Neue Schurken, neue Effekte in der Superhelden-Saga von Sam Raimi

Sam Raimi hat die Geschichte von Peter Parker alias Spider-Man nach den populären Comics des Marvel-Teams Stan Lee und Steve Ditko fürs Kino neu erzählt: respektvoll – und durchaus nicht immer im Einklang mit den Konventionen des seriellen Blockbusters.

Man sieht in den Spider-Man-Filmen, ein wenig wie bei Harry Potter, dem Helden beim Älterwerden, beim Sich-Entwickeln zu einem verantwortungsbewussten Menschen zu. Und weil das keine leichte Sache ist, gibt es Verluste zu beklagen, müssen Tränen fließen. Mehr Tränen, andere Tränen als in der gewohnten Mischung aus Action-Gewitter und Seifenoper. Das gibt der Comicverfilmung hier und dort eine unerwartete Tiefe. Verwundern mag es einen freilich schon, dass die höchstentwickelte digitale Technologie und der größtmögliche Kapitaleinsatz einer Erzählstrategie gelten, der „éducation sentimentale“, die schon im 19. Jahrhundert ihre Dekadenzphase erreicht zu haben schien.

Aber das gehört ja überhaupt zu den liebenswerten Eigenschaften von Peter Parker, dass er gleichsam ein biedermeierlicher Charakter im New York mehr oder weniger von heute ist. Ein romantischer Jüngling, der mehr an Werten als an Konsum, mehr an Liebe als an Sex, mehr an kinetischer Energie als an Drogen interessiert ist. Dabei zeigt er zuweilen einen sarkastisch urbanen Humor; als Spider-Man macht er sich viel weniger vor als seine maskierten Kollegen. Schließlich ist Peter Parker, Spider-Man, ein Kind der Sechzigerjahre. Ein Held mit Problemen, gewiss, und einer, für den soziale Veränderung kein Schimpfwort ist.

Und Peter Parker ist ein Held im Kapitalismus, der, nach einem Wort von Walter Benjamin, es geschafft hat, im Gegensatz zu anderen Religionen seinen Kult nicht um die Erlösung, sondern um die Verschuldung zu weben. Helden in der Popkultur des Kapitalismus sind Menschen mit wer weiß was für Fähigkeiten, die sich beim Handwerk des Erlösens immer in eine Falle von Schuld und Schulden manövrieren. Und genau darum geht es im dritten Teil der Spider-Man-Filmsaga, nämlich darum, wie sich der Student Peter nicht von seinen finanziellen und sozialen Schulden befreien kann, und darum, dass sich der Held Spider-Man einmal der eigenen Schuld stellen muss, um komplett zu werden.

Peter Parker und Mary Jane Watson, die am Ende von Spider-Man 2 akzeptierten, dass sie füreinander bestimmt sind, durchleben eine Phase der Entfremdung, ausgelöst durch MJs Misserfolge auf der Bühne und Peters Unfähigkeit, als gefeierter Held auf ihren Kummer zu reagieren. Zur gleichen Zeit sinnt Harry Osborn, einst Peters bester Freund, auf Rache, da er ihn für den Tod seines Vaters verantwortlich macht. Auch ein weiterer Schurke aus dem Marvel-Universum, der „Sandman“, hat familiäre Probleme: der entflohene Häftling darf seine kranke kleine Tochter nicht sehen. Der gefährlichste Gegner für Spider-Man aber wird eine glibbrige schwarze Masse, die die Menschen, die mit ihr in Berührung kommen, in bösartige, von der Macht berauschte Schatten ihrer selbst verwandelt. Und aus eurem freundlichen Nachbarn Spider-Man wird ein dunkler Held, der im schwarzen Kostüm auch vor Gewalttaten nicht zurückschreckt und im Privatleben Karrierist und Modegeck ist. Der böse Doppelgänger also, noch so ein erzromantisches Motiv. Wie sich dann alles auflöst, wie der Held seine Lektionen lernt, wie Peter und Mary Jane wieder zusammenkommen, wie das Böse dann doch nicht verschwindet, ohne ein Opfer zu verlangen, das alles erfahren wir in der zweiten Hälfte des Films, der freilich so pflichtgemäß seine Motive abarbeitet, dass einen gelegentlich das Gefühl beschleicht, man habe ihn schon einmal gesehen.

Denn da zeigt sich doch das leidige Trilogie-Problem: Motive, Charaktere und Ikonografie sind nun so weit entwickelt, dass paradoxerweise desto weniger Überraschung möglich ist je mehr man sich der Steigerungslogik unterwirft. Mehr Schurken, mehr Effekte, mehr plot twists. Das Gesetz der Serie höhlt den „großen Roman“ aus. Und nun erweist sich gerade der Vorzug der Spider-Man-Filme, die (pardon!) „Verwebung“ äußerer Handlung mit inneren Konflikten, das ganze Konzept des „hero with problems“  als Bumerang. Alle Figuren und Handlungselemente tragen so schwer an ihrer moralischen Bedeutung, an ihren Positionen in den miteinander verknüpften magischen Familienromanen von Bindung und Ablösung, dass sie zu beidem nicht mehr recht fähig sind: zur in der Serie durchaus angelegten Rückbindung an die reale Welt oder zum freien Spiel des Fantastischen, in dem die Monster nicht melodramatische Abbildungen moralischer Konflikte, sondern Wesen direkt aus der aufregenden Welt des Unterbewusstseins sind. Dabei geht es ja auch um ästhetische Erfahrungen, um Wahrnehmungsspiele, um beinahe autonome Kunstwerke aus Sand, schwarzen Fäden, gotischen Architekturen und nicht zuletzt aus Bewegungen: Gegenüber dem freien, urbanen Schwingen von Spider-Man ist Supermans Flugkunst fast schon konventionell. Aber im dritten Teil von Spider-Man kommen Erziehungsroman und Bewegungsspiel, digitales Formen und moralisches Räsonieren, Ironie und Sentimentalität, Mittel und Absichten nicht mehr vollständig zur Harmonie.

Spider-Man 3, der bei aller Action und diesmal sogar bei allem Zorn, wie seine Vorgänger im Innersten von der Sehnsucht nach Versöhnung, Glück und Vergebung handelt, ist ein durchaus positives Modell für den „Helden der Verschuldung“. Er lernt retten, nicht strafen. Er ist die schwingende Hoffnung pragmatischer Mitmenschlichkeit. Er wird nie vollkommen sein, und immer sich strebend bemühen. Pädagogisch ziemlich wertvoll, derzeit. Was man so oder so auffassen kann.

Im dritten Teil ist die bisher durchaus gelungene Comicadaption dem Gesetz der Serie erlegen. Fantastische Bilder und moralisch-psychologische Konflikte finden leider nicht mehr recht zusammen.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film 5/2007