Inglourious Basterds1.250Hitler kaputt! Göring kaputt! Goebbels kaputt!

Am Ende von „Inglourious Basterds“ sind die Vertreter des absolut Bösen mehr als tot. Sie sind kaputt. Hitler ist zerschossen, verbrannt und zerstückelt. Und der Film hat ihm nicht einmal einen großen Abgang, keine Abblende, keinen „freeze frame“, keinen letzten Blick in die Kamera, kein Insert und keine wallende Musik gegönnt. Nicht einmal ein richtiges Bild vom Kaputtgehen, wenn man genau sein will.

In der faschistischen Ästhetik stirbt der Held, um zum ewigen Bild zu werden, zu jenem Märtyrer, der immer im Geiste mitmarschiert. Die Todesbilder des Postfaschismus haben diesen Vorgang nur dämonisiert oder mit Bedauern verbunden. So blieb das Bild als fixe Idee. Der „Hitler in uns“, „Mensch Hitler“, die unsterbliche Bestie: das nicht abgeschlossene Bild, das die postfaschistische Gesellschaft fürchtet und von dem sie zugleich besessen ist. Vor allem die deutsche Kultur war und ist auf eine unaufklärbare Weise „Hitler-süchtig“.

Es ist eine Rachephantasie, die sich um die historische Realität nicht kümmert, weil für Tarantino sowieso schon immer das Kino die bessere Wirklichkeit war. Diese Unverschämtheit, die Geschichte einfach zu ignorieren, hat bislang noch kein Film gehabt. Das Kino rächt sich nicht nur an jenen Personen, die, bevor sie selber sterben mussten, der Welt so viel Unheil und Tod brachten. Das Kino rächt sich an der ungerechten Wirklichkeit selber.

Dass dies einer der wenigen Filme ist, die nicht gleichsam die Geschichte des deutschen Faschismus weitererzählen, die nicht auf den Nazi-Todeskitsch hereinfallen, die sich rüpelhaft und mühelos über die Schwere des Mythos hinwegsetzen, liegt nicht zuletzt an seiner Erzählweise.

„Inglourious Basterds“ ist keine Heldenreise und kein Erziehungsroman. Trotz seiner durchaus epischen Länge bietet er im Grunde nichts weiter als fünf Szenen. Diese Szenen „stimmen “ so sehr, dass die Autorität der linearen Story außer Kraft gesetzt ist.

Stellen wir uns für einen Augenblick vor, nicht nur das Kino, sondern auch die Welt könnte so funktionieren: nicht als zwangsläufige Linie der „history“, sondern als Geflecht mehr oder weniger autonomer Szenen. Und es müssten sich nicht die Szenen der Linie unterwerfen, sondern die Linie würde sich den Szenen unterwerfen (und plötzlich ihre scheinbare Klarheit verlieren).

Dann bräche auf jeden Fall die deutsche Erzählung von Faschismus und Krieg zusammen, vom „Führer“, der sein Volk zuerst ins Verbrechen und dann ins Unheil geführt hat, die Erzählung von der Hierarchie des „Führers“, der Täter, der Nutznießer, der Mitläufer; an Hunderten Stellen zugleich würden sich die moralischen und politischen Fragen neu stellen.

„Inglourious Basterds“ wirft eine grundsätzliche Frage nach der Erzählung der Geschichte im Kino auf. Denn seine zitatwütige Meta-Kino-Erzählung trifft diesmal nicht nur die eigene Kinogeschichte, die Traumfabrik, sondern auch eine historische Propagandamaschine, die immer schon „Kino“ sein wollte.

Bei der Uraufführung des gewaltigen, perfiden Durchhaltefilms „Kolberg“ (Regie: Veit Harlan) im Jahr 1945 erklärte Joseph Goebbels: „Meine Herren, in hundert Jahren wird man einen schönen Farbfilm über die schrecklichen Tage zeigen, die wir durchleben. Möchten Sie nicht in diesem Film eine Rolle spielen? Halten Sie jetzt durch, damit die Zuschauer in hundert Jahren nicht johlen und pfeifen, wenn Sie auf der Leinwand erscheinen.“

Quentin Tarantino hat erst einmal aus dem Johlen und Pfeifen einen Film gemacht, und es ist vielleicht der erste, der Goebbels wirklich einen dicken Strich durch die Rechnung macht. Denn die nach-faschistische Kinogeschichte hat sich auch von seinem Schatten nie wirklich lösen können.

Wenn die deutsche Popmaschinerie Kitsch produziert, und das tut sie in besorgniserregender Quantität, dann ist davon immer noch ein Gutteil von der Art, die Goebbels prächtig gefallen hätte. Dass sie im Kino weiterlebten als Monster und faszinierende Unholde, gegenüber von leidenden, schwachen und chancenlosen Opfern, das wäre nach dem „Endsieg“ die zweitliebste Phantasie der Nazis.

