TIPO PASS

Edson Chagas, TIPO PASS, Filipe D. Kuangana, 2012
Courtesy of the artist and A Palazzo Gallery,
Brescia © Edson Chagas

 Was ist Afrika?

Dantes „Göttliche Komödie“ als universaler Code

Clean und cool kommt diese Ausstellung daher, dabei sind die absoluten Extreme Thema: Paradies, Hölle und Fegefeuer. Die Emotionen sind gebändigt, die Bilder technisch perfekt – mal rätselhaft, mal ironisch. Was die fünfzig afrikanischen Gegenwartskünstler im Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt zeigen, unterläuft die Afrika-Klischees, deren sich Europäer kaum erwehren können. Was aber nicht heißt, dass die beteiligten Künstler ihre Wurzeln verleugnen würden, selbst wenn New York oder Stockholm auf ihrem Absender steht. Ihr Blick ist ein anderer, und doch gibt es Gemeinsamkeiten.

„Die Mehrzahl der Künstler hat sich für die Hölle interessiert“, lacht der in Paris lebende Kurator Simon Njami, „was auch immer das heißt.“ Nur wenige Werke attackieren den Betrachter unmittelbar wie das Boot „Convoi royale“, eine mit achtzig, aus gebranntem Pappelholz geschnitzten Köpfen gefüllte Holzwanne, die Jems Robert Koko Bi in den Raum gestellt hat. Der von der Elfenbeinküste stammende Künstler studierte in Abidjan und Düsseldorf. Die Überfahrt nach Europa als Hölle. Doch gibt es auch weniger offensichtliche Grenzsituationen. Frances Goodman aus Südafrika hat Frauen nach deren Fegefeuer, Hölle befragt. In ihrer Soundcollage „The Dream“ kristallisiert sich Illusion und Wirklichkeit der Ehe als zentrales Thema heraus.

Wer eine Fortsetzung der gefeierten Schau „Afrika Remix“ erwartet, die Njami 2004 kuratiert hat, wird enttäuscht sein. Damals stellte der Mitbegründer der sich für afrikanische Kunst engagierenden Zeitschrift „Revue Noire“ (1991 -2001) achtzig Künstler aus dreißig Ländern vor. Das ist zehn Jahre her. „Dann kam der Moment, da hatte ich die postkoloniale Debatte satt“, bekennt Njami der Tageszeitung (taz?). Er habe eine Ausstellung machen wollen und paradoxerweise sei ihm die „Göttliche Komödie“ von Dante Alighieri eingefallen. Die hat der 1962 in Lausanne geborene Sohn aus Kamerun stammender Eltern bereits im Alter von zehn Jahren gelesen. Bei der erneuten Lektüre wurde ihm die universale Bedeutung des Werks bewusst, die auch als Modell für eine Ausstellung taugen könnte. So bewegt sich der Besucher in einem fein abgestimmten intertextuellem Labyrinth voller Anspielungen und Referenzen auf den literarischen Klassiker, aber auch auf das heutige Afrika im Gewand künstlerischer Transformation.

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Yinka Shonibare, How To Blow Up Two Heads At Once (Gentlemen), 2006
Installation view MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main,
photo: Axel Schneider © MMK Frankfurt

Ein Schwerpunkt der Schau liegt im Bereich der Fotografie. Andrew Tshabangu hielt Szenen traditioneller, ritueller Reinigung fest, Guy Tillim bedient und feiert zugleich mit seinen perfekten Aufnahmen das Klischee paradiesischer Landschaften, Sami Baloji lässt die an einer steilen Felswand liegenden Eingänge zu einem Bergwerk im Kongo zum Höllentrichter werden. Oftmals profitiert die Ausstellung von dem Dialog, den Njami mit den Künstlern geführt hat; sie schufen nicht nur Werke für den verwinkelten Hollein-Bau, sondern ließen sich vom Thema inspirieren.

