Der Hit auf „Eulenspygel 2“ – das Lied, das wie „Prince Kajuku“ auf „UFO II“ schon bald am meisten knistert – ist „Konsumgewäsche“ mit seinem dreimal vorgetragenen Kehrreim: „Du mußt kaufen, kaufen, kaufen. / Kotzt dich das nicht ahahan?“

Diese Art des Effektgesangs beherrscht, nicht ganz so vollendet wie Nottrodt/Maulbetsch, auch Peter Josefus (ab `79 Joséfus), Frontmann von Franz K. In „Au Weia, Mensch Meier“ singt er: „Doch irgendwie macht Perfektion / mich innerlich ganz schla-happ. / Und nun dieser weiße Killerhai, / Meier, Mann, da schnall ich a-hab!“

Ahab? Hieß so nicht der Käpt`n in Moby Dick? Wer bei Franz K.-Texten nach versteckten Anspielungen sucht, dürfte es schwer haben. Die Politrockpioniere aus Witten, die auf ihren Tourneen – ihren Namenspatron zu ehren – mit einem Leichenwagen zwischen den Jugendzentren herumfuhrwerken, lieben es schlicht: „Au Weia, Mensch Meier, / du und der weiße Hai. / Au Weia, Mensch Meier, / schöne Schweinerei“ lautet der Kehrreim, an dem sich die „Deutobaldmuffelinskys“, wie Eckhard Henscheid die Heerscharen tollgewordener Franz K.-Exegeten nennt, die Zähne ausbeißen können. Wie am Refrain ihres größten Hits: „B – O – C –  K / Bock / R – O – C – K / Rock / Bock auf Rock / Wir haben Bock auf Rock,  / denn dieser Rock bringt Bock …“

Ähnliches – jedenfalls im semantischen Sinne – stieg dreißig Jahre später im Norden des Landes aus dem Sarg. „Die Sonne scheint in Schwarz-Rot-Gold, / der Kaiser hat es so gewollt. / Champagner perlt wie Mädchenblut. / Die Welt ist Pop, die Welt ist gut“, begeisterte sich Heinz Rudolf Kunze („Ich hatte Sex mit Hitler“) im Sommer 2007 beim „Grand-Prix-Vorentscheid“. Ich war perplex: War Kunze nicht – irgendwann im Jahr 2000 – auf der Expo in Hannover öffentlich verbrannt worden? Auf einer Veranstaltung des „ZDF-Fernsehgartens“? Verdammt, wo hatte ich das nur gelesen? Ja, richtig, im Filmmagazin „Splatting Image“, kurz nach der Jahrtausendwende, als Randnotiz in einem Interview mit der Schauspielerin Maren Beautte („Gang Bang Slut 3“). Doch offenbar war ich auf eine Zeitungsente hereingefallen oder ich hatte die Meldung falsch verstanden, denn dort im Fernsehapparat sang Kunze ja gutgelaunt: „Der deutsche Wald lädt Bären ein. / Sie sollen uns willkommen sein. / Humor ist wenn man`s selber tut. / Die Welt ist Pop, die Welt ist gut.“

Immer schön artig sein, sonst holt dich die Dogge von Heinz Rudolf Kunze“: Das war Mitte der Neunziger, nachdem des Sängers Riesenhund „das Kind der Reinemachefrau totgebissen“  hatte („Berliner Morgenpost“), eine beliebte Drohung, um verzogene Blagen zur Räson zu bringen.

Denn – das gilt nicht nur für Doggen – „Gewalt ist Schitt.“ Unter dieses pfiffige Motto stellte das Bundeskriminalamt 1978 eine großangelegte Kampagne, deren Maskottchen eine mit ebendiesem Slogan verzierte Rasierklinge war. Die konnte man sich, wenn man mochte, zusammen mit einem modischen Halskettchen „für umsonst“ im Jugendzentrum um die Ecke abholen. Als musikalische Schirmherren gaben sich der Protestsänger Georg Danzer („Wir werden alle überwacht“) – ein Mann, dessen Dasein sich laut Wikipedia demselben  Glaskolben wie Wolfgang Ambros, Ludwig Hirsch und Peter Cornelius verdankt – und die Politrocker von Franz K. die Ehre.