Und die „humanistische Moral“ der Filme, die sich bislang gegen den Faschismus (aber eben doch: in seiner Geschichte) bewegten, hätten sie als Maske der „Humanitätsduselei“ verachtet, um sich weiter an der Tadellosigkeit ihrer Uniformknöpfe und der Angst ihrer Opfer zu delektieren.

In der Welterzählung ist der Nationalsozialismus das absolut Böse; weiter geht es nicht – selbst wenn auch andere Regimes sich grausamer Verbrechen schuldig gemacht haben, so haben sie es doch nicht mit einer solch offensichtlichen Freude, Effizienz und Bedingungslosigkeit, mit einer solch innigen Übereinstimmung von Herrschaft, Volk und Ideologie getan.

Daher ist die Verwandtschaft zwischen Filmen über Nazis und Horrorfilmen nicht bloß eine propagandistische Übertreibung. Denn immer muss sich die Frage stellen, ob dieses absolute Böse aus dem relativ kleinen, mitteleuropäischen Land das Böse ist, das in der „Natur des Menschen“, in der Mechanik der Geschichte, in allem lauert. Oder ob es direkt aus der Hölle kommt.

Die mythologische Antwort darauf ist der Dämon. Und dessen Werkzeuge sind „Besessene „. In Tarantinos Film aber ist kein Einziger der Nazis, ganz oben wie ganz unten, besessen. Alle folgen Interessen, alle haben ihren Spaß, alle haben Pläne und treffen Entscheidungen. Und nicht nur der charismatische SS-Offizier Hans Landa demontiert fortwährend den „ideologischen“ Gehalt des Nazitums, in den Szenen von „Inglourious Basterds“ löst sich alles in praktische, sadistische Herrschaftspraxis auf.

Wenn man Tarantinos Film etwas genauer ansieht, weiß man, dass es einen Preis für die Befreiung gibt. Die Guten, die keine Opfer mehr sein wollen, können auch keine vollständig Guten mehr sein. Der Knoten der großen Entscheidungen löst sich auf, das große Subjekt des Krieges verschwindet. Die posthistorische Kriegserzählung handelt nur noch von Zeichen, Macht und Begehren.

Und wie „Django“ und seine Brüder sind auch die Helden des Widerstands nur noch als Menschen zu verstehen, die bereits einmal gestorben sind. Nur der Gedanke an Rache hält sie am Leben, dieser inversen Gerechtigkeit opfern sie, wie die jüdische Kämpferin Shosanna (Mélanie Laurent), auch die Möglichkeit eines Glücks.

Tarantinos Erzählung, gerade in ihrer scheinbar kindlichen Krudität, kommt zu einer Zeit, da in Mitteleuropa eine ganz andere Erzählung die Oberhand zu gewinnen droht, ein schleichender, postumer Sieg der Hitlers und Mussolinis. In ihr wird am Tag des gescheiterten Attentats ein feierliches „Gelöbnis“ der jungen Soldaten vollzogen, dessen Ritual dem der Nazis teuflisch ähnelt; in ihr werden längst Pilgerfahrten zu den Wirkstätten des „Führers“ organisiert.

Jenseits der bekennenden Neonazis, an denen wahrhaft kein Mangel besteht, pflegt diese Kultur dies beides: das „heilige Erschauern“ vor den Zeichen und Riten der Nazis und die „menschliche Nähe“ zu ihren Repräsentanten. In dieser Erzählung wird der Faschismus zur ein wenig außer Kontrolle geratenen, notwendigen Abwehrbewegung gegen den Bolschewismus umgedeutet.

Historische Wirklichkeit ist nichts anderes als ein Pool für Erzählungen, über deren Verbindlichkeit von verschiedener Seite gewacht wird (oder auch nicht). Die Faktenlage ist nur einer von vielen Faktoren, die die allgemeine Erzählung bestimmen. Rod Serling, der Erfinder von „Twilight Zone“ (USA 1959-64), erinnert sich an das Drehbuch zu einer Folge seiner Serie, in der es um die Nazis ging und in der deshalb von den Gaskammern die Rede war. Der entsprechende Drehbuchteil wurde eliminiert, weil zu den Sponsoren der Serie eine Firma gehörte, die Gasheizungen anbot.

Erzählungen setzen sich aus vielen solcher Eingriffe zusammen, und dabei ist der Einfluss einer Gasheizungsfirma auf eine Mystery-Serie gewiss noch eines der minderen Beispiele der Beeinflussung, so wie wir ja auch auf die DVD warten mussten, um die „Star Trek“-Folge „Patterns of Force“ zu sehen, in der von einem Planeten erzählt wird, auf dem ein Historiker Nazi-Deutschland noch einmal errichtet hat.

