In der ersten Szene des Films schickt ein Mann mit gewöhnlicher Arroganz eine Frau in die Küche des wohlausgestatteten Mittelstandsheims, damit sie die nassen Scherben eines Martiniglases beseitige, das er gerade hat fallen lassen. In der letzten Szene verlangt dieselbe Frau von einem anderen Mann die Autoschlüssel und setzt sich energisch ans Steuer. Solch ein Film kann nichts anderes als eine Emanzipationsgeschichte erzählen, und wenn er MY NEW GUN heißt, so ist es die Geschichte einer Emanzipation durch den Revolver. Zwischen den beiden Szenen hat Stacy Cochran in ihrem ersten Spielfilm versucht, eine ironische Beziehungskomödie, einen Thriller und ein Spiel mit allerlei Objekten und Symbolen miteinander zu verbinden.

Alles beginnt an jenem Abend, als Debbie und Gerald, ein wohlsituiertes Paar in Suburbia, ihre Freunde Irwin und Myra zu Besuch haben und Debbie die Scherben aufgeräumt hat. Myra hat von ihrem Verlobten Irwin eine Pistole bekommen, man weiß ja nie. Und so bekommt auch Debbie von Gerald einen Revolver, „just in case“. Debbie sträubt sich zuerst gegen die Waffe, die in der Schublade ihres Nachtkästchens bereitliegen soll. Aber am Morgen, als sie beim Staubsaugen ist, überkommt sie die Neugier. Erregt betrachtet sie das fremde, faszinierende Objekt, macht die Schublade schnell wieder zu, sitzt sinnierend daneben. In der Nacht, Gerald und Debbie können nicht miteinander schlafen, explodiert der Revolver in der Schublade. Es war nur ein Alptraum. Debbie hat ihre ersten Schießübungen: Gerald treibt sie an. Sie kann die richtige Stellung einfach nicht finden, schießt dann doch lieber im Sitzen und wird vom Rückstoß umgeworfen. Nein, sie will diese Waffe nicht.

Der junge Mann von nebenan, Skippy, begleitet sie bei einem Einkaufsbummel, bei dem es nichts einzukaufen gibt, und ihm kann sie sich ein wenig anvertrauen. Skippy erscheint immer wieder, zum Unwillen Geralds, und verlangt schließlich, dass Debbie ihm den Revolver leiht. Sie zögert. Er schleicht sich ins Schlafzimmer und nimmt den Revolver an sich. Als Gerald nach Hause kommt, sieht er zuerst nach der Waffe, welch seltsames Ritual. Sie ist fort. Wutentbrannt schreit er seine Frau an, sie gesteht, Skippy den Revolver gegeben zu haben. „Our Gun“ hat sie dem „Junkie“ da drüben gegeben, eine registrierte Waffe?

Gerald und Debbie gehen zum Haus, in dem Skippy und seine Mutter leben und verlangen die Waffe zurück. Er reicht sie ihm aus dem Hosenbund. Gerald ist noch mehr entsetzt: Warum trägt er die Waffe seiner Frau mit sich herum? Eine Kugel fehlt. Skippy bleibt naiv; er habe das nur zur Sicherheit getan, das solle Gerald doch wissen, als „Waffenbesitzer“. Die fehlende Kugel ist im Haus. Als Gerald hinausgeht, schießt er sich selbst ins Bein. Die Waffe fliegt davon; Skippy hat sie wieder.

Bis hierher ist schon ziemlich klar: MY NEW GUN ist so etwas wie ein ziviles, braungelbes Gegenstück zu Kathryn Bigelows stahlblauem BLUE STEEL. Die Verwandtschaft geht bis in einzelne Schlüsselszenen, bis in die Verwendung der gleichen Symbole, bis in die Stimmungsbilder – auch hier regnet es, ein sehr japanischer Regen, in der Szene, die auf diesen Schuss folgt. Die beiden Filme haben den Produzenten Michael Flynn und, mindestens so bedeutsam, den Production Designer Toby Corbett gemeinsam. Aber Stacy Cochran geht doch einen anderen Weg bei der Untersuchung der Frage, wie eine Waffe eine Frau, und wie eine Frau eine Waffe verändert. Sie sucht immer wieder die ironische Distanz, lässt Mehrdeutigkeit zu, vermeidet mythische Radikalität.

