Der Oscar zeichnet Filme und Menschen aus, die es fertig bringen, die beiden widersprüchlichen Impulse des Kinos miteinander zu versöhnen, nämlich Kunst und Handwerk auf der einen, Kommerz und Industrie auf der anderen Seite. Wer es nach einer der beiden Seiten hin übertreibt, ist nicht, was im entsprechenden Jargon als »oscarreif« gilt.

Ausgezeichnet wird, was nach Meinung der Mitglieder der Academy of Motion Pictures Arts and Sciences das Kunststück hinbekommt, auf eine nicht kassengiftige Art anspruchsvoll zu sein oder auf eine nicht schmachvolle Weise populär. Oscar bezeichnet nicht so sehr eine Leistung als vielmehr einen Ausweg. Innovation und Marktstabilität, Eigensinn und Konformismus, Hysterie und Langeweile der Oscar repräsentiert und produziert einen Konsens für das Kino.

Das ist weder besonders schlecht noch besonders gut, es tut der Filmkultur nur nicht allzu gut, es zu leugnen. Seit dem Jahr 1947 wird auch ein sogenannter Auslandsoscar, genauer gesagt, die Auszeichnung »für den besten nicht-englischsprachigen Film« verliehen. 1979 wurde mit Volker Schlöndorffs Grass-Verfilmung Die Blechtrommel zum ersten Mal ein deutscher Film in dieser Kategorie ausgezeichnet, seitdem mögen wir Oscar.

Zur Zeit ist die deutsche Filmkultur in einem besonderen Spannungszustand zwischen Kunst und Kommerz – sie steuert auf einen politisch-ökonomischen Umbauprozess zu. Ein Oscar käme da wie eine Lösung oder eine Erlösung, und der nominierte Film Das Leben der Anderen von Florian Henckel von Donnersmarck hat nach allgemeiner Meinung nicht nur gute Chancen, sondern es wurde auch alles getan, was man so vor und hinter den Kulissen zu tun hat, um einen Film bei den Academy-Mitgliedern angemessen zu wie sagt man? positionieren.

Das derzeitige Durchschnittsalter der Academy-Mitglieder wird auf etwa sechzig Jahre geschätzt, Schauspieler sind signifikant überrepräsentiert. Wie also sollte ein Film aussehen, der bei solchen Juroren den Auslandsoscar gewinnen will?

1. Der Film muss zugleich genügend »ausländisch« sein, sollte aber die ästhetischen Codes der Traumfabrik nicht allzu tief verletzen. Er sollte sein Land und seine Geschichte so zeigen, dass er den amerikanischen Bildern vom gleichen Gegenstand nicht vollständig widerspricht – er muss, ganz ohne Häme gesagt, Teil eines Weltbildes werden können, in dem die Konflikte der (von den USA aus gesehen) Peripherie jeweils selbst produziert sind. » Antiamerikanische« Impulse überlasse man getrost amerikanischen Filmen. Ein guter »ausländischer« Film ist einer, der ein leicht exotisches, kleines, abgeschlossenes Land zeigt, das so sehr seine eigenen Probleme und seine eigenen historischen Verletzungen hat, dass man dies schon wieder als emotionale Entlastung empfinden kann. Ein guter ausländischer Film ist immer auch so etwas wie ein Besuch in einem Museum.

2. Der Film muss in einer traditionellen Erzählweise durch Stimmung und durch Schauspielkunst überzeugen.

3. Der Plot muss »aufgehen«, was am Ende in der Regel darauf hinausläuft, die Guten von den Bösen, die Täter von den Opfern, das System vom Einzelnen zu trennen.

4. Der Film sollte Hollywood nicht gerade auf den Gebieten seiner eigenen Stärken Konkurrenz machen. Während sich das Zentrum digitalisiert und entlinearisiert, liebt man an der cineastischen Peripherie das Handgemachte und Authentische.

5. Die Aussage eines Filmes sollte in höchstens drei Sätzen wiederzugeben sein, von denen wiederum höchstens einer einen einschränkenden Nebensatz enthalten sollte.

6. Der Film sollte in gewisser Weise einen novelty-Charakter haben. Er zeigt irgendetwas »zum ersten Mal«, er vertritt eine Meinung »zum ersten Mal«. Er ist eher diskursiv als ästhetisch innovativ.

7. Der Film sollte bereits Anerkennung und Erfolg sowohl bei der Kritik wie beim Publikum aus der Heimat mitbringen – die Versöhnung von Kunst und Kommerz sollte auf diese Weise übertragbar sein.

8. Lange Zeit hatten beim Auslandsoscar französische Filme die besten Aussichten, nicht zuletzt wegen ihrer Leichtigkeit, der Poesie der Alltäglichkeit. Danach spielten die »leidenschaftlichen« italienischen Filme, schließlich die »heftigeren« Filme aus den nördlicheren Ländern ihre Rolle im Preisspiel, dann wurden wiederum besonders politische Filme ausgezeichnet. Der Auslandsoscar drückt auch aus, was im US-amerikanischen Kern der Traumfabrik jeweils gerade fehlt. Warum also nicht einmal moralische Eindeutigkeit, lineare Historie, wo doch gerade Hollywood-Filme so ziemlich an allem zu zweifeln beginnen, was in der eigenen Geschichte eindeutig schien?

9. Mit einem Oscar soll künstlerisches Selbstbewusstsein ausgezeichnet werden. Es ist der Traum von einem Film, bei dem jeder genau weiß, was er zu tun hat. Er ist ein großes persönliches Projekt, aber kein radikaler Autorenfilm.

So weit ein paar Wegmarken für den Weg des Melodramas, den Oscar zu gehen pflegt, wenn es um die Auszeichnung eines ausländischen Filmes geht. Das Leben der Anderen ist kompetent und zielstrebig diesen Weg gegangen. Es hat übrigens in der Geschichte nur wenige Regisseure gegeben, die mit ihrem Film einen Auslandsoscar gewonnen und nicht früher oder später auch in Hollywood gearbeitet haben. Da setzte sich dann Oscars Lieblingsgeschichte fort: die von Gewinnern und Verlierern.

Georg Sesseln, Die  Zeit  Nr.09 vom 22.02.2007