Unsere Marlene

Ich liebe diesen Film! Zum Beispiel schon für folgende Szene: Marlene Dietrich trifft sich, die Nazis haben gerade die Macht ergriffen, mit ihrem Mann und ihrem Kind in Salzburg. Dort sehen wir, was man halt so sieht in Salzburg, bis das Schild »Lanz« vor die Kamera kommt und Marlene, Rudi und Maria sonnenbebrillt und etwas mürrisch das Trachtenmodengeschäft dieses Namens betreten und trachtenmodenbekleidet und freudestrahlend herauskommen, als müsste jetzt »Marlene« aufhören und »Die Trapp-Familie in Amerika« anfangen. Aber da stören ein paar Nazi-Jungen, die laut Drehbuch »beiläufig« gezeigt werden. Als wäre Herr Vilsmaier ein Regisseur, der irgend etwas beiläufig zeigen könnte. Das Begeisternde an dieser Szene jedenfalls: Es könnte sein, daß sie etwas zu bedeuten hat. Wer weiß. Könnte aber auch sein, daß einfach nur ein Commercial etwas aufdringlich eingeschnitten wurde, Abspann und Presseheft legen den Verdacht nah. Könnte aber auch sein, meine Lieblingsidee, dass es sich dabei um puren cineastischen Nonsense handelt.

»Marlene« jedenfalls ist perforiert mit solchen (vielleicht) bedeutungsvollen Nonsense-Commercials, wenn sie auch nicht immer eine solche surreale Qualität erreichen. Wer da alles mitgemacht und irgendwelche Spuren in diesem Film hinterlassen hat! Nehmen wir zum Beispiel die Komm-wie-du-bist-Auftritte der Gaststars wie Otto Sander, Ben Becker, Heiner Lauterbach oder Heinrich Schafmeister. Sie spielen in Sekunden- oder Minuten-Auftritten Rollen, die sie sowieso immer bei sich haben. Irgendeinen dramaturgischen oder ästhetischen Wert hat das zwar nicht, aber warum sollte nicht auch ein deutscher Film dieser Präsentationslogik folgen, die wir aus der politischen Medienwelt kennen. In der neueren Soziologie nennt man das »Legitimation durch Vernetzung«. Man könnte auch sagen: Wir gewöhnen uns an alles, und das Wirkliche ist genau das, woran wir uns gewöhnt haben. Das Talk Show-Prinzip. »Marlene« funktioniert also so sehr als seine eigene Vermarktungskonzeption, daß der Film selber schon genauso faustkeilmäßig auf die Leinwand gehämmert werden muss, damit er nicht dahinter verschwindet. Und »Marlene« ist ein Film, der sehr genau darauf achtet, dass seine Schauwerte nicht durch ein Übermaß an ästhetischer und gedanklicher Subtilität gestört werden. Man hat wohl Firmen-Museen geplündert, Modemacher und Designer durften ihre Handschriften hinterlassen, und irgendwie ist jeder wer in diesem Film. 17 kommanochwas Millionen DM müssen ja einerseits irgendwoher kommen, und andrerseits irgendwo hingehen. Ich glaube, ich habe in diesem Film nichts gesehen, was ich nicht woanders schon genauso gesehen habe. Das könnte zwar bedeuten, ich hätte nur vollkommen widersinnig aufgeblasenes Fernsehen gesehen, aber wie gesagt, ich glaube an die satirische Kraft dieses Filmes. Wahrscheinlich nämlich hat sich Vilsmaier, der Fuchs, vorher durch eineinhalb Meter postmoderner Medientheorie gefressen und sich dann beim Weißbier gesagt: Sodala, jetzt machma an Film, der euch a semantische Katastrofn umahaut, daß ihr an Baudrillard für a Maggi-Suppn und Marlene Dietrich für die Tochter von Jörg Haider und Waltraud Schoppe halten deads. Man sieht beständig Szenen, die von ihrer eigenen Ausstattung, von ihren Production Values aufgefressen werden. Nur daß diese Ausstattungsstücke noch fader sind als die sehr sehr fade Konstruktion des Plots. Das gibt einen ganz eigenen Verfremdungseffekt, den übrigens Mel Brooks in seinen besten Tagen perfektioniert hatte: Prächtigkeit und Banalität. Nur die Nennung der Firma „Märklin“ hat mich am Ende doch etwas überrascht.

