Walkürenritt, Western Style

Trotz Tom Cruise rückt die Figur Stauffenberg in den Hintergrund. Was zählt, ist die Tat. Der Film „Operation Walküre“ zerlegt den Mythos in Einzelteile – und hilft ihm so aus der Falle.

VALKYRIE

Manchmal, verehrter Siegfried Kracauer, gehen Sie mir ganz schön auf die Nerven mit ihrem Satz, der Filmkritiker von Rang sei nur als Gesellschaftskritiker denkbar. Obschon Sie ja eigentlich nichts dafür können. Genauso wenig wie Kollege Freud etwas dafür kann, dass man jeden Fehler in der Sprache sogleich als hochverräterische Enthüllung unterdrückter Begierden verhaftet, nur um damit geflissentlich zu übersehen, wie sich Herrschaft auch im Inneren als Kultur verkleidet. Und so können Sie, lieber Kracauer, nichts dafür, dass man keinen Film ansehen kann, ohne ihn als Symptom sozialer Prozesse, gar als Vorahnung historischer Ereignisse zu begreifen, nur um damit geflissentlich zu übersehen, dass der Markt der Bilder hauptsächlich im trivialen Interessen-Jetzt organisiert ist.

Nun ist es ja so, dass man auch im allgemeinen Diskurs Filme nur kurz danach befragt, wie schön, gut und wahr sie sind, um sogleich auf die Frage zu kommen, was sie bedeuten. Was bedeutet, raunt es da, ein Film wie „Operation Walküre“ für den Zusammenhang von Traumfabrik und Geschichtsschreibung? Für diesen deutschen Nationalmythos, der so prekär ist, dass man ihn hysterisch gegen Schändung und Umdeutung schützen muss? Für die Karriere des einstigen Superstars Tom Cruise, der doch ein „amerikanischer Archetyp“ war, ein Idol der Pop-Reaktion? Für die Entwicklung hybrider Babelswood-Filme? Für das Spannungsfeld von story und history? Was bedeutet „Operation Walküre“ als aktuelle Metapher für die Zeit des Übergangs vom finsteren Bush- ins lichte Obama-Zeitalter? Man könnte alle diese Fragen leicht beantworten: Nicht viel. Aber dann wäre ja die Filmkritik schon zu Ende, so wie ein John-Ford-Western, bei dem sich die Indianer entschließen, die Pferde der überfallenen Postkutsche zu erschießen.

Mainstream-Filmkritik, mag sie sich noch so antiintellektuell geben, ist in aller Regel einem gepflegten Vulgär-Kracauerismus viel näher, als dass sie dem Popcorn-Universum gäbe, was des Popcorn-Universums ist – ein Trick, um unter der Bedeutungslogik die Produktionslogik zu begraben. Also erst einmal die einfache Frage: Was bringt eine amerikanische Filmproduktion dazu, einen Stoff aus der deutschen Geschichte zu verfilmen, ohne moralische Lehre, aber nach allen Regeln von Action, Thrill und Suspense?

Plot statt Charakter

Zuerst einmal entsteht ein Film aus Interessen, Geld und Karrieren, dann aus Absichten, Handwerk und Manien. Erst in dem, was übrig bleibt, aus dem, was die Beteiligten entweder zu viel oder zu wenig können, fließen das Unbekannte, Unbewusste, das, was an einem Film nicht nur klüger als seine Autoren, sondern auch klüger als das System ist, was ihn hervorbringt.
Bryan Singers Film steckt in einem deutsch-amerikanischen Kalkül. Ein paar von den 90 Millionen, die er gekostet hat, kommen aus Deutschland, aber vermutlich müssen mehr davon wieder in Deutschland und Umgebung hereinkommen. Also gibt es die Frage nach jenem Bild, das weder das deutsche noch das amerikanische Publikum verärgert. Gleichzeitig gehört ein Film wie „Operation Walküre“ zu einer neuen Strategie der amerikanischen Traumfabrik, der Diversifikation des Angebots. Um auf dem globalen Markt zu bestehen, muss Hollywood erwachsener, weltoffener werden.