Und so erschienen im Musikmagazin „Sounds“, das 1983 im Alter von elf Jahren verstarb, um ein Vierteljahrhundert später im Hause Springer wiedergeboren zu werden, acht – in Ziffern: 8 – viertelseitige Anzeigen (Heft 10/78), in denen für „Mach dich nicht Gewalt kaputt“, „die neueste Single von Georg Danzer“, geworben wurde: „Du solltest sie Dir mal in aller Ruhe anhören, bevor Du zuschlägst“, heißt es dort, an die Schlägertypen unter den „Sounds“-Lesern gerichtet, und noch im Folgemonat schob man eine protzige Doppelseite nach. (Das November-Heft hatte es in sich, denn zwölf Seiten vorher fand sich ein Inserat der Bundesanstalt für Arbeit, das scheinbar ungelenk mit „Liebe Leserin oder lieber Leser, ich weiß nicht recht, wie ich Dich wohl anreden soll“ beginnt und mit „Dein Josef Stingl“ endet.)

Natürlich gab`s auch was zu gewinnen. Wer an der Lotterie des BKA teilnahm, konnte – in Anlehnung an die gerade abflauende Louis-de-Funès-Welle – einen Flug mit einem Polizeihubschrauber oder eine Fahrt mit dem Polizeiboot abstauben, außerdem lockten „3.000 Georg-Danzer-Platten“ („Konkret“ empfahl seinerzeit, anstelle der Danzer-Single besser „Konstantin Weckers `Willy`“ auf den Plattenteller zu legen). Der Kandidat mußte sich nur seine spezielle Gewalterfahrung von der Seele schreiben und ans BKA schicken.

Wie so was aussehen konnte, führte die Annonce in sechs Beispielen vor: „Ich hab` Reifen gestochen. Einfach so. Jetzt, wo ich ’n eigenes Gerät hab`, weiß ich, wie beschissen es ist, ewig `n Platten zu haben.“ Anderes Beispiel: „Nach 10 Bier hat es Günter mit 80 Sachen erwischt. Als wir die Alte erschrecken wollten. Hat glatt den Laster übersehen, der Idiot. Seitdem ist `Oma-Schreck` bei mir nicht mehr drin.“ Und, damit`s auch der schmusigste  Rocker kapiert: „Als Sylvie abhaute, hab` ich erst mal `ne Schaufensterscheibe eingeschmissen. Das brachte Sylvie nicht zurück. Aber `ne Menge Ärger. Jetzt geh` ich mit Babsi. Also, wo ist das Problem?“

Verschmuster Rabauke (Federzeichnung nach Manet von Wenzel Storch, 1983)

Verschmuster Rabauke (Federzeichnung nach Manet von Wenzel Storch, 1983)

Der Soundtrack für all die „Sounds“-Leser, die herausgefunden hatten, daß das dauernde Sackermentieren zwar Bock, resp. Böcke, aber auch `ne Menge Ärger bringt, steht ein Jahr später frischgepreßt in den Plattenläden: Franz K.s „Gewalt ist Schitt“ bockt mit Titeln wie „Renn, Bruder, renn“, „Vergiß es“ oder „Seht Ihr den Clown“, dessen Text – zum Mitschunkeln für Altrowdys – aufs Cover gedruckt ist: „Verlassen steht das Zirkuszelt / in der Abendsonne da. / Langsam geh ich nach Haus, / wie es damals war. / Schweigend die große Stadt, / voller Melancholie. / Wer den Clown nicht ernst nimmt, / begreift das Leben nie.“

Von den Zirkusfreunden aus Witten zurück zu den Progrock-Pierrots aus dem Schwabenlande. War das Debüt „Eulenspygel 2“ noch in einem Studio in Maschen (gleich bei der Autobahn) aufgenommen worden, schipperte man für das Nachfolgealbum „Ausschuß“ über den verregneten Kanal bis nach London. Das berühmteste Tonstudio der Welt sollte es sein.

Die Plattenbosse hatten – wie immer, wenn`s um Politrock ging – die Spendierhosen an. Sie wußten ja, daß die meisten Bands nicht mal ein „Mischpültlein“ besaßen, wie Jonas Porst auf dem Cover des Ihre-Kinder-Erstlings „Ihre Kinder“ die Zauberapparatur mit den vielen Knöpfen neckisch nennt. (Das Mischpültlein der Nürnberger Band verdankt sich der Brieftasche ihres Managers: Jonas Porst ist ein Sproß des Fotomillionärs und späteren Rinderbarons Hannsheinz Porst, dem in den alten Tagen das rare Kunststück gelang, gleichzeitig Mitglied der FDP und der SED zu sein.)

