Wenn Sergio Leone in seinen schwarzen Dekonstruktionen amerikanischer Filmmythen Nachfolger und Demonteur John Fords war, so wirkte Sergio Corbucci wie ein italienisch-kindlicher Howard Hawks. Ihn interessierte nicht das Wesen, sondern das Funktionieren des Mythos; seine teils wüsten, teils grotesken Attacken gegen die Filmträume, die so gründlich ihre Unschuld verloren hatten, endeten, ganz konsequent, weder in der Tragödie noch im Melodram, sondern im anarchischen Kinderkino. Nachdem Corbucci in einem großartigen, zynischen Meisterwerk, IL GRANDE SILENZIO, alles kaputtgemacht hatte, was an moralischen Illusionen hinter dem Western-Mythos steckte, alles, was aus der Identität von Form und Botschaft in diesem biblischen Genre wirkt, machte er sich wie ein spielendes Kind über die Mechanik der Film-Erzählungen her, nahm immer wieder das Räderwerk auseinander, setzte die Teilchen wieder zusammen, fertigte daraus Nonsense-Maschinen der cinematografischen Industrie, Maschinen, die unter großem Gelärm und mit viel Bluff keine andere Bewegung erzeugten als die, sich selbst wieder auszuschalten. Seinen cineastischen Unfug verkaufte er als volkstümliches Kino, und tatsächlich ist in diesen spätdadaistischen Collagen aus dem Material des Genrekinos immer wieder eine Suche nach verlorenen Wurzeln zu entdecken; Adriano Celentano, Terence Hill oder Renato Pozzetto wüteten als letzte, listige Proletarier in Kino-Geschichten, die rumpelnd in sich zusammenfielen. Aber nicht einmal dieses Zerstörungswerk hat Sergio Corbucci sonderlich ernst genommen; dieses schlampige Genie im Regiestuhl hatte mit dem lustvoll komplexere Mechaniken auseinandernehmenden Kind noch gemeinsam, daß es schnell die Lust verlor. Dann ging es nur noch darum, das Zerlegte irgendwie zusammenzufügen, um dem Produzenten eine Freude zu machen.

Sergio Corbucci wurde am 6. Dezember 1926 in Rom geboren. Er studierte Wirtschaftswissenschaften, arbeitete aber schon bald als Filmkritiker, unter anderem für „Schermi di mondo“ und die Zeitung der US-Truppen in Europa, „Stars and Stripes“. 1948 begann er seine Film-Arbeit als Assistent von Aldo Vergano und Enzo Trapani, arbeitete dann an einigen Dokumentarfilmen und inszenierte 1951 seinen ersten Spielfilm, SALVATE MIA FIGLIA, eine volkstümliche, dramatische Liebesgeschichte. Sein erster Erfolg über die Grenzen des italienischen Folklore-Kinos hinaus war LA PECCATRICE DELL’ISOLA (Insel der Sünde), eine Detektivgeschichte mit Silvana Pampanini und Folco Lulli. Er drehte Dramen, Musikfilme und Komödien mit Totò und Peppino De Filippo wie TOTÒ, PEPPINO … E LA DOLCE VITA (Totò, Peppino und das süße Leben – 1961) und die einigermaßen hirnrissige Visconti-Persiflage I FIGLI DEL LEOPARDO (1965) mit Franco Franchi und Ciccio Ingrassia. Corbucci hatte eine eigene Art, mit den beiden Elementen umzugehen, aus denen das B-Kino Italiens in den fünfziger und sechziger Jahren bestand, den folkloristisch-komödiantischen Ableitungen des Neorealismus und der naiven Amerikanisiererei. Seine „Sandalenfilme“ wie MACISTE CONTRO IL VAMPIRO (Macistes größtes Abenteuer) und ROMOLO E REMO (Romulus und Remus), beide im Jahr 1961 entstanden, zeichnen sich bereits durch einen Geschmack an artifiziellem Sadismus und groteske Wendungen der Genre-Klischees aus. Und auch seine Totò-Filme funktionieren vor allem als Parodien auf erfolgreiche Filme; Corbucci kannte das Kino und seine Gesetze und wusste um die Effekte, die entstehen, wenn etwas „Richtiges“ mit einer wohldosierten Portion des „Falschen“ zusammenkommt.

