Aktionskino

Aus dem Kino zu kommen, begeistert zu sein und dann auf die Frage, worum es denn in dem Film gegangen sei, nur wenige und irgendwie unwichtige Sätze sagen zu können, ist ein gutes Zeichen. Weil ich dann einen Film gesehen habe, dem es wohl auf etwas anderes ankommt: Vielleicht auf eine Aufwertung des Wie gegenüber dem Was oder besser noch auf eine – das war die Hoffnung des berühmten Filmkritikers Andrew Sarris – sehr bewusste Vereinigung von Form und Inhalt. Das passiert in Thomas Arslans „Im Schatten“.

Als Trojan (Mišel Maticevic) aus dem Knast kommt und ihm sein Ex-Auftraggeber Bauer seinen Anteil nicht voll ausbezahlt, sondern ihm stattdessen zwei Schergen auf den Hals hetzt, muss Trojan sich anderweitig Geld beschaffen. Weil er auf Raubüberfälle spezialisiert ist und ihm eine alte Freundin, die Anwältin Dora (Karoline Eichhorn), einen guten Tipp gibt, überfällt er mit einem ehemaligen Kumpanen einen Geldtransport. Alles läuft gut. Es gibt nur zwei Probleme: Bauers Handlanger und der korrupte Polizist Meyer (Uwe Bohm), der Trojan jenseits aller Dienstwege auf den Versen ist.

Zwei merkwürdige Widersprüche strukturieren „Im Schatten“: Er wirkt dunkel, obwohl kaum Nachtszenen und nicht viele schlecht beleuchtete Innenaufnahmen vorkommen. Und er wirkt zügig, ohne Umschweife, eher rasant als langsam, obwohl hier lange bis sehr lange Einstellungen überwiegen, in denen wenig von dem passiert, was üblicherweise mit Action assoziiert ist. Was so montiert wird, sind Entscheidungen, Situationen und Aktionen, die, so scheint es, für den Fortgang dieser Gangstergeschichte einfach unverzichtbar sind. Alles, was hier durch Schnitte verbunden wird, ist elementar und darum spannend – wie das Gespräch, in dem Trojan seinen alten Kumpel Nico (Rainer Bock) zu seinem letzten Überfall überredet und beide an dem Tisch in Nicos Autowerkstatt sitzen. Ein kleiner Metallpfeiler trennt gut zwei Filmminuten lang die beiden von dem speckigen Kalender an der Wand, was einen schon daran zweifeln lassen könnte, dass die Sache Zukunft hat.

Gefüllt aber werden die langen Einstellungen nicht nur durch alles andere als aufdringlich komponierte Arrangements, sondern vor allem durch die, die hier handeln. „Im Schatten“ ist insofern ein veritabler Action-Film, als so ziemlich alles dadurch erzählt wird, was Menschen – allen voran Trojan – in ihrer Umgebung (nicht) tun. Da fügt es sich glücklich, dass das alle Charaktere perfekt besetzt sind. Mišel Maticevic dabei zu beobachten, wie er geht, plant, Coups wegen inkompetenter Komplizen ablehnt, andere Gangster k.o. schlägt und – ja, auch das – umlegt, ist faszinierend, weil es einer speziellen Ökonomie des Kinos verpflichtet ist. „Im Schatten“ scheint nicht nur von der Kenntnis vieler Gangsterfilme und Western getragen, sondern auch von dem Wissen, dass Kino Bewegung ist. In diesem Fall bedeutet Film, Trojan bei der Arbeit zuzusehen.

Die verrichtet er in einem merkwürdig unbehausten Berlin, das hier zur Unkenntlichkeit unbestimmt ist. Auch im touristischen Sinne verweigert dieser Film seinen Figuren ein Zuhause, so wie alle Wohnungen und Shoppingmalls hier etwas Unbelebtes und Austauschbares haben, die überregionale Piefigkeit aber doch irgendwie Deutschland sagt. In diesen gezielt gesucht und gebauten Nicht-Orten leben Menschen, die sich durch Aktionen artikulieren und, nicht weniger, durch ihre Kleidung. Die Kompakt- und Geschlossenheit dieses Films, der Eindruck, dass hier alles wie aus einem Guss ist, kommt auch von den Kostümen, für die – wie bei nahezu allen Filmen von Arslan, Christian Petzold und Angela Schanelec – Annette Guther gesorgt hat, die als eine tragende Säule der gefeierten „Berliner Schule“ noch nicht ausreichend gewürdigt ist. In „Im Schatten“ trägt der konzentrierte, so komplett professionell in sich ruhende Trojan zwei schwarze Jacken, bei denen man nicht sagen kann, wo die Kleidung aufhört und der Körper anfängt.

Musik gibt es keine. Oder doch: Es gibt einen Soundtrack von Straßengeräuschen, jenen Klängen, die immer irgendeine sichtbare Bewegung zum Ursprung haben. Das ist eine passende Musik, denn außerdem ist „Im Schatten“ ein Film über das Autofahren.

Text: Jan Distelmeyer

zuerst erschienen in epd

Bild: „Im Schatten“ Peripher (Filmagentinnen)