In deutschen Filmen haben es junge Menschen auffallend schwer

Unter den Ereignissen und Zuständen eines Menschenlebens gibt es einige, die man nur schwer in Bilder fassen kann, ohne entweder skandalös, peinlich oder trivial zu werden. Neben der Liebe, der Arbeit und dem Tod gehört ein seltsam prekärer Zustand dazu, in dem sich das Schrecklichste und das Schönste ereignet hat, wenn wir uns recht erinnern: Jugend.

Warum es so schwierig ist, Jugend abzubilden, und warum es zugleich so dringend nötig ist, das liegt an der Grammatik der bürgerlichen Biografie. Jugend ist zugleich ein biologischer, ein ästhetischer, moralischer, politischer, sexueller und sozialer Zustand, und jeder davon steht mit allen anderen auf Kriegsfuß, jeder dauert verschieden lange, und jeder hat seine eigenen Bilder. Andererseits geht die himmlische Hölle dieses Zustandes immer dann gerade endgültig verloren, wenn man ihn in Bilder, Begriffe und Erzählungen zu packen versucht.

Endgültig? Nein, da gibt es eine Erzähl- und Bilderfabrik, die wie besessen an einem kollektiven Jugend-Traum (und -Albtraum) arbeitet. Fast alles von dieser Medien-Reproduktion ist gelogen, aus besagten Gründen, aber nicht zuletzt auch durch Impulse der politischen Ökonomie. »Wem die Jugend gehört, dem gehört die Zukunft«, erkannte man am Beginn des letzten Jahrhunderts. Seitdem wird man in diesem Zustand nicht mehr nur geprügelt und gedemütigt, sondern auch manipuliert und verführt. Seitdem auch gehört zur Jugend eine enorme Bilderproduktion. Und ein Wettlauf um das Triebziel; der Mainstream möchte stolz und begehrlich auf unverbrauchten Nachwuchs schauen – die Avantgarde der Jugendbewegung schaut fremd, bedrohlich und kaputt zurück. Es ist das romantischste und absurdeste Hase-und-Igel-Rennen zwischen Lebenswahrheit und Bilderproduktion.

Vom Kino erwarten wir die Gegenerzählungen zu Konsumcode und Trivialität, das ist viel verlangt. Eine Geschichte des Scheiterns gibt es überdies: Dem deutschen Kino der siebziger Jahren gaben die Außenseiter und Verweigerer die jugendlichen Helden ab. Komische Opportunisten und ewige Kindsköpfe waren es in den Achtzigern; in den Neunzigern teilen sich tragische Ghetto-Helden die Leinwand mit Bürgerkindern, deren larmoyantes Gebrabbel sogar ihnen selbst auf die Nerven geht. In Die Mediocren erkennt eine der Protagonistinnen: »Das Leben ist nicht langweilig – wir sind’s.«

Und nun? In den Mainstream gelangte das Motiv wieder um 2000 mit Filmen wie Crazy von Hans-Christian Schmid. Die Erzählungen vom Krieg »der« Jugend gegen die Gesellschaft sind verblasst, die Geschichte der RAF zum Beispiel ist in Filmen wie Die Stille nach dem Schuss längst historisiert. Stattdessen gibt es den Bruch zwischen dem einzelnen Jugendlichen und der Gesellschaft, der sich in Crazy wie auch in Utopia Blues aus der Schweiz am eindringlichsten als mentale Krankheit zeigt. Die Begeisterung führt ins Leere, in die Selbstzerstörung, manchmal auch zur sinnlosen Gewalttat wie in Klassenfahrt von Henner Winckler.

Jugend ist in diesen Filmen ein sozialer, kultureller und menschlicher Raum, in dem Luft zum Atmen, die Sprache zum Reden, die Welt zum Sehen verschwindet. Es ist die Unbewohnbarkeit der Welt, die Filme wie Große Mädchen weinen nicht von Maria von Heland oder alaska.de von Esther Gronenborn beschreiben, während sie die Lebensbedingungen von Jugendlichen erforschen, mitfühlend und ein wenig resigniert. Der Rückzug aus dem öffentlichen Raum freilich begünstigt die ewige Wiederkehr von Werther und seinem Leiden. Und der hat, wie wir wissen, sein Leiden genossen.