Sein erster Western, MINNESOTA CLAY (1964), in dem Cameron Mitchell einen erblindeten Revolvermann spielt, stellt den Helden vor eine absurde Aufgabe: auf der Seite mexikanischer Banditen muß er aus eigenem Interesse dafür sorgen, daß der Gegner, der Boss eines Regulatorentrupps, am Leben bleibt; und dann muß er ihn doch erschießen, um die Tochter seines Freundes zu retten. Corbucci hat bei diesem Film nicht nur auf amerikanische Pseudonyme verzichtet, er sagt auch in seinen Bildern ganz deutlich, worauf er stolz ist: „Das ist ein italienischer Western!“

MASSACRO AL GRANDE CANYON / I PASCOLI ROSSI (Keinen Cent für Ringos Kopf – 1965) indes ist dann doch wieder mit „Stanley Curbett“ signiert, eine unerhebliche Rachegeschichte nach den mittlerweile schon gängigen Konstruktionen des Genres. Und auch DJANGO (1966) verlässt in seiner Konstruktion noch nicht den Rahmen der italienischen Samurai-Western, in denen es darum geht, die weißen Ausbeuter auf der einen, die mexikanischen Banditen auf der anderen Seite gegeneinander auszuspielen. Neu ist indes die Heldengestalt, die Corbucci aus Verehrung für den Gitarristen Django Reinhardt so genannt hat. Am Anfang schleppt er einen Sarg durch den Schlamm der Main Street, darin hat er ein Maschinengewehr und erschießt bald darauf damit reihenweise rote Kapuzenmänner einer Art Ku Klux Klan. Hier beginnt die Demontage des Genres; der Held hält sich nicht mehr an die Regeln, die Bösen halten sich nicht mehr an die Regeln, und nicht einmal das Wetter hält sich mehr an die Regeln. Die Gesichter sind von Schmutz und Blut verklebt, die Konstellationen lassen alles, nur keinen Blick auf Zukunft frei, die biblische Wucht des Genres äußert sich nun nur noch in blasphemischen Zitaten.

Friedemann Hahn hat 1973 in dem Buch „Der Italowestern. Eine szenische Dokumentation“ diesen Helden beschrieben: „Der Typ war noch ziemlich jung, hatte ein Gesicht wie eine Ratte, und wenn er einmal böse grinste, zeigte er kleine gelbe Nager. Er hieß Franco Nero und war ein Django. Er bewegte sich, als ob ihm jeder Schritt eine Anstrengung wäre. Wenn er herumstand, stand er breitbeinig da. Locker in den Knien, aber immer bereit zum Sprung. Seine engen, dunklen Hosen steckten in halbhohen schwarzen Stiefeln, die voller Matsch und Staub waren. Wenn er aus dem Krieg kam, trug er die Uniform eines Sergeanten der US-Kavallerie. Aber eigentlich war es egal, was er anhatte. Er mußte nur finster und drohend aussehen unter seinem breitkrempigen Schlapphut. Dreckig war er immer, auch wenn er gerade ein Bad genommen hatte. Sein Gesicht war von der Sonne verbrannt und voller Falten. In den Furchen hing der Staub vom letzten Ritt oder klebte angetrockneter Schlamm, der bei einem bösen Lächeln aufbrach und von der Haut bröckelte. Sein Lächeln war kein Lächeln. Es war eine häßliche Grimasse, hinter der sich Rache, Haß und Boshaftigkeit verbargen. Die Augen funkelten nicht, sie stachen kalt, gemein und dreckig. Er trug immer ein Geheimnis mit sich herum. Wenn er irgendwo auftauchte, sah man ihn meistens ohne Pferd. Da wirkte er am besten, er war einsam. Er war schon immer einsam gewesen.“

Dieser Django war das Gespenst der Dritten Welt, die damals noch in Rom begann und im Mezzogiorno gärte; Django war die Wut, die Leidenschaft, der Schmerz der Revolution, aber auch ihre schwarze Phantasie von Gewalt und Rache. Django war die wilde Seele der Rebellion; er fehlte uns und war nicht geheuer.