Während Gerald im Krankenhaus ist, kommen sich Debbie und Skippy immer näher, obwohl sein Verhalten eher undurchsichtiger wird. Er hat seine Mutter Kim mit Debbies Wagen zum Flughafen gefahren, aber dann ist sie doch wieder da, als Debbie das Haus, immer auf der Suche nach dem Revolver, durchsucht. Kim Hayes ist ein Ex-CountryStar: sie wird von ihrem ehemaligen Manager und Mann Andrew verfolgt. Skippy, Debbie und Kim müssen auf der Flucht vor ihm dann doch zur Polizei gehen. Bei der Hochzeit von Irwin und Myra versammeln sich alle noch einmal: auch Gerald, der sich von Debbie getrennt hat, ist zugegen, immer noch lädiert aber in ungebrochener Unerträglichkeit. Andrew zieht kurz vor der Zermonie eine Waffe und droht Skippy zu erschießen, den giftigen und selbstsüchtigen Sohn, und Kim soll sehen, wie er stirbt. Aber bevor er seine Drohung wahrmachen kann, zieht Debbie den Revolver (den sie, um das Spiel mit dem magischen Objekt noch ein wenig fortzusetzen, aus der Handtasche ihrer Freundin genommen hat); beide stehen sich mit erhobenen Waffen gegenüber. Schießen muss Debbie dann doch nicht, ein Polizist erledigt die Angelegenheit mit einem Schlag von hinten. Die Mutter hat die Aufregungen nicht überstanden, vielleicht aber wollte sie eigentlich die ganze Zeit über nichts anderes als sterben. Skippy und Debbie verlassen die Feier mit einem Auto. Und nachdem sie so energisch das Steuer in die Hand genommen hat, singt über dem Abspann eine kämpferische Frauenstimme vom Ende der Geduld: „When I Reach My Revolver“.

Stacy Cochran ist eine durchaus vertracktes Spiel mit den Phantasien von Schutz, Macht und Gewalt gelungen, eine Geschichte, die ziemlich sophisticated auf mehreren Ebenen verschiedene Storys erzählt. Eine handelt davon, daß ein Symbol des Schutzes, das zugleich Symbol der Gewalt ist, sich durch verschiedene Stationen in verschiedenen Familienromanen zu einem befreienden Objekt verwandelt. Eine andere handelt von der Unfähigkeit zur sprachlichen Kommunikation in Suburbia. In MY NEW GUN redet man immer von allem möglichen, aber nicht von dem, worauf es gerade im Augenblick ankommt. Man schwätzt, versucht sich in Umschreibungen, ringt nach Worten, die möglichst zugleich etwas Geheimes aussagen und etwas verbergen. Daher wird die „Sprache der Waffe“ so bestimmend, sie wird mehr als die Worte verstanden. Daraus entsteht zum dritten, ein Thriller, der eine manifeste Bedrohung aus dieser Sprach- und Verständnislosigkeit entwickelt, und zum vierten, eine Komödie über die kleinen Dinge der Unterdrückung im Alltag.

Im Thriller versuchen alle Menschen einander so gut es geht zu schützen; Paare finden sich aus Sehnsucht nach Schutz vor dem drohenden Blau, das die ockerbraunen, falsche Wärme verströmenden Innenräume umgibt, versuchen sich gegenseitig zu stärken, die Ärzte versuchen die Menschen zu schützen, die Polizei tut es auch. Aber alle diese Schutzversprechen gehen einher mit dem strukturellen Gebot, einander nie zu sagen, was wirklich geschieht. Daher kann diese Sucht, einander zu schützen, nichts anderes hervorbringen als eine besondere Form der Bedrohung. Sie ist überwunden in dem Augenblick, wo Debbie versteht, daß sie des Schutzes nicht bedarf. Stacy Cochrari führt sanft in diese Mausefalle, als die wir das Innere des Hauses erleben: der living room mit seiner repräsentativen Außenseite, daneben die Küche, oben das Schlafzimmer und das Bad. Immer wieder wird diese soziale Falle durchsucht, und immer wieder wird in ihrem Zentrum das magische Objekt gefunden: der Revolver. Die erhofften Explosionen aber bleiben aus, am Ende ist eigentlich nicht viel passiert: ein Paar hat sich getrennt, ein anderes gefunden, ein drittes seine Beziehung gewaltsam beendet, und ein viertes beginnt den ganzen Kreislauf gerade wieder von vorne. Als Ferment ist durch diese Situation von Auflösung und Neubildung der Revolver gegangen, fast ohne wirklich verwendet zu werden. Die Waffe ist sogar in gewisser Weise unschuldig geblieben. Sie hat jedem gebracht, was er verdient. Und wer was verdient, das haben wir schon in den ersten Szenen verstanden. Wie im Märchen.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in  epd film 10/92