Hier, in den nebelverhangenen Apple Studios, spielten übrigens auch die „deutschen Beatles“ – wir müssen den Uhrzeiger rasch fünfzehn Jahre vordrehen – ihren Erfolgshit „So lang` man Träume noch leben kann“ ein: „Wahnsinn, immer wenn ich das Lied höre, krieg ich `nen Knödel in den Hals“, heißt es beklommen in einem Youtube-Kommentar, „das schaffen nicht viele!“ Was daran liegen mag, daß der Sänger der Band vormals und ehedem – wie so manches, man denke an T. Piper, die deutsche Stimme von Alf – aus der Asche von Amon Düül II gestiegen war.

Doch was gehen uns Gordon Shumway und die Münchner Freiheit mit ihrem Sänger Stefan Zauner an? Fünf Tage hatte Eulenspygel Zeit, um Worte wie „KZ-Tradition“ fürbittenmäßig in die exquisiten Mikrophone des Apple Studios zu jammern. Glücklicherweise waren keine anspruchsvollen und schwer zu singenden Metaphern zu bewältigen, wie sie mir noch das Hörvergnügen auf „Eulenspygel 2“ streckenweise vergällt hatten. Hätte ich meine Eltern fragen sollen, was  „Frühstücksei-Papier“ bedeutet?

„Ausschuß“ ist ein halbes Konzeptalbum. Die erste Seite gehört der Fürsorgeoperette „Abfall“, die mit den Worten „Im Namen des Volkes, halt die Schnauze!“ beginnt. Mit dreizehn war ich von dieser Begrüßung schwer beeindruckt, und heute, beim Wiederhören nach drei geschlagenen Jahrzehnten, muß ich verdattert feststellen: Der Schlußteil im Nonnenkloster ist durchaus komisch. Das liegt am feierlichen Klageton der Jungmännerstimme, der Passagen wie „Im Nonnenkloster mußte ich büßen für alle Sünden meiner Mutter“ oder „Als ich ein wenig Liebe fand, im Bett mit Dieter, wurde ich öffentlich blutig geschlagen“ in ein ulkiges Licht taucht. Und das Rockoratorium zur opera buffa macht.

In „Pop“ oder „Popfoto“ hatte ich bereits anno `72 von einer „Rockoperette“ gelesen, die angeblich „Scheiße“ hieß. Der Sänger, so schwärmte das Blatt, würde bei Liveauftritten auf einem Klo sitzen. Ich war schwer geplättet: Wow. „Wie geil ist das denn?“ würde ich heute, als Elfjähriger, wahrscheinlich ausrufen. Die Band hieß Checkpoint Charlie, und sie hatte einen Tastenmann, der Joachim Krebssalat hieß. Weiß man das, weiß man, wie die Musik klingt.

„Der Kiesinger frißt und rülpst und scheißt. / Es hängt der Christ der Christenheit / überm Fernseher hoch im Zimmereck. / Franz Josef Strauß ist fett und frißt viel Speck“, singen, nein schreien, nein kreischen die Checkpoints auf ihrer ersten LP „Grüß Gott mit hellem Klang“ von 1970. Und man sieht: Als Gott den Politrock schuf, hatte er keinen guten Tag erwischt.

„Wer hat dem Papst die Tiara geklaut? / Biafra schreit vor Hunger laut“ brüllt, nein zetert das Politkabarett aus voller Lunge – bzw. es plärrt: „Laß sie verrecken, die mordenden Mutterficker auf den Scheißhäusern der Zeit.“

Wer sich bei Wörtern wie Kotflügel, Spritztour und Stoßstange oder bei Namen wie Rainer Maria Riemen vor Prusten nicht halten kann, ist bei Checkpoint Charlie richtig. Auch, wer sich gern ein Nickerchen (hihi) am Nensterchen gönnt und es liebt, sich ein i für ein u vormachen zu lassen: „Achting, Achting, hier spricht der Polizeifick“ quäkt es an die gefühlte achtzigmal aus den Rillen.

