Mann im Spiegel

Ein Dokumentarfilm über den Künstler Thomas Brasch aus Anlass seines 10. Todestages

Da steht ein Mann auf einer Bühne, 1982, und erhält den Bayerischen Filmpreis. Neben ihm steht Franz-Josef Strauß. Dann bedankt sich der Geehrte, der die DDR 1976 verlassen hatte und im Westen ein gefeierter Dissident war, und sagt: „Ich danke der Filmhochschule der DDR für meine Ausbildung.“ Im Saal grummelt es vernehmlich. Und der Ministerpräsident sagt: „Ich danke Ihnen, dass Sie sich als lebendiges Demonstrationsobjekt für die Liberalität Bayerns zur Verfügung gestellt haben.“ So ein Mann musste anecken, immer und überall. Und vor allem: bei sich selbst.

Christoph Rüter, ein Freund, hat diesen Dokumentarfilm über Thomas Brasch gedreht, der anlässlich seines 10. Todestages bundesweit startet.

Wer vorher nicht viel über den Schriftsteller und Regisseur Thomas Brasch wusste, der wird auch nach diesem merkwürdig eindrucksvollen Film nicht viel mehr wissen, außer: Das muss ein sehr schwieriger, ein sehr komplizierter Mensch gewesen sein. Und die disparate Sprache des Filmes erzählt genau das.

Ein Film wie ein Denkmal, ein Film auch, der wie die Selbstinszenierung eines schwierigen Künstlers erscheint, der hier die Sehnsucht nach seinem Selbstbild auslebt.

Es gibt ein Bild, das kehrt immer wieder: Thomas Brasch, Thomas Brasch im Spiegel filmend. Ein Film voller Posen, voller Attitüden und doch auch: voller Schmerz.

„Das ist mir zu intim“, sagt Brasch, als er nach dem Grund des Schreibens gefragt wird. Auch das ist Pose, denn natürlich antwortet er: „Schreiben heißt für mich Angst überwinden.“ – Und das ist keine Pose. Der Sohn einer jüdischen Familie, der Vater hoher Funktionär der DDR, lebte immer in einer in ihn selbst gründenden Angst – und den Versuchen, sie niederzukämpfen. 1968 wird er in der DDR verhaftet, 1976 protestiert er gegen die Biermann-Ausbürgerung.

Rüter zeigt lange Sequenzen der Selbstinszenierung in der neuen, leeren Wohnung am Berliner Schiffbauerdamm, er zeigt, wie der Schriftsteller sich eitel in Pose setzt, ehe er Peter Weiss liest. Weiter kann ein Freund nicht gehen. Ein einsamer Mensch, ein verlassener Mensch, auf dem Weg der Selbstzerstörung, verlassen von sich selbst.

Einmal nimmt Thomas Brasch einen Schluck aus der Wodkaflasche, stützt den Kopf auf die Hand und murmelt abwesend „Welcome in my Nightmare“. Genau das erzählt dieser Film.

Henryk Goldberg in Thüringer Allgemeine

Bilder: Neue Visionen (© Heide Woicke,1982 / Roger Melis / Oliver Hermmann)