Mensch, Hitler

Immer, wenn ein neues Gespenst des Mannes mit dem lächerlichen Bärtchen die Leinwand betritt, fragen wir uns: Warum kommen diese filmischen Hitler-Fantasien in solcher Regelmäßigkeit über uns? Ist es zu erlauben, ihn durch Schauspieler darzustellen – also ein menschliches Gesicht jenem Menschheitsverbrecher zu geben, der selber als perfekter Schauspieler auftrat und als Maske des Bösen weiter wirken musste?

Die Kamera kann nicht anders, als zwischen Gesicht und Maske Fragen visuell zu beantworten, die wir in den fragmentarischen Diskursen der Geschichte wohlweislich offen lassen. Ist „der Führer“ an allem schuld, oder ist er nur perfekter Ausdruck eines grausigen Zusammenwirkens von Macht-Interesse und wahnhafter Verblendung, die Schnittstelle zwischen den furchtbar rationalen und den genauso furchtbar irrationalen Elementen? Ist Hitler der Geist oder die Darstellung des deutschen Faschismus? Es sind Antworten, die die Kamera gibt, je nachdem, ob sie Hitler ins Zentrum oder an die Peripherie des Bildes rückt, ob sie die Maske durchscheinend oder abweisend macht, in welchen Blickstafetten, in welchem Spiel zwischen den subjektiven und den objektiven Einstellungen das Bild erzeugt wird. Eine Ikonografie für dieses filmische Hitler-Bild aber ist nie ernsthaft diskutiert worden, jeder neue Hitlerfilm löst nur eine neue Welle von Entrüstung und Faszination aus, und wie im jüngsten Fall, dem „Untergang“, deckt der Medienrummel die ernsthafte Auseinandersetzung zu, bevor der Film überhaupt sichtbar wurde.

Distanz und Annäherung

Welches Bild könnte sich das Kino von diesem Menschen machen, wenn es nicht das eines Monsters, das eines grotesken Clowns, das eines banalen Spießers im Zentrum des größten Verbrechens wäre? Muss nicht jedes Hitlerbild auf der Leinwand die Opfer kränken, die Fantasien der neuen Nazis beflügeln oder uns versöhnen mit einem, mit dem man sich unter keinen Umständen versöhnen darf?

Die Darstellbarkeit scheint noch am ehesten gesichert in Form der Karikatur – von Charles Chaplins „Führer“ in „Der große Diktator“ (1940) über Sidney Miller in Jerry Lewis‘ „Wo, bitte, geht’s zur Front?“ (1970) bis Giuseppe Damianti im Adriano-Celentano-Vehikel „Zio Adolfo, in arte Führer“ (1977). Die Fallhöhe zwischen der historischen Bedeutung der Figur und der Erbärmlichkeit des Menschen, der sie ausfüllt, mag im Einzelfall geschmacklos sein, sie operiert indes aus sicherer Distanz. Im deutschsprachigen Nachkriegskino hatte Hitler seinen ersten Auftritt aber ganz anders, in Georg Wilhelm Pabsts „Der letzte Akt“ (1955), dargestellt von Albin Skoda – als „Mensch“. Es schien die größtmögliche Annäherung in der nötigen Distanzierung, denn der Film musste klar machen, dass die Attentäter des deutschen Widerstands einen Menschen töten mussten, um den Diktator zu beseitigen. Diese Dialektik bestimmt das filmische Hitler-Bild bis zu „Komm und sieh“, wo der jugendliche Held, der so sehr unter Hitlers Truppen gelitten hat, voller Zorn auf Hitlerbilder schießt, bis er eines vor sich hat, das ihn als Jungen zeigt, und in dem Moment kann er nicht weiter schießen.