valkyrie200Für die Produktion selber ist der Stoff insofern ideal, als er primär den „Aufreger“ garantiert, von der Story und vom Charakter des Helden her aber genügend gestalterischen Freiraum liefert. Die Elemente Story und Charakter bedingen einander so sehr, dass man schon beim Drehbuchschreiben und bei der Besetzung verfügen kann, wie tief man sich auf die Figur einlässt. In dem Moment, wo die Produktion den Stauffenberg-Film plot-driven und nicht character-driven anlegt, hat sie das ganze Gebäude der vorauseilenden Empörung aus Deutschland zum Einsturz gebracht. Peinlich werden nun jene hymnischen Texte, die im deutschen Kontext darüber jubilieren: Statt ihn zu zerstören, habe der Film aus dem fernen Hollywood den Deutschen den einzigen Helden, auf den sie sich mit Mühe einigen konnten, zurückgegeben. Höhepunkt der Idiotie: Der deutsche Nationalmythos werde damit zum Exportschlager. Verkauft der Kino-Stauffenberg Mercedes-Limousinen? Wer weiß.

In Wirklichkeit interessiert sich ein Film, der vom Plot angetrieben wird, für einen Helden nicht auf solche Weise. Nicht dass dieser deswegen ein Mensch ohne Eigenschaften wäre. Hut, Revolver und Pferd reichen auch für einen Cowboy-Helden nur beinahe; nötig ist die Ahnung einer Seele. Ein Actionheld steckt voller Symptome; Narben machen sich da immer gut. Dass sie nicht erklärt ist, das macht den Reiz dieser Figur aus. Ein Cowboy, der erklärt wird, ist ein toter Cowboy. Darum ist ein guter Cowboy auch immer nur knapp ein guter Cowboy, er trägt auch Schuld mit sich, etwas in ihm ist Teil der zerstörerischen Kräfte, gegen die er antritt.

Bryan Singers Stauffenberg ist ein Cowboy-Held. Darin hat er Hawks- und Ford-Elemente. Er ist ein professional, dem seine Narben und Behinderungen zu schaffen machen, und der genau da am besten ist, wo er sie überwindet; er ist aber auch einer, der schon die Mitte seines Lebens, seine Heimat, seinen Glauben verloren hat. Und er ist ein Anthony-Mann-Westerner: einer, der unbeirrt tut, was er tun muss, und in entscheidenden Momenten doch verzweifelt.

Natürlich erschöpft sich „Operation Walküre“ nicht darin, die Geschichte des 20. Juli als Adult Western in Nazi-Uniformen zu erzählen. Er bietet ein politisches Modell: Macht ist kein Zustand, sondern eine Maschine. Deswegen sind hier die Nazis weder Dämonen noch Karikaturen. Sie sind Maschinisten einer Macht-Maschine, die dringend abgeschaltet werden muss. Das kann nur jemand übernehmen, der diese Maschine kennt. Für die Geschichte im Film wie für die in der Wirklichkeit ist es vollkommen unerheblich, ob Stauffenberg ein „guter“ Mensch war. Was einzig und allein zählt, ist, ob sein Attentat gelingt.

Wir ahnen es ja ohnehin: Hätte Stauffenberg Erfolg gehabt, so wäre er eben gerade nicht der Held geworden, sondern man hätte ihn diskret entlassen aus der story und der history, er hätte das neue deutsche Haus so wenig betreten wie John Wayne das Haus der Familie am Ende von „The Searchers“. Nur das Scheitern macht die Männer des 20. Juli zu Subjekten des deutschen Nationalmythos. Im Scheitern bestätigten sie doppelt den deutschen Nachkriegsmenschen, in der Paradoxie, wie es nur der Mythos kann: Dass nichts zu machen war und dass etwas getan wurde.

Das Eigenwillige an „Operation Walküre“ ist es also, dass der deutsche Mythos mit einem amerikanischen Superstar paradoxerweise nicht von seinem Subjekt her entwickelt wird. Indirekt wird dieser Mythos dadurch auch entlarvt. Und Tom Cruise ist dafür ideal. In den USA wurde darüber gegrübelt, was dieser Film mit Tom Cruise Karriere macht. Würde er vom ewig unerwachsenen, Vater-suchenden Problemfall und vom idealen Verkörperer des Tatmenschen einen Schritt zur Menschlichkeit oder zur Selbsterkenntnis vornehmen? Umgekehrt geht es dabei auch um die Frage, wie man den Superstar der amerikanischen Reaktion für die nächste, die liberalere Periode nutzbar machen könnte. Was der Patriot schätzt und der Liberale fürchtet, diese grinsende Kantenschädeligkeit, diese Sturheit, die törichte Selbstgerechtigkeit, und alles, was der Liberale ahnt und der Patriot fürchtet, die Einsamkeit, der todsichere Fall nach jedem Aufstieg, die Gefangenschaft in der Maske, das kommt hier zusammen. Man schreibt: Die Ähnlichkeit zwischen Cruise und Stauffenberg ist frappierend. Man schreibt nicht: Die Einfühlung Cruise in Stauffenberg ist frappierend. Immer war das bei den besten Cruise-Filmen ein Thema: der Fluch und der Segen der Äußerlichkeit. Als Projektion auf den deutschen Mythos, der selbst in Explosionen und Verschwörungen noch das Innerliche sucht, ist das ein Skandal.