»Marlene« will »frei« den mittleren, den dramatischen Lebensabschnitt von Marlene Dietrich zwischen Berlin und Hollywood erzählen. Sie ist so von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, daß sie Männer und Frauen lieben muß, irgendwie aber auch ihren Mann und ihr Kind, am meisten aber liebt sie einen deutschen Offizier. Der ist zwar erfunden, aber genau diese Erfindung macht die Parodie auf den ideologischen Schwurbel neuer deutscher nationaler Besoffenheit deutlich. Denn diese Figur der »großen Liebe«, Sternberg hin oder her, macht uns von vornherein klar: Diese Marlene wollte eigentlich gar nicht fort, sie wollte wahrscheinlich auch gar nicht weiter so verworfen und so modern sein, sondern so, wie es uns die entsprechende Szene zeigt, an die Brust des echten deutschen Mannes sinken. Ob sie berühmt oder glücklich sein wollte, fragt Sternberg sie, rein rhetorisch natürlich, und da ist klar, daß sie gefälligst leiden muß, weil sonst jede Frau einfach herkommen und sagen könnte: Beides natürlich, du Nase (und nimm den lächerlichen Turban vom Kopf). Bloß die Nazis, die liebt Marlene nicht. Die wollen sie natürlich zum deutschen Film zurückholen. Aber das machen sie sehr ungeschickt, Ben Becker-stiernackenmäßig. Nein, da mußte erst Joseph Vilsmaier kommen, um Marlene Dietrich heim ins Reich zu holen. Und das machen er und sein Drehbuchautor Christian Pfannenschmidt so: Marlene Dietrich, das ist ja bekannt, setzte sich bei der Betreuung der amerikanischen Truppen ein. Aber mittendrin erweist sie sich doch als Madonna der deutschen Kriegsgefangenen und drückt dem toten Landser die Augen zu und sagt ihm, dass der Krieg zu Ende ist, und beide sagen zueinander, dass eigentlich niemand was dafür konnte. Und dann trifft sie ihren Offizier wieder, der mittlerweile zum Widerstand gewechselt ist, komplett mit Baskenmütze. Das muss einem erst einmal einfallen! Endlich ist es bewiesen, dass man sich die Geschichte so zurechtbiegen kann, wie es die Autoren einer Familienserie machen können und dass historische Wirklichkeit so was von überflüssig ist, wenn es darum geht, daß man nationale Feelgood Movies machen will. Und dann der Schluß! Marlene, alt geworden, immer diese Zigaretten, diese alkoholischen Getränke, diese Tabletten, wankt auf die Bühne der Carnegie Hall, strafft sich, ganz Offizierstochter, beginnt schon wieder mit der Liebe, auf die sie von Kopf bis Fuß eingestellt wäre, unterbricht sich, ist ja Quatsch (nicht einmal das lässt ihr der Film!) und singt statt dessen, für alle die Opfer des Krieges, »Sag‘ mir, wo die Blumen sind«. Das Tolle an dieser Szene, bevor die endlosen Rolltitel kommen: Das ist nicht bloß einfach Kitsch, das ist so schlechter, so ideologischer Kitsch, so unbarmherziges Bedienen nationaler Harmonie-Bedürfnisse der Neuen Mitte, daß es beinahe auch den Filmkritikern auffällt: Das ist Satire! Wie gesagt, ich liebe diesen Film.

Autor: Georg Seeßlen