Distanz schafft es auch, wenn man auf die Konstruktion äußerer Ähnlichkeit verzichtet: Helmut Qualtinger als Hitler in Peter Zadeks „Eiszeit“ (1975), Heinz Schubert und Johannes Buzalski in Hans Jürgen Syberbergs „Hitler – ein Film aus Deutschland“ (1977), Kurt Raab in Uli Lommels „Adolf und Marlene“ (1977). Entscheidend für diese Darstellungen war wohl stets, dass es nicht um eine realistische Wiedergabe ging, sondern um das Gespenstische selbst. Ein Untoter ist dieser Unmensch/Mensch ja allemal. In „Als Hitler den Krieg überlebte“ (1967; Regie: Zbynek Brynch) wird Hitler, der von Fritz Diete (wie übrigens auch in dem russischen Film „Befreiung“) dargestellt wird, entführt und in ein Schweizer Sanatorium gebracht, dort lässt man ihn seine Foltermethoden am eigenen Leib spüren, bis all‘ seine Inszenierung von ihm abfällt.

Da bricht in Hitlers Gespenst ein schrecklicher Rest von Menschlichkeit auf. Umgekehrt suchen Regisseure immer wieder nach dem „Hitler in uns“. Wenn Hitler in den Spiegel blickt, schaut ein erbärmlicher Mensch zurück. Wie viele erbärmliche Menschen aber sehen in den Spiegel, und eine Hitler-Maske schaut zurück? Das ist keineswegs stets so beiläufig und komisch wie bei Louis de Funès, dem Schattenbilder einen Hitler-Bart aufmalen, als er sich wie ein Tyrann geriert. Und auch wenn die Ehefrau des Coca-Cola-Karrieristen in Billy Wilders „Eins, zwei, drei“ den autoritären Anordnungen von James Cagney mit „Jawohl, mein Führer“ begegnet, ist diese Wendung ins Allgemein-Menschliche nur einerseits komisch. Armin Mueller-Stahl inszenierte „Gespräch mit dem Biest“ (1996), in dem er einen 103 Jahre alten Hitler spielt, der in einem Keller in der Kantstraße in Berlin lebt. Ein Gespenst in einem Kammerspiel von der Unsterblichkeit Hitlers – oder vielleicht doch nur seiner Doppelgänger. Wirklich geklärt wird die Frage nach der Identität in diesem mal grotesken, mal surrealen Spiel nicht, in dem sich die Doppelgänger Hitlers zum Hochzeitsfest des Führers im Bunker treffen. Je näher man eine Gestalt wie Adolf Hitler anschaut, desto ferner schaut sie zurück – Mueller-Stahls Hitler war so entfernt, dass weder Kritik noch Publikum damit etwas anfangen konnten.

Auch Gespenster haben ihre Vor-Bilder. Der Hitler auf der Leinwand kann sich nur zusammensetzen aus der Selbstinszenierung des Führers durch seine Fotografen und die Wochenschau, durch den Riefenstahl-Blick in „Triumph des Willens“, aus den „privaten“ Bildern, die die manische Bilderfabrikation des deutschen Faschismus produzierte, Hitler-Kitsch mit Lederhose und Schäferhund, und schließlich aus den propagandistischen Verzerrungen. Hitler geistert durch Popcorn-Filme à la „Indiana Jones“; wie bei Donald Duck mit Schnurrbart („Der Fuehrer’s Face“) wird die Nachahmung zum komischen Effekt, etwa in Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ und Brooks‘ „Frühling für Hitler“. Hitler liegt in einer Badewanne, liest die „Zeit“ und wird von Piranhas gefressen in Russ Meyers „Up“, er glotzt lüstern auf die Orgien der „Girls of the Third Reich“ bei Loretta Sterling. Kurzum: Die Blasphemie ist da Teil des Bildes. Und gerade in der Blasphemie wird das Gespenst wieder unsterblich. Clown, Massenmörder, Durchschnittsmensch zugleich, so wie es in Alexander Sokurows „Das Monster“ (2002) erscheint: ein Körper, ein Bild, eine Biografie, in der sich auf ewig das Banale und das Böse treffen. Die Lächerlichkeit hat Hitler nicht getötet, wie uns alte und neue Faschisten im Lande so authentisch demonstrieren. Bis hin zu persönlichen Auseinandersetzungen wie Herbert Achternbuschs wundervollem „Heilt Hitler“, der vom Grauen zum Quatsch führt und umgekehrt, konnte das nicht gelingen.