Herrschaft statt Wahn

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Das Interesse, das jemand wie Tom Cruise an einer solchen Rolle hat, ist durchschaubar. Man kann sich, zum Beispiel, für „reifere“ Rollen qualifizieren, ohne anders als in „Mission Impossible“ spielen zu müssen. Es geht dem Darsteller wie dem Helden: Um zu funktionieren, muss man nicht allzu tief in die Psyche oder in das Denken eintauchen. Nur tapfer genug, zu einer bestimmten Zeit am richtigen Ort zu sein.

Von da ab gilt es für die Produktion eines solchen Films nur noch, möglichst nichts falsch zu machen. Handwerklich klappt das ohnehin, weil man es sich leisten kann, die entsprechenden professionals einzusetzen. Und es klappt, weil man weiß, worauf man besser verzichtet – zum Beispiel auf die faschistische Ästhetik selber, die in vielen, auch den so genannten „kritischen“ Filmen immer diese Phantasie des „Verführerischen“ und „Faszinierenden“ bedient. In „Operation Walküre“ dagegen erscheint der deutsche Faschismus nicht als Wahn-, sondern als Herrschaftssystem.
Schön und gut also. Wir haben eine Produktionslogik, eine Bedeutungslogik, und wir haben eine Rezeptionslogik. Für die Kritik wäre nun interessant, warum zum Teufel diese drei Felder zueinander so inkohärent sind und ob solche Inkohärenz sogar Wesen der globalen Bilderzählung ist. So wie in Bryan Singers Film das Subjekt des Attentats verschwindet, so verschwindet im deutschen Kulturspiel um den nationalen Mythos der Film, der ihm zum Vorwand diente. Der Vorgang der Dislozierung eines nationalen Mythos ist also perfekt. Historisch-politische Sinn-Zeichen wechseln von einer Kultur in die andere, verändern sich, kehren zurück und sind schon wieder etwas anderes. Und in so einem Augenblick kommen wieder Sie daher, Siegfried Kracauer:

„Infolge des Schwindens der Ideologie ist, ungeachtet aller Bemühungen um neue Synthesen, die Welt, in der wir leben, mit Trümmern übersät. Es gibt keine Ganzheiten in dieser Welt, viel eher gilt, dass sie aus Fetzen von Zufallsereignissen besteht, deren Abfolge an die Stelle sinnvoller Kontinuität tritt. Dementsprechend muss das individuelle Bewusstsein als ein Aggregat von Glaubenssplittern und allerlei Tätigkeiten aufgefasst werden. Fragmentarische Individuen spielen ihre Rollen in einer fragmentarische Realität.“

Um den Mythos zu bewahren, muss man ihn fragmentieren. Vielleicht hilft Bryan Singers Film nicht nur der Welt, eine kleine Synthese aus Trümmern zu erzeugen, sondern auch dem deutschen Mythos aus einer Falle: Statt ihn nämlich entweder in der falschen, nämlich ganzen Weise zu erhalten oder ihn in der vollständigen kritischen Durchleuchtung abzuschaffen, wird er im Fragmentarischen erhalten, unter anderem durch die cineastische Form der Trennung von Tat und Subjekt. So verstehen wir, warum genau die Kultur, die sich soeben noch in Krämpfen schüttelte (Scientology! Comic-Filmer!), so blitzrasch auf Erlösung umschaltet. Dieser Film widerspricht nicht dem großen Projekt, die deutsche Geschichte neu zu schreiben. Denn aus dem prekären nationalen Mythos ist ein Stück medialer Weltkultur geworden, das man nicht mehr in Frage stellen kann. Und in dieser Form ist der Mythos nicht nur etwas, mit dem man beinahe alles sagen kann, sondern auch etwas, mit dem man beinahe alles verschwinden lassen kann. Ein bisschen, verehrter Siegfried Kracauer, haben Sie also wieder einmal recht. Nur dass auf dem globalisierten Bildermarkt auch der Austausch von Symptomen und Therapien so seine eigenen Wege geht.