Noch im selben Jahr entstehen Filme, die nachhaltig an der Zerstörung des amerikanischen Nationalepos, das über die Welt verbreitet war, beteiligt waren. JOHNNY ORO (Ringo mit den goldenen Pistolen) dreht die Konventionen von Held und Heavy um, die Bösen sehen aus wie die Guten und die Guten wie die Bösen; NAVAYO JOE / UN DOLLARO A TESTA (An seinen Stiefeln klebte Blut) zeigt Burt Reynolds als Indianer, dessen Stamm ausgerottet wurde und der mit Pfeil und Bogen Rache nimmt. Corbuccis Vorliebe für ungewöhnliche Waffen erreicht hier einen ersten Höhepunkt. Und in I CRUDELI (Die Grausamen) ist Joseph Cotten das Oberhaupt eines mörderischen Familien-Clans in einer Phase allgemeiner Auflösung nach dem Bürgerkrieg; seine Söhne greifen einen Wagenzug der Nordstaaten an und erbeuten einen Teil der Kriegskasse. Die Beute wird in einem Sarg durch das besetzte Gebiet bis nach New Mexico gebracht.

Alle diese Filme scheinen im nachhinein wie Skizzen zu IL GRANDE SILENZIO (Leichen pflastern seinen Weg – 1968), und während Corbucci noch bei DJANG0 jegliche gesellschaftskritische Interpretation von sich gewiesen hat, widmet er diesen Film Che Guevara, Martin Luther King und Robert Kennedy und erklärt das „totale Opfer“ seines Helden als Protest gegen die Gewalttätigkeit. Aber gewiß steckte auch in den früheren Filmen das Bild einer gesellschaftlichen Agonie, die in diesen sechziger Jahren wie mit Händen greifbar schien, und umgekehrt war auch IL GRANDE SILENZIO Ergebnis einer konsequenten, mechanischen Anwendung des Prinzips der nicht eingehaltenen Regeln, die hier sozusagen ins Gegenteil verkehrt ist: Das Regelwerk selbst ist zerbrochen. Es ist ganz einfach: das Gute siegt nicht, es gibt keine Bewegung zum Frieden und in die Zukunft, die Frau bleibt nicht verschont, das Böse wird nicht bestraft, das Gesetz wird in diesem Film nicht gebrochen, und trotzdem triumphiert auf der ganzen Linie eine fundamentalkapitalistische Gleichung von Geld und Leben. An die Stelle des Showdowns ist das Massaker getreten; Vietnam spukt als Bildschock in IL GRANDE SILENZIO, und es gibt nichts und niemanden mehr, der das Opfer des stummen Helden annehmen könnte.

Die Grenze, die Italowestern im allgemeinen zwischen dem Süden und dem Norden ziehen, zwischen Yankee-Amerika und Lateinamerika, verläuft hier durch eine schneebedeckte Bergregion. Nichts geht mehr vorwärts; Menschen und Tiere stochern hilflos und quälend langsam durch den Schnee, und man weiß nicht, was schrecklicher ist, die Angst in den Innenräumen oder die Angst draußen, in der öden Weite.

Corbucci selbst bezeichnet den so symbolischen Tod von Silence, der mit durchschossenen Händen im Schnee stirbt, als „unnötiges Opfer eines Menschen, der wahrscheinlich in lebendigem Zustand nützlicher wäre“, und ganz konsequent beschreibt der Regisseur in den bedeutenderen seiner nächsten Filme die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Revolution. Dabei geht es um Menschen, die das Opfer ablehnen, die zunächst einmal alles daran setzen, in lebendigem Zustand zu bleiben. Nachdem Corbucci in IL GRANDE SILENZIO alle Stereotypen zerstört und die dahinterliegenden Charaktere bloßgelegt, einen Nullpunkt erreicht hatte (nichts dürfte eigentlich noch funktionieren mit Männern, Colts, Pferden und Regeln), versucht er in Filmen wie IL MERCENARIO und VAMOS A MATAR, COMPANEROS dem Regelverstoß einen Sinn zu geben. „Wer sich an Regeln hält, der verliert“, das hat man aus IL GRANDE SILENZIO gelernt; auch der Klassenkampf hatte bis dahin seine Regeln. Die Frage ist nicht, warum es eine Revolution geben muss, die Frage ist, unter welchen Bedingungen sie stattfinden kann. Auch die Revolution ist eine Maschine, die man auseinandernehmen kann. So entsteht die Spannung zwischen der Revolution, dem Geld und der Möglichkeit des Franco-Nero-Charakters (eines Söldners oder Geschäftsmannes), gewissermaßen für beides zu kämpfen. „Die Reichen sind der Kopf, die Armen der Arsch, der Rücken ist der Mittelstand“, erklärt Nero/Kowalski in IL MERCENARIO die Gesellschaft von 1910 in Mexiko und noch genauer die Italiens von 1970. Der Mittelstand, der Kopf und Arsch verbindet, macht die Revolution zur Farce.

