Alternative Graswurzelbewegungen in der EU

In „Projekt A“ stellen die jungen deutschen Filmemacher Marcel Seehuber und Moritz Springer anarchistische Projekte in Athen, Katalonien und Deutschland vor und zeigen zudem einen anarchistischen Kongress in der Schweiz. Der Film ist konzipiert als ein erster Einstieg in das Thema und zeichnet ein sehr heterogenes Bild unterschiedlicher Bewegungen im Umfeld des Oberbegriffs „Anarchie“. Dabei liegt der Fokus nicht auf dem theoretischen Unterbau, sondern auf den konkreten Projekten vor Ort. Die Filmemacher lassen keine Zweifel daran aufkommen, dass sie mit den von ihnen porträtierten Aktivisten sympathisieren – selbst wenn sie im Einzelnen nicht immer von der jeweiligen Art der Umsetzung der idealistischen Grundgedanken überzeugt sein mögen.

Die filmische Reise beginnt in – von der Wirtschaftskrise besonders stark gebeutelten – Athen und stellt drei anarchistische Projekte im dortigen Stadtteil Exarchia vor. Diese umfassen die Umwandlung eines besetzten Parkplatzes in einen öffentlichen Park mit Gemüsegarten sowie die Konvertierung eines an diesen Park angrenzenden besetzten Hauses in ein selbstverwaltetes Kulturzentrum. Darüber hinaus beherbergt das besetzte Gebäude ein selbsorganisiertes Gesundheitszentrum, das Menschen medizinisch versorgt, die von der staatlichen Gesundheitsvorsorge ausgeschlossen sind. All dies sind echte Graswurzelbewegungen, bei denen versucht wird, direkt vor Ort im Kleinen etwas zum Besseren zu verändern. Negativ zu Buche schlägt dahingegen die starke Militanz der anarchistischen Bewegung in Griechenland.

Recht gut organisiert scheinen die gezeigten anarchistischen Projekte in Katalonien. Hier macht sich bemerkbar, dass der Anarchismus in dieser Region Spaniens auf eine lange Tradition zurückblicken kann. 1936 besaß die anarchosyndikalistische Gewerkschaft „Confederación Nacional del Trabajo“ (CNT) fast 500.000 Mitglieder. Während des Spanischen Bürgerkriegs wurde die Bewegung komplett zerschlagen. Doch seit dem Ende des Francoregimes hat sie sich schnell wieder neu formiert. Heute ist die aus der CNT hervorgegangene „Confederación Genera del Trabajo“ (CGT) mit 60.000 Mitgliedern die größte anarchosyndikalistische Bewegung auf der Welt.

Wie groß das Spektrum von – im weitesten Sinne – anarchistischen Aktivitäten sein kann, zeigt sich besonders deutlich anhand der gewählten Beispiele aus Deutschland: Auf der einen Seite steht die Aktivistin Hanna Poddig, die es in Kauf nimmt, für die Blockade von Castor-Transporten ins Gefängnis zu gehen. Dahingegen haben sich in Bayern fast 500 Menschen in einem „Kartoffelkombinat“ organisiert, das die Mitglieder regelmäßig mit selbst produziertem frischen Gemüse versorgt. Das System dieses Kombinats scheint bereits besser zu funktionieren als das der entsprechenden „Cooperativa Integral Catalana“ (CIC) in Spanien. Mit dem Begriff „Anarchie“ wollen die Mitglieder des bayrischen Kartoffelkombinats dahingegen nicht in Zusammenhang gebracht werden.

Projekt A“ gibt interessante erste Einblicke in diese sehr unterschiedlichen Initiativen. Dabei wird jedoch Vieles nur kurz angerissen und ist zudem oftmals sehr subjektiv gefärbt. Deshalb kommt es dem Film jetzt sehr zugute, dass er im Rahmen der DVD-Veröffentlichung zu einem umfassenderen – und deutlich stimmigeren Gesamtpaket ergänzt wurde. So gibt es neben der eigentlichen Dokumentation rund 90 Minuten an vertiefenden Interviews mit den wichtigsten Protagonisten. Auch die Filmemacher selbst äußern sich in einem Interview durchaus kritisch zu bestimmten Aspekten des Projekts. Als weiteres Extra gibt es ein 40-seitiges Booklet mit weiteren Hintergrundinformationen über die Entstehung des Films und zu den dort gezeigten Projekten. Dabei wird auch darauf eingegangen, wie sich bestimmte Dinge nach dem Ende der Dreharbeiten weiterentwickelt haben. Für besonders Interessierte gibt es zudem noch Kontaktadressen zu den einzelnen Initiativen.

Gregor Torinus

Bild oben: © Marcel Seehuber

auf DVD bei good!movies