogar von den großen Entwürfen der cineastischen Parallelwelten behaupten, den Trilogien vom Herrn der Ringe und der Matrix.

Blockbuster aus Hollywood sind zugleich Sprache, „Jargon“ und Sprech-Material. Seit 20 Jahren gibt es kaum ein katastrophisches Ereignis der Geschichte, das man nicht in der Metaphorik des Blockbuster-Kinos beschrieben hätte. Wir sehen nicht nur blockbuster, wir sprechen auch blockbuster. Und wenn wir von Blockbustern sprechen, dann sprechen wir von Wahrnehmung, Ökonomie, Religion und Politik. Am Rande auch von Film. Und wenn wir von Film sprechen, dann auch vom Blockbuster, am Rande allemal.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film 1/2004