In VAMOS A MATAR, COMPANEROS (Laßt uns töten, Compañieros – 1970) entscheidet sich – in einer von Corbuccis euphorisierenden Schlussbildern – Franco Nero für die Revolution, während ein die Grenzen der Hysterie streifender Kinderchor „Gehen wir zum Töten“ singt. In CHE C’ENTRIAMO NOI CON LA RIVOLUZIONE? (Die zwei glorreichen Halunken von Santa Cruz – 1972) schlagen sich auch Vittorio Gassman und Paolo Villagio, ein Schauspieler und ein Priester, auf die Seite Emiliano Zapatas. Die Revolution ist der letzte große Spaß; retten kann sie nichts mehr.

Gewiß war Corbucci nie so etwas wie ein politischer Filmemacher; er hat nur am präzisesten Stimmung in Mechanik umgesetzt; er hat am wenigsten Respekt vor den Imperativen der Kinotraditionen gehabt, vor der Kinomaschine, die immer auch eine Glaubensmaschine ist. Für einen Augenblick der Kinogeschichte war dieser kleine, zynische Meister wichtig, bedeutender als manche große Autoren, so schmerzhaft wie Godard, der in diesen Jahren WEEK END und ONE PLUS ONE drehte, und viel, viel volkstümlicher. Corbuccis Kino, das immer zugleich grausam und komisch ist, bleibt darin Volkskunst, daß es ganz und gar ohne Illusionen über die Macht und die Gewalt spricht, und es ist „bürgerlich“, insofern es die Kraft des Volkes, die Ehre, die Leidenschaft, das Opfer, skeptisch beurteilt. Maciste, Django, Silence, Kowalski – es ist die Geschichte des Volkshelden; der dem, was er bekämpft, immer ähnlicher geworden ist. Eine Befreiung ist da nicht mehr in Sicht, und so sucht Corbucci in der dritten Phase seines Werkes immer wieder die verlorenen Wurzeln. Diese Suche beginnt mit komischen Western, die eigentlich italienische Gaunerkomödien sind, wie LA BANDA J. & S. – GRONACA CRIMINALE DEL FAR WEST (Die rote Sonne der Rache – 1972), die Geschichte eines rüpeligen Banditen und seiner jungfräulichen Komplizin, oder IL BIANCO, IL GIALLO, IL NERO (Stetson – Drei Halunken erster Klasse – 1975), eine klamottige Odyssee eines Gauners, eines Möchtegern-Samurai und eines Sheriffs durch den Westen, in dem gar nichts mehr das ist, was es zu sein scheint: die Indianer sind nicht echt, die Frauen sind nicht echt, nicht einmal der Tod ist echt.

Aber mit seiner Rückkehr zu seinen Anfängen bricht bei Corbucci auch der Widerspruch zwischen der Folklore und der amerikanischen popular culture wieder auf. Die Plots werden immer unübersichtlicher, zerstören sich in dem Bemühen, immer noch eine Wendung draufzusetzen, oft selbst. Zitate und Selbstzitate wuchern bis zu Sequenzen, deren Bilder und Dialoge ganz und gar aus Verweisen auf andere Filme bestehen, aber dafür werden die Helden wieder einfacher. In seinen Adriano-Celentano-Filmen setzt er genau dort an, wo er bei seinen Totò-Filmen aufgehört hatte: Corbucci parodiert die großen Filmerfolge der Zeit mit einem proletarischen Helden, der sich eine Scheibe vom Glück abschneiden kann, weil er sich nicht an die (Kino-)Regeln hält. Und nicht viel anders, wenn auch im amerikanischen Ambiente, funktionieren seine Terence-Hill/Bud-Spencer-Filme. Gelegentlich, wie bei dem Trucker-Film IL BESTIONE (Die cleveren Zwei/Gefährliche Fracht), gelingen Corbucci auch wundersam realistische Miniaturen, in denen unerwartet wieder von Solidarität geträumt wird.