Vielleicht war das Gespenst zu töten, wenn man an seinem Sterben teilhaben konnte, wie in „Hitler – Die letzten zehn Tage“ (1973 – Regie: Ennio de Concini), zumindest vom Motiv und vom Material her ein direkter Vorläufer von „Der Untergang“. Der Film spielt im „Führerbunker“ ein absurdes Endspiel durch: Hitler (Alec Guiness) schwadroniert nach wie vor von seinen Erfolgen (er habe etwa „die österreichische Frage sehr zufrieden stellend gelöst“ nachdem er den Kettenraucher Schuschnigg zur Abstinenz brachte). Hier heiratet er auch Eva Braun (Doris Kunstmann) und bewundert er die Fliegerin Hanna Reitsch. Schließlich beschließt Hitler, dass das deutsche Volk seine Daseinsberechtigung verloren habe. Der Film hält sich so weit als möglich ans schriftlich Überlieferte, und Guiness hat Mimik und Gestik des „Führers“ anhand von Fotos und Wochenschau-Material genau studiert. Aber weder eine visuelle noch eine textliche Quellentreue ergeben ein Bild jenseits neuer Mischung zwischen dem Trivialen, dem Dämonischen und dem Grotesken.

Schurke und Mordskasper

Oder lässt man sich statt auf das Sterben doch eher auf das menschliche Werden des Monsters ein? Fast verständnisvoll zeichnete Axel Corti in „Ein junger Mann aus dem Innviertel“ (1980) die frühen Jahre von Hitler in einer Mischung aus Dokumentation und Spielhandlung. Er entwirft ein kleinbürgerlich borniertes Klima in Braunau und der Schulstadt Linz, das Psychogramm einer gefährdeten Person, des jungen Hitlers (Franz Trager) Bindung an die Mutter und Konflikt mit dem auftrumpfenden Vater, schließlich die Zurückweisung von der Kunstschule, die Begegnung mit den rassistischen Gedanken im Männerheim, mit denen der Film seinen Versuch beschließt, Hitler als exemplarisch in der Geschichte fehlkonstruierte Biografien zu deuten.

Ist das eine Bild zu bieder, so ist das Gegen-Bild zu grotesk. Ist der ästhetische Amoklauf, wie er sich in den Filmen Buttgereits („Exzesse im Führerbunker“, 1982) und Schlingensiefs („100 Jahre Adolf Hitler“, 1988) andeutet, immer noch besser, als politisch korrekt in „Schindlers Liste“ zu weinen? Oder geht umgekehrt das Spiel der doppelten Provokation, Hitler als B-Movie-Schurken und Mordskasper zu präsentieren und zugleich die Ängstlichkeit des Gutmenschen vor dem Bild des Schreckens zu provozieren, nicht ins Leere, wenn wir den echten Faschismus schon wieder vor der Haustüre haben?

Die Fragen sind vermutlich falsch gestellt. Ein Tabu zu errichten ist, kulturgeschichtlich, weder richtig noch falsch. Es ist nur notwendig, und ebenso notwendig ist seine Durchbrechung, weil es nichts verhindern, sondern nur etwas verbergen kann. Die Frage ist brisant genug: Welcher Hitler spukt auf der Leinwand durch unsere Köpfe? „Der Untergang“, der das Monster als Mensch sterben lässt, ohne ihm seine Monstrosität zu nehmen, verspricht in seiner symbolischen Repräsentation eine Art von endgültigem Abschiednehmen. Hitler ist tot, sagt er, wir können ihn, gerade weil wir ihn so weit wie möglich als Mensch sterben ließen, nun wirklich als Geschichte begreifen. Aber als Medienereignis (und Beginn einer neuen Welle von Nazi-Filmen, die ihre Medien-Schatten vorauswerfen) sagt er gerade das Gegenteil. Das Gespenst ist wieder da.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht bei www.BerlinOnline.de