Man könnte meinen, die fünf ungezogenen jungen Menschen seien unbeaufsichtigt im „Steiff-Kinderland“ aufgewachsen, so sehr erinnern die Texte an die geschmacklosen Zustände im  Reklameheft „Für Dich“ der Margarete Steiff GmbH aus dem Jahre 1987.

Nachdem sie das Glück hatten, einen – übrigens von einem Wellensittich bewachten –   Piratenschatz zu heben, ein paar große Fische zu angeln, eine kreisrunde Geburtstagstorte zu backen und mit befreundeten Fröschen und Mäusen im Fesselballon über das Märchenland zu fahren, braten sich zwei erschöpfte Teddybären zum Abschluß eines gelungen Tages ein paar herrlich duftende Kackwürste: „Und es dauerte gar nicht lange“, so klingen die „Geschichten aus dem Steiff-Kinderland“ aus, „da saßen sie schon um ein lustig flackerndes Lagerfeuer herum und ließen sich die leckeren Würstchen schmecken, die sie an langen, spitzen Stöcken über das Feuer hielten.“


Wer da mitgrillen könnte! Doch was soll`s? Wer das Pech hatte, nicht im Märchenland zu wohnen, der mußte auf Lagerfeuerromantik keineswegs verzichten. Er brauchte ja nur den Daumen auszustrecken, und schon schaukelte er hinaus aufs Land. Hinaus aufs Freiluftfestival.

„Autostop machen“ hieß das damals. Und was man dort draußen alles zu Gesicht bekam: In den späten Siebzigern durfte ich in einem Erdloch bei Vlotho – oder war`s Porta? Die Erinnerung ist leicht durchlöchert – dem Liedermacher Julius Schittenhelm dabei zuschauen, wie er sein teilweise im Adamskostüm angetretenes Publikum mit Weisen wie „Er dreht sich hinein ins Hirn“ unterhielt.

Der schon ältere Herr hieß nicht nur so, er sah auch so aus, als sei er direkt aus einem wurmstichigen Wilhelm-Raabe-Buch gesprungen. Bei Raabe heißen die Leutchen zwar nicht Schittenhelm, aber immerhin Wunnigel oder Freifrau von Poppen, Ernesta Piepenschnieder oder Onkel Püterich. Auch Raabes Mohren, deren es einige gibt, sind im Unterschied zu den Buschmännern im Großen Wilhelm Busch Album keineswegs namenlos (sieht man von Buschs oftgebleutem, schwarzverpichten Molo ab), sondern heißen Wichselmeyer oder – im Abu Telfan, einem der schönsten und verdrehtesten Romane des 19. Jahrhunderts – Madam Kulla Gulla. Und nicht wenige der Raabeschen Helden sind, wie jener Schittenhelm, wirrhaarig und struppelig.

Der unfrisierte Barde, dem die Welt Klosprüche wie „Waffenkram ist Affenkram“ verdankt, gebietet über eine Gesangstechnik, die der Eulenspygelschen womöglich verwandt, in ihrer Wirkung aber ungleich drolliger ist: Schittenhelm hat eine Vorliebe, die Vokale ungebührlich lang zu ziehen. Vor allem am Versende: „Mich ängstigt nicht der Jude, nicht der Kommuniist. / Sie beide war`n dereinst verfolgt, der letztre iist. / Das eine ging mir immer über den Verstaaand, / so wie ich jetzt das andre unverständlich faaand.“ Nicht nur die Zeitformen purzeln bei Schittenhelm durcheinander, auch die Reime sind wie durch den Wolf gedreht. Es gibt Lieder, in denen er die Kontrolle verliert und sich gar nicht mehr einkriegt. „Ich wünsch dir Glüüüüüüüüüüüüüüüüüüück“ singt er in „Mondviecher“, und beim Wiederhören ist mir vor Lachen fast schlecht geworden.

Doch Obacht. Finger weg von Schittenhelms 79er-LP „Müllmutanten“, einer Platte, die – was Gitarrenbehandlung und Gesangsstil angeht – frappant an Charles Manson und Wolf Biermann erinnert. Wer über drei Abspielgeräte verfügt, kann ja mal Biermanns „Liebeslieder“, Mansons „Lie“ und Schittenhelms „Müllmutanten“ gleichzeitig ablaufen lassen: Es klingt wie aus einem Guß.

Charles Manson (Kugelschreiberzeichnung von Wenzel Storch, ca. 1990)

Charles Manson (Kugelschreiberzeichnung von Wenzel Storch, ca. 1990)

Wer Schittenhelms Webseite aufsucht, bekommt einen Sack voll Schüttelreime über den Kopf geschüttelt, und einige sind sogar recht lustig („Ein Hoch gebührt dem Suppengrüne, total bewährt bei Gruppensühne.“). Optisch erinnert Schittenhelm seit der Jahrtausendwende – glaubt man dem Cover seiner CD „Quarks bis Ethik“, ein Werk, das Quantenschaum und „Superstring-Nudelmantsche“ besingt – an Commander Straker aus der Fernsehserie „U.F.O.“ (ZDF, 1971 f.).

Doch zurück in die Wirklichkeit. Wo waren wir? Ach ja, bei Eulenspygel. Nun, das Ende des Musikschalks ist schnell erzählt. Als sich die gesellschaftlichen Verhältnisse nach zwei LPs nicht ändern wollten, fing man an, sich zu kabbeln. Eulenspygel taufte sich in Tyll Eulenspygel und, als das nichts half, in Tyll um (lt. „Pop“ 1/75). Die Lieder hießen jetzt nicht mehr „Untertanenfabrik“, sondern „Nervenzusammenbruch einer Gitarre“. Als wär`s ein Stück von Gebärväterli. (Vielleicht hätte man sich von Anfang an auf den „Narrentanz“ beschränken sollen, so wie Emma Myldenberger, die Minnerocker um den Krummhornisten, Glockenspieler und Okarinisten Biber Gullatz aus dem Odenwald.)

Für Historiker: „Eulenspygel 2“ dürfte etwa zeitgleich mit „Warum geht es mir so dreckig?“ aus dem Ei geschlüpft sein (letztere, die weltbekannte erste Scherben-„Scheibe“, nicht bei  Spiegelei, sondern auf einem volkseigenen Label mit dem brutal-abstoßenden Namen David Volksmund Produktion) und wäre damit eine der allerersten deutschen Politrockplatten überhaupt. Älter sind wohl bloß „Grüß Gott mit hellem Klang“ von Checkpoint Charlie und „Fließbandbabys Beat-Show“ von Floh de Cologne, eine Band, die sich dem Backe-Backe-Kuchen-Rock verschrieb.

1972 folgten, neben den Debüts von Komkol und Kattong, „Sensemann“ von Franz K. und „Kollege Klatt“ von Lokomotive Kreuzberg.  Klatt war ein Schweinerockkollege, der sich später mit Nina Hagen in den Hitparaden tummelte. Kaum war Lok Kreuzberg zur Nina Hagen Band gereift, da marschierten auch schon die Bots („Was wollen wir trinken?“) zur Tür herein: fünf Holländer am Halsband von Dr. Diether Dehm, einem musizierenden Sonderpädagogen und Schlagertexter („Erinnerst du dich, wir haben Indianer gespielt?“), der oft und gern mit dem Angstforscher und Nacktkulturler Dr. Dieter Duhm verwechselt wird.

O weh. Fast hätte ich Die Schmetterlinge vergessen. Die Wiener Schmetterlinge („Denn wir sind die Schmetterband, / die keine Vorsicht kennt, / alles beim Namen nennt, / was auf der Zunge brennt“) hatten sich wie die Bots auf guten alten Klapsmühlenrock spezialisiert. Ihr Liebstes war, in Garnisonsstärke den Kalvarienberg hinaufzustürmen. Kaum auf Golgatha eingetroffen, führte man Gesänge, Tänze und Sketche auf, in der Art von Dschinghis Khan, einer Trachtengruppe um den unseligen Leslie Mandokie. Das Dreieralbum „Proletenpassion“ ging anno `77 weg wie warme Semmeln.

Während Klaus der Geiger und Bands wie Teller Bunte Knete die Systemfrage stellten, ging`s  anderswo zu wie bei Hardenbergs unterm Sofa: „Du siehst Träume, verschlossen in gläsernen Tränen, und du spielst mit dem Schatten deines Schreis“, singen die Staubmäuse, beziehungsweise spricht`s am Ende von „Waren wir“, dem Willkommensgruß auf „Hölderlins Traum“, jener berühmten Plattenseite, die mit „Requiem für einen Wicht“ ausklingt. Und der humanistisch Gebildete denkt wehmütig an die „Barke mit der gläsernen Fracht“.

