Der Tänzer auf dem Seil

Ein Mann auf dem Seil, wägend Schritt um Schritt. Dann, alle Vorsicht fahren lassend, beginnt er zu tanzen mit grimmer Verzweiflung. Schlägt Salti und dreht Pirouetten, als stünde er auf festem Grund. Und dann, wenn er zu stürzen scheint, richtet der Artist sich auf mit einem traurigen Lächeln und ist ein unlösbares Ganzes mit dem schwingenden Seil.

So ging es, wenn dieser Artist Heine tänzelte oder Goethe träumte. Und während wir unten saßen und die virtuose Kraft des Gauklers bestaunten, erkannten wir miteins, es sei der Antrieb des fröhlichen Spieles ein sehr ernsthafter. Der Lanzelot, der Drachentöter. Einer der wunderbarsten Helden im Dörfchen DDR, ein europäischer Erfolg. Ein Beginnen, 1965 am Deutschen Theater, von ganz weit oben her, ein Versprechen.

Eberhard Esche war womöglich die tragische Gestalt des deutschen Theaters. Denn der glänzende Virtuose, gekräftigt im wunderbaren Ensemble des Deutschen Theaters, war ein Verweigerer, seit Jahrzehnten. Er, nicht von ungefähr dem Dichter Peter Hacks freundschaftlich anhängend und, wie dieser, eine Art von elfenbeinturmigen Klassizismus bis zur Absurdität kultivierend fand, tief in der DDR, die zeitgeistige Bühne sei nicht mehr sein Ort. Da war er, auch hier wie Peter Hacks, von einer konsequenten Intoleranz. Einmal, noch in der DDR, habe ich ihn gefragt, ob er sich nicht, im Interesse des Theaters wie des eigenen, ein ganz kleines bisschen ändern könne, ein bisschen nur. „Ach wissen Sie“, sagte er mit diesem leicht traurigen Lächeln, „ich warte lieber, bis das Theater sich ändert“. Dabei, er war ein hoch gebildeter Mann, er wird gewusst haben, dass das nicht geschieht. So tingelte er als ein Solitär des deutschen Kulturraumes. Doch seine ungespielten Rollen sind einige der ungeborenen Kinder des deutschen Theaters, und einige seiner schönsten womöglich. Immerhin, so sehen wir diesen Schauspieler unbetroffen von dem deutschen Verdikt „Ein Talent, doch kein Charakter“. Indessen, ein schwieriger.

Diese charmante Ironie war eine Haltung der Verweigerung, des solitären, auch elitären Lebens. Esche war unfähig zum Kompromiss und er kultivierte seine klassizistische Lebensart bis zur Attitüde – die doch in ihrem Kern todernst gemeint war. Dieser Virtuose des solitären Auftritts, und darin einer der Großen deutscher Sprache, der wohl zwanzig Arten kannte, im „Wintermärchen“ das Wort „Caput“ zu sprechen, dieser Großmeister des Kokettierens drängte in die Einsamkeit, in die Isolation. Auch das war ein Stückchen Koketterie, aber tiefernst war es auch.

Text: Henryk Goldberg

Eberhard Esche starb am 15. Mai 2006