Jemand erzählt etwas. Einerseits, um mit der Vergangenheit fertig zu werden. Andererseits, weil er Interessen hat. Sadismus, Narzissmus und Neugier sind immer dabei. Aber hinterher erscheint jede Erzählung, als wäre sie von heiligem Ernst und Ganzheit bestimmt. Kaum ist sie entstanden, so wird auch die Erzählung eine Form von Macht. Tarantino gehört zu den Leuten, die dieser Konstruktion des Erzählens widersprechen.

An Alternativen hat es nie gefehlt, nur hat der „Was wäre wenn?“-Gestus immer auf das Gegenteil abgezielt, einen unkaputtbaren „Führer“: Hitler überlebt (kommt nach Amerika und wird Science-Fiction-Autor); Hitler hat gesiegt, und ganz Europa ist ein faschistisches Staatsgebilde, das sich nur langsam zersetzt; Hitler kommt als Zombie aus dem Grab, Hitler lebt „in uns“ und so weiter.

Auch werden wir nicht müde, die „Beinahe“-Konstruktionen der Anschläge zu dramatisieren: Nur wundern kann man sich, wie in „Operation Walküre“ (Regie: Bryan Singer) Hitler dem Attentat entgeht. Der fehlgeschlagene Anschlag macht die Erzählung durch und durch ratlos, die Geschichte macht mit den Nazis gemeinsame Sache, das Böse ist durch das Opfer des Subjekts nicht aufzuhalten (oder eben: Das falsche Subjekt schritt da zur einzelnen Tat. Der schlechte Witz der Geschichte bleibt der gleiche).

Dass Hitler den Zeitpunkt seines Todes nach hinten verpasst, ist jedenfalls stets denkbarer gewesen als ein vorzeitiges Beseitigen seiner Person und seines Regimes. In der populären Phantasie wären für diesen Fall auch immer gleich ein paar Reserve-Hitlers vorhanden gewesen, Doppelgänger oder Dummys wären den Attentaten zum Opfer gefallen, Nachfolger ständen bereit – Tarantino weiß, warum es nicht genügt, Hitler zu töten. Man musste zugleich seine Umgebung, zugleich seine Propaganda vernichten.

Und das Kino selber? Wir dürfen es nicht vergessen: Tarantino opfert, um Hitler und die seinen zu töten, sein Heiligtum. Dieses Kino hat alle Phasen durchlaufen: Es war einst Paradies, wurde zum Zufluchtsort, musste seine Unschuld verlieren, zum Ort der Kollaboration und der kleinen Subversion werden, es wird zur Falle und zum Opferort.

Tarantino opfert sein Heiligtum. Wenn es darum geht, die Menschen vor dem Bösen zu bewahren, muss man sogar bereit sein, das Kino zu verbrennen. In dieser radikalen Geste vielleicht liegt das Erwachsenwerden des Tarantinismus. So paradox dieser Opfervorgang auch sein mag: Der Traumort wird für die Wirklichkeit geopfert, allerdings nur in einem Traum, für den die Wirklichkeit geopfert wird.

Saul Friedländer hat von dem verbreiteten „Unbehagen“ gesprochen, das der „neue Diskurs“ zum Nationalsozialismus seit den siebziger Jahren immer wieder hervorruft, und eben dieses Unbehagen kehrt von Welle zu Welle der ästhetischen Bearbeitungen zurück: Darf man sich einlassen auf die Bildsprache der Nazis? Darf man vom Holocaust in der Form einer Soap-Opera erzählen? Darf es den „guten Deutschen“ geben? Darf man lachen über Hitler? Darf man lachen im KZ?

Und jetzt: Darf man Hitler und den seinen ein paar Trash-Barbaren entgegenstellen und ihn unzeitlich sterben lassen? Immer wieder folgte den Filmen ein Kometenschweif der feuilletonistischen, akademischen, pädagogischen Diskurse. Jeder neue, halbwegs ernste, halbwegs gelungene, halbwegs sichtbare Film löste das aus.

Quentin Tarantino mit „Inglourious Basterds“ verspricht gleichsam, mit diesem Unbehagen fertigzuwerden wie dieser Kerl, der den gordischen Knoten löste. „Pulp fiction“ bezwingt den faschistischen Todeskitsch. Den wabernden Bildern von der gefährlichen Umarmung von Diskurs und Nazi-Bild setzt dieser Regisseur einen Schlag mit dem Baseballschläger entgegen.

Bilder: Universal Studios

Text: Georg Seeßlen

017.448.182-1Auszug aus: Quentin Tarantino gegen die Nazis

Alles über „Inglourious Basterds“

Bertz + Fischer Verlag

176 S., 9,90 €