Leben aus zweiter Hand

Im Kino: „One Hour Photo“ – eine One Man Show für Robin Williams

Seymour Parrish, den sie alle nur Sy nennen, Sy, der Photo-Hai, würde nie
mit einer flatternden Krawatte laufen. Deswegen hat er sie am Hemd
festgeklammert. So wie er den Riemen seiner Umhängetasche quer über die
Brust trägt, den Blouson mit dem abgesteppten Bund so noch fester an sich
pressend. An diesem Mann flattert nichts, fast nie, nicht einmal das
Gesicht. Und schon gar nicht das Leben.

Mark Romanek, der Regisseur, hat vor diesem Spielfilm Musikvideos gedreht,
und das sieht man seinem Debüt auch an: Er zelebriert einen Grundgedanken
und einen Stil, er stylt Räume und Figuren.  Da er es aber mit Robin
Williams tut ist das ein sehr sehenswerter Film.

Robin Williams muss an dieser Figur gearbeitet haben bis zur Besessenheit.
Selten bewegt das Gesicht, die Bewegungen gezirkelt, wie die Reihung kühler
Fotos, als verschmelze die Figur mit der Topografie der Regale in der
Shopping Mall, mit ihren Farben, mit ihrer Gleichgültigkeit. Nie hat man
diese Einsamkeit inmitten einer Konsumlandschaft so gesehen. Einmal
beschwert sich Sy Parrish über eine Abweichung des Entwicklungsautomaten,
der das Blau um 0,3 Prozent überzeichnet. So scheint auch der Film und seine
Farben. Gelegentlich schimmert die Konstruktion hindurch, die des Styling
und die der Geschichte, die ihren tragischen Helden an einer sehr kurzen
Leine führt  doch ergibt das schließlich den Rahmen für eine One Man Show
des virtuosen Schauspielers. Auch dieser Virtuosität steht ihre Konstruktion
gelegentlich zu sehr in das wächserne Gesicht geschrieben, um eine der ganz
großen Figuren zu werden, wie Dustin Hoffman sie dem Kino schenkte. Aber es
bleibt grandios, es bleibt eine grummelnde, rumorende Spannung unter den
Bildern, eine beständige Drohung.

Sy bedient den Filmentwicklungsautomaten eines Supermarktes mit
Besessenheit. Er sammelt, heimlich, die Endlosserie Vater  Mutter  Kind der
Familie Yorkin. So halluziniert er sich als einen Teil der Familie. Onkel
Sy. Als er die Fotos sieht, auf denen Jakes Vater Jakes Mutter betrügt, da
weint er, der fremde Mann hat seinen Traum zerstört. Und dafür wird er
bestraft werden. . .

Ein Film für Leute, die guten Schauspielern gern bei ihrer Arbeit zuschauen,
eine Studie über die moderne Isolationsfolter. Ich habe noch nie einen Abzug
verpfuscht! Erregt sich der Mann, als er gefeuert wird. Das ist schon sein
ganzes Glück.

So, genau so würde ein vereinsamter Kleinbürger als Prototyp aussehen, wenn
Steven Spielberg für sein computergeneriertes Figurenensemble in A.I einen
solchen benötigt hätte. Und wie eine andere Kunst-Figur von Spielberg träumt
er sich nach Hause. Nur, dass seine Heimat fremde Bilder sind.

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben  2003

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine