Der Mann, der fast 9/11 verhindert hätte

Am 20. Juli 2007 stürmen bewaffnete FBI-Agenten die Häuser von vier ehemaligen Mitarbeitern der NSA. Ihr Ziel: Die Beschlagnahme von Material mit Hinweisen darauf, dass ein drei Wochen vor dem 11. September 2001 innerhalb der National Security Agency abgesetztes Programm deutliche Hinweise auf die späteren Attentate enthielt.

Was wie eine eher realitätsferne Szene aus einem reißerischen Agententhriller anmuten mag, entstammt in Wirklichkeit Friedrich Mosers Dokumentarfilm „A Good American“. Der Film des Österreichers erzählt die Vorgeschichte zu diesem unglaublichen Vorfall und erklärt, weshalb ein geniales Datenanalyseprogramm kurz vor 9/11 abgesetzt wurde – nicht weil es noch nicht ausgereift, sondern weil es zu billig war …

Der namensgebende „gute Amerikaner“ in Moser Dokumentation ist der Meister-Kryptograf William („Bill“) Binney. Dessen herausragende analytische Fähigkeiten wurden bereits bei den Einstellungstests der US-Army erkannt und brachten dem Mathe-Crack zu Zeiten des Vietnamkrieges eine Stelle als Code-Cracker in Europa ein.

Genau gesagt wurde Bill Binney in die Türkei geschickt, wo US-Agenten Zugriff auf einen kleinen Teil des Datenverkehrs der russischen Militärs hatten. Dort gelang es Binney als erstem Amerikaner, die bis dahin unverständlichen Botschaften zu entschlüsseln. Eine Schlüsselrolle spielte hierbei Binneys Konzentration auf Metadaten:

Anstatt den genauen Wortlaut der aufgefangenen Botschaften zu analysieren, versuchte Binney die übergeordneten Strukturen „menschlichen Verhaltens“ zu erfassen. So nahm er 1968 bestimmte Abweichungen in den von ihm erfassten Kommunikationsmustern wahr. Aus diesen schloss er auf einen unmittelbar bevorstehenden Einmarsch russischer Truppen in der CSSR. Dieser fand zwei Tage später tatsächlich statt und ging in Form der brutalen Niederschlagung des Prager Frühlings in die Geschichtsbücher ein.

Im Film erzählt Binney verschmitzt, dass in der Army Security Agency (ASA), für die er damals arbeitete, über einhundert verschiedene „Hinweise“ auf eine mögliche russische Invasion umherschwirrten, die jedoch allesamt nichts wert waren. Er selbst hatte dahingegen eine eigene Liste mit lediglich fünf Details, von denen seiner Ansicht nach immer mindestens eines bei einer solchen Invasion auftrat, deren Richtigkeit sich wiederholt bestätigen sollte.

Bill Binneys brillante Fähigkeiten in der Analyse und Interpretation codierter Daten führte dazu, dass er nach vier Jahren bei der Army Security Agency 1970 zur National Security Agency (NSA) berufen wurde. Auch dort entwickelte Binney sich schnell zu einem der führenden Datenanalyseexperten. Ende der 1990er Jahre begann er zusammen mit einem kleinen Team das Überwachungsprogramm ThinThread zu entwickeln.

Dieses war Binney zufolge schließlich in der Lage die Datenströme auf dem gesamten Globus zu erfassen und auszuwerten. Durch die Konzentration auf die Analyse von Metadaten war ThinThread effektiv, schlank und deshalb auch verhältnismäßig billig. Ein weiterer Vorteil bestand in der Möglichkeit sensible Informationen zu maskieren und auf diese Weise die Persönlichkeitsrechte – zumindest von US-Bürgern – und so weit dies innerhalb der Logik eines Überwachungsprogramms möglich ist – zu schützen.

Laut Binney war ThinThread nicht weniger, als das potenteste Datenanalysetool in der gesamten Geschichte der Menschheit. Doch obwohl, bzw. gerade weil es auch noch verhältnismäßig günstig war, war es der NSA-Führung um den damaligen Direktor Michael Hayden ein Dorn im Auge. Jener ließ von der von ehemaligen NSA-Mitarbeitern gegründeten Firma SAIC das alternative Programm Trailblazer entwickeln. Dieses war nicht nur ungleich teurer, als ThinThread, sondern ebenfalls wesentlich datenhungriger.

Der Einsatz von Trailblazer war der Beginn der weltweiten Missachtung von Persönlichkeitsrechten, die 2013 Edward Snowden publik machen sollte. Doch schon lange davor legten die NSA-Whisteblower J. Kirk Weibe, Ed Loomis und William Binney sowie die beim United States House Permanent Select Commitee on Intelligence tätige Diane Roark beim Department of Defense Inspector General eine Beschwerde über Verschwendung, Betrug und Missbrauch wegen der Vorkommnisse um Trailblazer ein. – Dies waren die vier Personen, die 2007 unerbetenen Besuch von der FBI erhielten …

Diese Geschichte klingt abenteuerlicher und unglaublicher, als jeder Roman von John le Carré („Bube, König, Ass, Spion“) und wurde von dem Agententhrillerfan Friedrich Moser auch ähnlich spannend wie ein klassischer Spionagethriller inszeniert. „A Good American“ ist eine flott geschnittene Collage aus Interviews, Archivmaterial und reinszenierten Schlüsselepisoden aus dem Leben von William Binney, welche durch die Unterlegung mit einem treibenden Score zusätzlich an Atmosphäre und an Spannung gewinnt.

Zugleich hat Moser niemals vergessen, dass dies kein Krimi, sondern ein Dokumentarfilm über ein höchst brisantes Thema ist. So geht die Spannung in „A Good American“ nicht auf Kosten der Informationsdichte, sondern wird im Gegenteil noch durch die sauber umrissene Schilderung zahlreicher politischer und technischer Details gesteigert. Das Ergebnis ist ein nicht nur gelungener, sondern darüber hinaus ausgesprochen wichtiger Film, dem zu wünschen ist, dass er ein möglichst großes Publikum erreicht.

Gregor Torinus

Bilder: blue+green communication

A Good American, von Friedrich Moser (Österreich 2015)          ab 03. November im Kino

mehr Infos auf agoodamerican.net