Eine klassische Boy-Hero-Geschichte: Der junge Danny lebt mit seiner verwitweten Mutter in einer offenbar nicht allerbesten Wohngegend in New York. Er schwänzt die Schule, um in einem Kino, das wahrlich bessere Zeiten gesehen hat, die Abenteuer seines Helden, des knallharten Cops Jack Slater zu verfolgen. Er ist ihm Vater, großer Bruder und rächender Erlöser mit der Knarre in einem. Als die Lehrerin den Schülern den Hamlet-Film mit Laurence Olivier vorführt, da träumt er sich an die Stelle des klassischen Zauderers seinen Jack Slater, der sehr definitiv „Not to Be!“ ausruft und am Hof zu Dänemark gründlich aufräumt. Aber Danny weiß ziemlich genau, was der Traum und was die Wirklichkeit ist. Als er in der Wohnung überfallen wird, kommt er nicht auf den Gedanken, den Helden zu spielen.

Eine Fantasy-Geschichte: Der alte Vorführer des Kinos, der ihm gestattet, den neuen Jack-Slater-Film beim Kopien-Prüfen anzusehen, gibt Danny eine magische Eintrittskarte, die hat er vom großen Houdini, selbst aber nie ausprobiert. Und mit dieser Karte kann Danny die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Film doch überschreiten: Er gerät in den Film, in dem sein Held gerade einen üblen Mafia-Boß und einen eiskalten Killer besiegen muß.

Eine Film-Parodie: In der Welt des Jack Slater tanzen die Klischees; die Stunts sind so aberwitzig, der Overkill im Nahkampf so grotesk, die Typen so überzeichnet, daß Danny vor allem verwirrt darüber ist, daß diese Typen offenbar an sich selbst wirklich „glauben“. In dieser Schwarzenegger-Welt, in der übrigens Stallone die Hauptrollen in den Schwarzenegger-Filmen spielt, geht es zu wie im Reagan-Amerika: die Fassade ist die Wirklichkeit.

Danny versucht vergeblich, seinen Helden davon zu überzeugen, daß er in einem Film ist und da draußen eine richtige Wirklichkeit existiert. Immerhin kommen Slater ab und an schon kleine Zweifel, etwa wenn Danny immer schon weiß, wann seine coolen Sprüche kommen, oder wenn er Details aus seiner fiktiven Biographie kennt. Und ist es vielleicht normal, daß ein Polizist einen Rabbi, ein Hologramm von Humphrey Bogart oder eine Zeichentrickfigur als Partner zugeteilt bekommt?

Als der Bösewicht in den Besitz der magischen Karte kommt und in die Wirklichkeit flüchtet, bleiben Danny und Slater nichts anderes übrig, als ebenfalls auf die andere Seite der Leinwand zu wechseln. Da stehen dem Helden ein paar überraschende Erfahrungen bevor: Autos explodieren nicht gleich, wenn man auf sie schießt, wenn man ein Fenster mit der Faust einschlägt, tut das furchtbar weh, und am Ende ist eine Verwundung eben nicht die übliche Fleischwunde, sie kann auch tödlich sein.

Um ihn zu retten, muß Danny seinen Helden um jeden Preis wieder auf die andere Seite bringen; in einer der hübschesten Szenen des Filmes wird der Tod aus Ingmar Bergmans DAS SIEBENTE SIEGEL aus dem Leinwanddasein in die wirkliche Welt entlassen und erreicht den Jungen und den Helden im Zuschauerraum des Kinos. Über den fiktionalen Charakter hat er keinen Einfluss, und Danny wird er, meint er beruhigend, erst holen, wenn er Großvater ist. Der Tod war „nur neugierig“.

So ist am Ende die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit wieder errichtet. Aber es ist nicht alles beim alten. Denn Jack Slater, der jetzt weiß, dass er „nur“ in einem Film ist, stellt sich gegen seinen endlos brüllenden Vorgesetzten, er kennt jetzt den Unterschied zwischen einem Star und einem supporting actor. Und außerdem hat er so etwas wie Verantwortung entdeckt: in seinem Film soll es nicht mehr so viel Blutvergießen und Selbstjustiz geben.

