BÜCHERBRIEF AN BERND

lieber bernd,

scheint schwierig, das mit dem kaffee und uns: entweder du steckst woanders oder ich in arbeit: und dazu vergeß ich regelmäßig, daß du montags immer mit den rotierenden rentieren zugange bist – wahrscheinlich, weil mir vereine, ganz gleich, was für anliegen und absichten ihnen zugrundeliegen, nicht sonderlich einleuchten. und wenn sie mal was besseres bewirken wie eure geplante küche der begegnungen, passiert genau, was passiert ist: und die kindischen kompetenzrangeleien tanzen euch mit der scheißbürokratie auf der nase rum: und das war’s.

dem leuchtturmtext, auch wenn er dir gefällt, fehlen in der zeitung paar entscheidende sätze: daß er, weil er zu lang war, gekürzt werden mußte: klar, aber mußten es unbedingt die zeilen mit der kapitalismuskritik bei john berger und rachel cusk sein und in diesem zusammenhang der satz: „leuchttürme sind schön, und das schöne verschwindet: es hat in einer ära, die mehr denn je auf effektivität und profit setzt, seine daseinsberechtigung verloren“. daß ausgerechnet das verschwinden der schönheit der schere zum opfer gefallen ist, hat aber auch ’ne schöne folgerichtigkeit. und nicht unbedingt was mit folgendem zu tun, aber weil’s mir gerade einfällt: „das glück und das zartgefühl von gespenstern“ steht, in anderer schreibweise, bei mirko bonné, in seinem neuen gedichtband ‚wimpern und asche‘. ich weiß, du hast nicht unbedingt was mit gedichten am laufen: aber mach bei seinen ruhig eine ausnahme: sie enthalten so – und hier ist das wort wieder, siehste: gab doch’n anknüpfungspunkt – so schöne konkrete anschaulichkeiten wie die „beglückende saumseligkeit“ der bienen, oder daß in richards grab in leicester (wo ich bis vor zwei sommern eine freundin hatte; „alas, …“) „seit fünfhundert jahren mitternacht“ herrscht. in seinen gedichten ist das leben unmittelbar. was ich mag, natürlich, ist das blau in seinen zeilen, was ich selten bei ihm mag, sind seine reime: wo er zu ihnen greift, wird’s mir oft zu eng. gestutzte flügel, den elfen grenzen gesetzt. egal: da ist genug feuer und licht, ganz wörtlich übrigens und immer wieder, licht und licht und wolken und sterne, stille und mohn und wie nerven zuckende zweifel, regen fällt und schnee, da sind fenster über fenster, an denen oft einer steht, kräne sind da und krähen, überhaupt: die tiere bei bonné, füchse und wildgänse und skorpione, vierundvierzig unterschiedliche tiere und mehr, von den schwärmen ganz zu schweigen, nichts, weder plastik noch die seele, verschwindet endgültig, und „der rest der nacht rauscht in die bläue davon“. aus begegnungen und landschaften geschaffene tableaus, in denen man sich niederlassen kann, um über das wiederholt beschworene glück zu sinnieren, bevor man weiterschlendert durch die erinnerungen eines gebildeten herrn mit seinen feinen, durchs nadelöhr gefädelten empfindungen. und daß nicht alles verständlich ist (zu verstehen schon: auf eine weise, die mehr mit blut und nerven und knochen zu tun hat, mit tiefen, in die die wurzeln der worte nicht reichen): die rätselhaften stellen, wenn sie wahr sind, befeuern die imagination und geben eine ahnung von der existenz eines daseins fernab der logik und der algorithmenhorden. du kannst in samis buchhandlung ja mal einen vorsichtigen blick auf die rückseite werfen: die vom verlag wissen, was gut ist, und haben’s hinten draufgesetzt.

und das mit dem kaffee: „es wäre noch zeit“, nächste woche, nächsten monat …

grüße schon jetzt

ingrid

© 2018 ingrid mylo

Mirko Bonné: Wimpern und Asche

Gedichte

Schöffling & Co | Seiten | 22 Euro

Cover | © Schoeffling & Co

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