Cineastische Bedeutungshuberei

An einem englischen Strand, bei einem Ort namens Farhaven, lebt der vierzehnjährige Honda (Luka Petrusic), der stumm ist, weil er erlebt hat, wie seine Mutter in der weit entfernten osteuropäischen Heimat Selbstmord beging. Seine Schwester Smokey (Labina Mitevska), mit der er zusammenlebt, tritt als Sängerin im nahen Club auf, mit jenem Hauchgesang à la Julee Cruise, der vor etlichen Jahren mal sehr im Schwange war.

Honda belauscht seine Umwelt mit Richtmikrophonen und sammelt seine akustische Beute auf Tonband. Zum Beispiel die Geräusche, die seine Schwester und ihre Liebhaber machen. Und Honda ist, seit einem Zusammenstoß mit ihrem Fahrrad, sehr verliebt in Helen (Rachel Weisz). Die hat auch ein Geheimnis. Dann kommt Martin (Allesandro Nivola) zurück, der etliche Jahre wegen Totschlages im Gefängnis verbracht hat. Er ist, das erfahren wir erst etwas später, verurteilt worden, weil er Helens Vater getötet haben soll. Die Bewährungshelferin warnt ihn eindringlich, aber Martin nimmt wieder eine Beziehung zu Helen auf, die übrigens eine Friseuse und auch sonst sehr stilbewußt ist. Sie hat eine sehr schöne Wohnung mit einem tollen Swimming Pool. Dort kommt es dann zu dem, was a) ja kommen musste und b) wir so nicht erwartet hatten.

Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung, was Michael Winterbottom mit diesem Film im Sinn gehabt hat. Einen schön bebilderten Thriller? Die Studie einsamer, geheimnisvoller Menschen? Artistisches Kopfkino mit Mainstream-Apeal (Peter Greenaway goes Popcorn)? Eine hochbedeutsame Studie über die Liebe im Zeitalter von Wasweißich? Nachhall der europäischen Bürgerkriege? Winterbottom kann Beziehungen und Spannung aufbauen. Er weiß, wie er Zuschauer bannen und in die Irre führen kann. Er schafft es, seinen Bildern, wenngleich immer etwas kunsthandwerklich und prätentiös, einen gewissen mysteriösen Glanz zu geben (Kameramann Slawomir Idziak bekam eine »Lobende Erwähnung« bei der diesjährigen Berlinale). Ein gewisses Können beweist er auch hier. Der Film hat seine guten Momente, keine Frage. Aber der Regisseur hat wohl vergessen, sich zu fragen, wo das Ganze hinführen soll. Das ziemlich läppische Ende, demgegenüber das von »Scream« nicht nur als höchst sophisticated, sondern geradezu als Muster narrativer Fairneß gelten mag, kann es jedenfalls nicht sein.

Ich bin vielleicht ungerecht. Das ist einfach nicht meine Art von Kino. Ich mag Trash Movies, ich mag pompöse oder reduzierte Genre-Filme, und ich liebe radikale Film-Kunst. Nur das verquaste »Kino der Qualität«, den Bilderbrei als Bildungsbrei, das gespreizte Kunsthandwerk, das so sehr in seine eigene Bedeutsamkeit verliebt ist und zugleich immer ein bißchen mainstream-kompatibel bleiben möchte, das kann ich nicht leiden. Wenn das Ende eines Whodunit »Ätsch« sagt, fühle ich mich angenehm verschaukelt, wenn das Ende einer cineastischen Bedeutungshuberei »Ätsch« sagt, dagegen bös‘ verscheißert. Ich sage hier im übrigen nur so aufdringlich Ich, weil a) mir sonst zu dem Film leider nicht viel einfällt, und b) ein Bekenntnis besser als ein Verriss ist, um einem Film nicht die Zuschauer zu nehmen, die er erreichen kann. Einige meiner besten Freundinnen und Freunde mögen »I Want You«.

Autor: Georg Seeßlen