Allerdings stellt sich die Frage, ob nicht jede gute künstlerische Arbeit aus schmerzhaften wie erhebenden Elementen besteht, aus Spuren eines schwierigen Prozesses – von manchen auch Fegefeuer genannt? So gehören die besten Werke der Ausstellung keiner der vorgeschlagenen Jenseits-Welten an – sind weder paradiesisch, noch ein Abbild der Hölle. Sie beherbergen alle Aspekte des Lebens wie etwa die Video-Installation von Loulou Cherinet. Ihre gebeamten Videos begleiten den Besucher durch die Straßen von Addis Abeba. Wir laufen durch sich modern gebende Straßenzüge, halb fertiggebaute Neubau-Viertel und Hütten-Vorstädte. Wir sehen einen Löwen apathisch hinter rostigem Stahlgitter lümmeln und Affen, die in der äthiopischen Hauptstadt für die Zoobesucher genauso eine Attraktion darstellen wie in Hamburg oder Berlin. „Big Data“ besteht aus dokumentarischem Material, das die Künstlerin seit 1994 sammelt, ergänzt durch Sequenzen, die sie mit Schauspielern inszeniert. Über einen Youtube-Kanal werden der Video-Installation permanent neue Bilder zugeführt. Alles ist ständig im Wandel, Afrika, die Welt und wir selbst.

Jeder Besucher wird die Ausstellung anders lesen, das weiß auch Njami, der eigentlich Dichter und Essayist ist. „Ich bin ein Schriftsteller, der kuratiert“, stellt er unumwunden klar. „Für mich ist eine Ausstellung nichts anderes als eine Geschichte, die körperlich wahrnehmbar wird.“ Njami würde seinem Ruf als brillanter Querdenker nicht gerecht, wenn er solche geistigen Höhenflüge nicht ironisch brechen würde. So integrierte er auch Künstler wie Yinka Shonibare in die Schau, der mit seiner Skulptur „How to blow two Heads at once“ eine Duell-Situation aus dem europäischen 18.Jahrhundert parodiert. Der in Niger aufgewachsene Brite kleidet seine Figuren im Stil jener Zeit, jedoch in afrikanischen Stoffen – denkt man jedenfalls. Tatsächlich stammen die Muster aus Indonesien, produziert wurden sie seit dem 19. Jahrhundert in Dänemark, auf den Markt aber kamen sie in Afrika.

Was ist Afrika? Was ist ein Künstler? Was ist eine Ausstellung? Njami peilt die ganz großen Fragen an. Er inszeniert sich hinter seiner schwarzen Sonnenbrille als zeitgenössischer Vergil, der uns mit aufmunternden Worten an der Höllenpforte erwartet: „Gott hatte keinen Sinn für Humor, ich bringe etwas Humor in sein Leben.“ Den schweren Katalog zur Ausstellung bezeichnet er als „sein Buch“, es ist ein wichtiger Bestandteil der Ausstellung. Darin kommen nicht nur Wissenschaftler zu Wort, sondern auch die Künstler. Unter einem Stichwort haben sie ihre Assoziationen zur „Göttlichen Komödie“ niedergelegt; alphabetisch geordnet ergeben die Beiträge eine kleine Enzyklopädie künstlerischen Denkens.

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Youssef Nabil, You Never Left # I, 2010
Courtesy of Nathalie Obadia Gallery, Paris/Brussels

Ohne Zweifel ist der rote Faden dieser Ausstellung das Wort. Manche Werke sprechen aber auch für sich. Etwa die getrockneten Kuhhäute von Nandipha Mntambo aus Swasiland. Sie wirken wie vom Wind gefältelte, fliegende Teppiche und scheinen beseelt, obwohl der Körper der Tiere aufgehört hat zu existieren. Sie sind Überreste vergangenen Lebens, aber auch Zeugen des ewigen Existenzkampfes der Menschheit.

Carmela Thiele, taz 02-04-2014

 

AUSSTELLUNG
bis 27.7. im MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main

INFORMATIONEN
mmk-frankfurt.de

kerber 300

 

 

Der im Kerber-Verlag erschienene Katalog
kostet im Museumsshop 48 Euro,
im Buchhandel 65 Euro.

 

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