Textlich hielt man sich an die Fritzen, nach denen man sich benannt hatte. Was soll der Geiz, wenn man Hölderlin oder Novalis heißt? Die poetischen „Leckerkramverfertiger“ (H. Heine) galten vielen als die Freaks des 18. und 19. Jahrhunderts. War nicht Novalis an Schwindsucht und Hölderlin, wie Rapunzel, in einem Turmverlies dahingewelkt? Kein Wunder, daß Hölderlin ihr zweites Album „For Fritz“ nennen wollten, was die ignorante Plattenfirma zu verhindern wußte.

Schmetterlinge können nicht weinen: Bastelarbeit von Wenzel Storch, 80er Jahre

Schmetterlinge können nicht weinen: Bastelarbeit von Wenzel Storch, 80er Jahre

So ist, wie Novalis-Fanclubs lange glaubten, der Vers „Wer Schmetterlinge lachen hört, / der weiß, wie Wolken schmecken“, auch nicht dem Friedrich Freiherrn von Hardenberg aus der Feder getropft, sondern dem nachmaligen Nena-Gitarristen Carlo Karges, dem Dichter der  „99 Luftballons“.

Während diesseits der Elbe die Schmetterlinge lachten, flossen jenseits der Mauer – des, wie die Klassiker sangen, Erdenwunders mit den „schmucken Türmen, festen Toren“ – dicke Krokodilstränen. Die Männer der Klaus Renft Combo, die sich Haarkleid und Bühnenkluft bei der Wilden 13 – im „Land, das nicht sein darf“ – abgeschaut hatten, bezwangen das „Krokodil auf der Regenwiese“ und ließen sich für doppelbödige Zeilen wie „Das Mädchen war kalt wie meine Füße“ oder „In ihrem Himmelbett spielte ich ein Menuett“ frenetisch feiern. Die Zonensonne brannte, als „Morgen ist ein neuer Tag, / ich pfeif auf die Hühnergötter“ per Ostwind in den Westen reiste: Dahinter steckten die Laubenpieper von Stern-Combo Meissen. „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ hieß, als ich dreizehn war, in westdeutschen Fernsehstuben die tausendmal bessere Parole. Hark Bohm sei Preis und Dank dafür.

Mitte der Siebziger ging die böse Saat, die Peter Gabriel – eine Art André Heller des Progrock – in seinen Brutkästen herangezüchtet hatte, explosionsartig auf: Auf Westdeutschlands Bühnen gerierte man sich, kaum, daß die Nebelschwaden sich verzogen hatten, wie im Tollhaus. Hölderlin-Bratschist Nops Noppeney – oder war`s Bassist Kassim Käseberg? – umkreiste seine Bandkollegen in der Gestalt eines Riesenvogels, und die Kautabakrocker von Grobschnitt, die sich mit lustigen Namen wie Mist, Popo, Wildschwein oder Toni Moff Mollo behängt hatten, rissen den Musikfreund mitten hinein in „Rockpommels Land“. Ein Gutes hatte die Sache: Sänger Wildschwein grunzte freundlicherweise auf englisch.

Wäre es nicht besser gewesen, gar nicht erst mit dem deutschen Quatsch anzufangen und beim guten alten Englisch zu bleiben? So wie die Melodicrocker von Harlis? “My girl doesn`t like it, she`s crying all day / But I don`t care at all, I got to get on my BMW”, jubelt Charly Maucher (was für`n  toller Name!), der 1970 im Verein mit Peter Panka das Hardrockungeheuer Jane aus der Taufe hob, frohgelaunt im Harlis-Klassiker “BMW”: “So many towns and all the chicks were okay / But I never stay long, I got to get on my BMW”. Lustig ist das Bikerleben, und schon hopst die nächste Fleischereifachverkäuferin auf den Bock: “Come on baby, jump on the machine / Get those good vibrations, if you know what I mean …”

Auszug aus dem Buch „Der Bulldozer Gottes“ erschienen im Ventil Verlag www.ventil-verlag.de

DVD www.cinemasurreal.com/film4.html

Autor: Wenzel Storch

Text veröffentlicht in konkret 10 und 11/2008