Um die Verantwortung in der Fabrikation der Fiktionen geht es in diesem Film von John McTiernan, der zusammen mit Arnold Schwarzenegger schon PREDATOR und mit Bruce Willis DIE HARD gemacht und darin schon bemerkenswerte Retardierungen im furiosen Spektakel eingebaut hat. Hier hat das oft wahrhaft melancholische Züge, die durch die wirklich komischen Elemente nicht mehr ganz aufzulösen sind. Der Schurke erkennt in der Wirklichkeit, dass man hier wegen ein paar Schuhen umgebracht wird und dass sich kein Mensch darum kümmert, wenn einer erschossen wird; und der Held erkennt, einigermaßen entsetzt, dass er nur erfunden ist, und daß er schlecht erfunden ist. Und wenn sich Slater in der Wirklichkeit in einer Unterhaltung mit Dannys Mutter mit einem Mal ganz normale menschliche, männliche und väterliche Impulse gestattet („Er läßt sich zum Waschlappen machen“, befürchtet Danny), dann revoltiert der große universalamerikanische Mythos vom großen Fremden, der in die Familie kommt, von SHANE bis zu E.T..

LAST ACTION HERO ist ein intelligentes, durchaus phantasiebegabtes Spiel mit den Mythen der Popular Culture, das offenbar den kommerziellen Nachteil hat, nicht den Konventionen des neuen Super-Genres aus Action, Klamauk und Selbstreferenz zu gehorchen, sondern ein paar wirkliche Fragen, nicht bloß die Darstellung der Gewalt und die Verantwortung der Traumfabrik betreffend, stellt: Statt eines platten Plädoyers für „die Wirklichkeit“ oder, umgekehrt, wie bei Spielberg, für den Kindertraum, ahnt der Film etwas von der Komplexität der Beziehungen in einer Welt, in der eine zweite Wirklichkeit der Medien zum unabdingbaren Lebensmittel des Menschen wurde. An die Seite der pragmatischen Unterscheidungsfähigkeit zwischen Wirklichkeit und Spiel tritt etwas wie ein Bewußtsein zweiten Grades: Die Selbstreferenz des Mediums führt zu so etwas wie einem Wissen von sich selbst, und am Ende mag die Fiktion ihre Menschenrechte einfordern, so wie in unserer Science Fiction die denkende Maschine (in sentimentaler Vereinfachung: Schwarzenegger in TERMINATOR 2) zum autonomen moralischen Subjekt wird.

Mit so viel Einfallsreichtum hat sich lange kein Hollywood-Film mehr zwischen alle Stühle gesetzt. Daß er auf dem Markt nicht recht funktioniert, erzählt ein wenig auch von der Distanzierung der Kulturen: Das Publikum der Actionfilme und das der „Filmkunst“ müssten sich in solch einem Film treffen können, gäbe es nicht in beide Richtungen einige Zumutungen. Wer sich für Actionfilme zu schade ist, wird nicht nur die Mehrzahl der Anspielungen und Parodien nicht verstehen, er wird vielleicht auch nicht begreifen, dass man Klischees der Popular Culture ernst nehmen muss, um die humane Botschaft des Films zu verstehen. Und umgekehrt müsste sich der Actionfan eine Aufweichung seiner Panzer-Phantasien gefallen lassen. Der Widerspruch geht also tiefer als der zwischen kindlicher Phantasie und cineastischer Intelligenz; er betrifft nichts geringeres als die Strategien der Mediennutzung. Vielleicht ist es ein wenig auch die Präsenz einer „pädagogischen“ Botschaft und nicht zuletzt das „Basteln“ am Image des Hauptdarstellers, was die Dannys im Zuschauerraum misstrauisch stimmt. Und das gute Ende ist alles andere als eine einfache Lösung. Bevor uns unsere Fiktionen wieder helfen können, müssen wir ihnen helfen, ihre von uns selbst und unseren Traumfabriken verborgene Menschlichkeit zu entfalten. Das geht nicht anders, als zwischendurch unsere symbiotische Einheit mit ihnen zu verlieren: LAST ACTION HERO ist purer Anti-Spielberg. Eine Geschichte der Desillusionierung, die es schafft, nicht zynisch zu sein.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd film 10/93