Die Kunst und das Kino – das ist eine der seltsamsten Liebesgeschichten der Kulturgeschichte. Kann das Kino zur Kunst werden? Kann es Kunst darstellen? Oder ist das Kino andererseits als Avantgarde der popular culture die Garantie für die Freiheit der Kunst, weil sie von dieser die Funktion des Mythos übernommen und alle symbiotischen Aufgaben der Ästhetik im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit besser erfüllt? Es scheint jedenfalls festzustehen, daß die Aura eines Kunstwerks und die Aura eines Films nur unter vergleichsweise hohen ästhetischen Anstrengungen miteinander in Einklang zu bringen sind. Das Bewegungsbild des Kinos benötigt (in der Regel) die Biographie des Künstlers, um sich seinem Werk zu nähern, aber damit verrät der Film zugleich die Kunst, wo sie, in doppeltem Sinne, gegen die Zeit gerichtet ist. Am besten ist das Kino über Kunst merkwürdigerweise genau dort, wo es sich zum Gegenteil der Kunst bekennt: zum Kitsch. Und weil es seit der Pop Art diesen Gegensatz zwischen Kunst und Kitsch nicht mehr gibt, sind die Beziehungen zwischen dem Kino und der Kunst noch einmal zugleich intensiver und schwieriger geworden.

Julian Schnabels BASQUIAT ist auf den ersten Blick eine beinahe konservative Künstler-Biographie: ein Künstlerleben, das wirkt, als wäre es selber schon ein Film. Jean-Michel Basquiat, 1961 geboren, stieg um das Jahr 1981 vom Graffiti-Sprayer zum neuen Stern am amerikanischen Kunsthimmel, zum ersten schwarzen Star der Szene auf. Nur wenige Jahre blieben ihm, seine Kunst zu entwickeln, sein Leben mit dem Ruhm zu arrangieren. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war der „James Dean der Kunstwelt“ von Drogen, von der Angst, der seltsamen Kälte der Kunstszene, von seinen selbstzerstörerischen Kräften gezeichnet. Basquiat starb 1988.

Julian Schnabel, Basquiat als Künstler so nahe wie sonst nur Andy Warhol (die drei gestalteten auch gemeinsame Arbeiten), hat in seinem Film nur einerseits ein Portrait des jungen, heftigen Malers gestaltet. Zum anderen aber, und daher kann er es sich leisten, mit einigen Details der Biographie eher frei umzugehen, geht es ihm um „das Leben des Künstlers in unserer Kultur im allgemeinen“ (Schnabel).

So folgt der Film zum einen gewiß der Märtyrologie des biopics, wie Basquiat selber dem Mythos des schnellen Lebens und frühen Tods des wirklich Talentierten folgte. Da ist die obligate Liebesgeschichte, die durch den Ruhm beständig in Frage gestellt wird; da sind die ebenso neurotischen wie geldgierigen, manchmal aber auch verwirrt-verletzlichen Kunst-Dealer, Den nis Hopper porträtiert einen von ihnen; da sind die töricht plappernden Vernissagen-Besucher, die harte Galeristin – und eine fulminante, durchaus auch komische Szene, die beinahe für sich selbst stehen könnte und die den semiotischen Kampf zwischen einem Fernseh-Interviewer (Christopher Walken) und Basquiat (Jeffrey Wright) als wunderbare Studie über das notwendige Mißverständnis zwischen Kunst und Massenmedium widergibt. Da sind die Begegnungen mit anderen Künstlern; Willem Dafoe als der unbekannte Greg, der sich vor dem Ruhm offensichtlich so sehr fürchtet wie Basquiat ihn herbeisehnt, David Bowie als Andy Warhol, gerade so nahe an der Karikatur, daß wir auch in ihm dieses fürchterliche Wüten der Widersprüche zwischen dem Menschen, dem Künstler und der öffentlichen Person ahnen. Hat Warhol Basquiat ausgenutzt oder gefördert, oder ein wenig von beidem? Es gibt (fiktive) Figuren in Schnabels Film, die diese Frage stellen (und wiederum: zugleich biografisch und gesellschaftlich), und der Film erklärt uns, wie falsch diese Frage gestellt ist. Daß wir das durchaus Komische (und Korrupte) der öffentlichen Person, das Tragische (und Triviale) des Menschen und das Vitale (und Rücksichtslose) des künstlerischen Talentes zugleich am Werk sehen, weltweit entfernt vom grandiosen Hollywood-Kitsch wie in, sagen wir, Vincente Minnellis Van-Gogh-Paraphrase LUST FOR LIFE aus dem Jahr 1956 – das konnte wohl nur einem Künstler gelingen. Denn schärfer als es vielleicht ein Hollywood-Regisseur vermocht hätte, trennt Schnabel Kunst und Kino, vermeidet, von wenigen (wenngleich brillanten) Szenen abgesehen, jede Imitation der Kunst durch das Kino.

„This is about the arena I live in“, erklärt Schnabel. Und näher als hier ist man der KunstArena wohl in der Tat bislang in keinem Film gekommen. Keiner in dieser Arena weiß wirklich, wo er sich befindet, keiner, was er oder sie wirklich tut. Die Kunst entsteht nicht in ihrer öffentlichen Inszenierung, sondern trotz ihr.

So stellt der Film sehr unterschiedliche Weisen vor, mit der Existenz als Pop-Ikone zu leben, einmal in den porträtierten Figuren, einmal aber auch in ihren Darstellern, bis hin zu Courtney Love, die sozusagen die Zusammenfassung aller flippigen Kunst-Groupies in Basquiats Leben gibt. Etwas geschieht, zwischen dem Leben und dem Werk, und das ist zugleich erbärmlich und grandios.

Schnabels cineastisches Puzzle eines Künstlerportraits wird zusammengehalten von einem Soundtrack, der wiederum das Authentische und das Fiktive miteinander verbindet: Stücke aus Basquiats wirklicher Plattensammlung und neue Stücke etwa von P.J. Harvey und Tracy Bonharn. Und es ist die Gegenwart der Musik, die den Menschen ihre traumwandlerische Bewegungsmelodien verleiht und die allein das Widersprüchliche einer Künstler-Existenz im Medienzeitalter heilt. Basquiats Kunst, das ist, unter anderem, die Übersetzung von Musik ins Malen, Übermalen, Entmalen. Und BASQUIAT, der Film, ist unter anderem eine Übersetzung von Musik in Bewegungsbilder des Künstlerlebens.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd film 12/96