Jugend ist Leiden, aha. Das Kino steht da aber in Konkurrenz mit einem medialen Endlostraum vom hippen Lebensspaß, mit MTV-Pop, Design-Produktlinien und »Jugend«-Darstellern in den TV-Soap-Operas. Es steht zugleich in Konkurrenz zu einer politischen Konstruktion von Jugend durch Wahlkampf, Arbeitsamt, Konzernmacht, Polizei. Es scheint, als wäre es noch am leichtesten, von den Opfern und Verlierern, von den Abgedrehten und Durchgeknallten zu erzählen. Von den Jugendlichen im multikulturellen Ghetto etwa, wie es Thomas Arslan in seinen genauen und ruhigen Filmen tut, Fatih Akin in seiner spezifischen Romantik oder Ayse Polat in der mitempfindenden Beobachtung. In all diesen Filmen haben Jugendliche nicht die geringste Chance, den Zustand Jugend zu genießen, zu reflektieren oder wenigstens zu codieren. Jugend ist das, worum einen die Gesellschaft betrügt .

Zurückzugewinnen wäre sie nur durch einen Akt der aktiven Rebellion. Aber das sagt sich so leicht. Das Letzte, was man braucht, sind alte Säcke, die davon raunzen, dass zu ihrer Zeit die Jugendlichen viel politischer gewesen seien. Im Kino kann man der Verzweiflung zusehen, die junge Menschen befällt, welche nach den Lähmungen der Langeweile und der Selbstzerstörung die Fähigkeit zu handeln zurückgewinnen wollen. Davon handeln Filme wie Hans Weingartners Die fetten Jahre sind vorbei. »Früher war man schon rebellisch, wenn man kiffte und sich die Haare wachsen ließ«, heißt es da einmal. Nun muss der Akt der Rebellion so sehr reflektiert werden, dass er sich selber aufhebt.

Kein Wunder, dass es in den Filmen nach einer kurzen Phase der Untersuchung möglicher politischer Gesten am Leitfaden der Jugend wieder zurückging ins Private. In Egoshooter von Christian Becker und Oliver Schwabe ist auch die Revolte wieder radikal privatisiert. Seine Helden zerstören das Bürgerhaus anders als die Protagonisten von Die fetten Jahre sind vorbei in eher sinnlosem Zorn. Alles ist vorbei, bevor es angefangen hat; aus der Ohnmacht kommen die Gewaltfantasien, die Military-Spiele, die so eindeutig der jugendlichen Rechten zugehörig scheinen; ein Nazi zu werden ist so denkbar wie ein Anarchist oder einfach nichts Besonderes, und die Digitalkamera, mit der der Held sein elektronisches Tagebuch führt, reflektiert vor allem den zunehmenden Verlust der Perspektive.

Aber Lust und Regression wollen auch sein. Und das bedient am besten das Trash Movie in Form der populären Genres Slasher Movie und College-Komödie. Amerikanische Erfindungen, gewiss. Merkwürdigerweise scheinen sich auch hierzulande Jugendliche im Kino am besten dort repräsentiert zu fühlen, wo sie entweder abgrundtief peinlich sein dürfen oder fachgerecht abgeschlachtet werden. Schlechter Geschmack aber ist eine zweischneidige Waffe im Kulturkampf, wie Dennis Gansel, der dann Napola drehte, in Mädchen, Mädchen bewies, so als könne sexploitation gleichsam umgedreht werden: Wenn wir zu unappetitlich sind, dann seid ihr zu alt! Mädchen, Mädchen 2 (Regie: Peter Gersina) ist dann schon eine kaum verhüllte Wie angelt man sich einen Millionär?- Variante für die Zeit des Neoliberalismus: Jugend ist Einsatz im Spiel der sexuellen Ökonomie. Man ist in gewisser Weise über das Triebziel hinausgeschossen. Die sexuelle Ökonomie Jugend definiert sich jetzt von der ökonomischen Seite her.

Deutsche Regisseure scheinen den Zustand Jugend nicht nur als Schlachtfeld und Traumreich entdeckt zu haben, sondern auch als Fluchtraum. Wo es unschicklich ist, von sich selbst zu erzählen, und unergiebig, von der Gesellschaft zu erzählen, da tut sich in diesem bittersüßen Traumreich die Möglichkeit auf, Authentisches klammheimlich mit Gewünschtem zu verbinden. Der Film wird dann zur Möglichkeit, nicht Jugend darzustellen, sondern Jugend zu sein. Die Rechnung freilich geht nicht recht auf. Denn Filmemachen ist eine Sache mit viel Verantwortung für Geld, Menschen und Ideen, mit Voraussicht und Gebundenheit. Das Subjekt der Erzählung muss um so vieles erwachsener sein als das Subjekt in der Erzählung, dass man ehrlicherweise nur durch die Distanz kommunizieren kann. Anders gesagt: Um ein Kino-Bild von Jugend herzustellen, muss man verdammt erwachsen sein.

Autor: Georg Seesslen

Text veröffentlicht in Die Zeit 20/11.05.2005