Und dann gibt es noch etwas anderes. „Operation Walküre“ steht in einer kleinen Serie von amerikanischen Filmen, die sich um Faschismus und Holocaust bemühen – Paul Schraders „Adam Resurrected“ etwa und Edward Zwicks „Defiance“. Was an ihnen auffällt, ist ein Wandel der Ikonografie. Die Zeiten von „They Saved Hitlers Brain“ sind vorbei, der Zerfall in Propaganda und Pulp Fiction; mehr und mehr werden der Faschismus und der Holocaust vom solitären Zivilisationsbruch zu einem Teil der allgemeinen Geschichte. Die alten Klischees verschwinden zwar, aber auch die letzte Distanz vor dem Nichtdarstellbaren. Noch ist man entfernt von der heimeligen Nostalgie mancher deutscher Nazifilme. Aber aus dem großen Bruch werden kleine Übergänge. Symptomatisch dafür ist die Verfilmung von Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“. Deren versöhnliches Ende ist erschreckend: Ralph Fiennes hat von der endlich zu einsichtiger Reue bekehrten KZ-Wärterin (Kate Winslet) das Ersparte übertragen bekommen und bringt es nach New York zu einer Holocaust-Überlebenden. Diese zu gewaltigem Reichtum gekommene Jüdin lebt in einem Appartement, das so gar nichts von der Schäbigkeit des Lebens in Deutschland an sich hat. Spätestens hier gerät der Film nahe an Denunziation. Trotzdem bleibt die Kritik an diesem Film marginal-feuilletonistisch, während „Operation Walküre“ zum Medienereignis wird – endlich wieder ein „zentrales Thema“, endlich wieder Naziuniformen auf den Titelbildern.

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Von Singers Film nehmen wir frohen Herzens an, er tue ohnehin niemandem wirklich weh, von ein paar rechten Zauseln und ein paar linken Metakritikern abgesehen. Fatalerweise infiziert er aber die Debatte in Deutschland gerade durch seine Äußerlichkeit und seine Vermeidungsstrategien. Weil der Hollywood-Film den Mythos ohne sein Subjekt behandelt hat, scheint er hierzulande wiederum befreit von der Kritik am Subjekt der Tat und natürlich mehr noch von der Kritik an dem, was alles nicht stattgefunden hat. Der Film nämlich wird in der deutschen Rezeptionssphäre genau dazu verwendet, was man ihm in der Produktionsphase vorauseilend unterstellte: zur Überführung des nationalen Mythos in Popkultur.

„Das Kino“ haben Sie, lieber Kracauer, mal geschrieben,“ nötigt uns oft, die realen Ereignisse, die es zeigt, mit den Ideen zu konfrontieren, die wir uns von ihnen gemacht haben.“ In Bryan Singers Film werden ein Attentat und ein Staatsstreich als logische Folgen von Handlungen und Entscheidungen in einer physikalischen Realität von Macht und Gewalt gezeigt. Vielleicht bringt uns das darauf, uns mit der falschen Idee der Geschichte zu konfrontieren. Vielleicht ist sie doch weniger Schauspiel und mehr Handlungsraum, als wir gedacht haben. Vielleicht aber findet das Ereignis gar keine Idee mehr. Denn noch etwas anderes ist zu überprüfen: Wie sich das Verschwinden des Subjekts in einer historischen Bilderzählung auswirkt. Vielleicht verschwindet dann nicht nur der Mythos, sondern auch die Geschichte. Vielleicht verschwindet mit der Psychologie auch die Kultur oder eben Unkultur. Es verschwindet alles, was irgend etwas erklären könnte. Vielleicht verschwindet der Zusammenhang, die Grammatik, die Bedeutung des Erzählens in der Geschichte. Auch der Cowboy war ja ein großer Künstler des Verschwindens. Und das, verehrter Siegfried Kracauer, ist wohl der Augenblick, an dem wir das Feld lieber den Theoretikern des Verschwindens, den Baudrillards und Virilios, überlassen sollten. Sonst müssten wir im Widerschein von „Operation Walküre“ auch noch vom Verschwinden der Filmkritik sprechen.

Autor: Georg Seesslen

Text veröffentlicht in taz, 21.01.2009

Bild: 20th Century Fox