Man hat über Corbucci gesagt, er habe seine Arbeit mit leidenschaftlichem Elan begonnen und nach einiger Zeit oft plötzlich das Engagement verloren, um die Filme schnell und mit der linken Hand zu Ende zu bringen. Das mag erklären, warum es noch in seinen miserabelsten Filmen Szenen gibt, die von ungeheurem Können zeugen, und umgekehrt noch in seinen besten Filmen solche von übelster Schlamperei. Aber gerade das macht viele seiner Filme so amüsant; sie bleiben skizzenhaft, nehmen sich selbst nicht allzu ernst, und gelegentlich überträgt sich das Vergnügen am Spiel mit den Kino-Klischees ganz direkt auf den Zuschauer. Corbucci hat es verstanden, selbst in den müderen und gänzlich disziplinlosen Arbeiten, Momente eines eigenartigen Glücks zu schaffen. Und so wie die blödsinnige Handlung von STETSON nicht die Anfangsszene des Reiters am Horizont (eines von Corbucci immer wiederholten Meisterstückchen: Menschen, die sich am Horizont bewegen und dabei eine seltsame Großartigkeit produzieren) vergessen läßt, so entläßt uns Corbucci häufig mit Schlußszenen, die so viel Aufbruch, so viel Lebenslust vermitteln, die man nach der „Handlung“ nicht erwarten durfte.

Zu Beginn der Corbucci-Filme steht die Zahl zwei; es gibt eine scheinbar klare Dualität, Freundschaft, Feindschaft, betrogene Freundschaft wie noch in DJANG0, betrogene Feindschaft auch. Weil die Impulse der beiden Kontrahenten Gefahr laufen, sich gegenseitig zu neutralisieren, tritt eine dritte Person hinzu; es entsteht ein Dreieck, das wechselnde Beziehungen und Allianzen wahrscheinlich macht. Die Beziehung zwischen zwei Akteuren definiert sich über die zum dritten Mann, den es am Ende

wieder zu eliminieren gilt. In manchen Filmen wird die Konstruktion noch zum Viereck erweitert (wie in MERCENARIO), das in Drei- und Zweiheiten zerfällt. Freilich ist solche Konstruktion nicht Corbuccis Erfindung, aber er macht sie selbst zum Thema: Die Konstruktion ist wichtiger als der Charakter. Die Volkskunst ist gegenüber der bürgerlichen Kunst eine, die immer berechenbar ist.

Der Zusammenbruch der Regeln (anders gesagt: der Zusammenbruch der Traditionen und Familien) ist das durchgehende Thema von Corbuccis Filmen; das Dreieck ist der Ausweg aus einer durchaus ambivalenten Männer-Beziehung, in der immer einer eher „männlich“, der andere eher „weiblich“ reagiert. In diesen Beziehungen sind aber auch brüderliche und Vater-Sohn-Beziehungen eingebaut; der gutmütig cholerische Bud Spencer, der auf die Machinationen seines Bruders Terence Hill hereinfällt, ist auch ein sanftes Echo auf Jean-Louis Trintignant aus IL GRANDE SILENZIO, der sich von Klaus Kinski bezwingen lässt. Und Adriano Celentano in Corbuccis Filmen findet immer wieder „Väter“ (wie Anthony Quinn in BLUFF) oder „Brüder“ (wie Renato Pozzetto in ECCO NOI PER ESEMPIO). Man ist in diesen Filmen zusammen, wenn man gegen die ganze Welt steht, und fällt gleich wieder auseinander, sobald der Druck von außen nachlässt. Männer sind einander am nächsten, wenn sie sich prügeln – auch das erinnert an Hawks. Corbuccis Welt hat die Frau nur als Ahnung.

„Ich bin ein volkstümlicher Künstler“, hat Sergio Corbucci gesagt. Das heißt auch: Er hat von der Entfremdung erzählt. Vom Kapitalismus. Vom Überleben. Mechanisch, wie ein spielend zerstörendes Kind, das zu begreifen beginnt.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film 2/91